FilmNeuer als alt

CAPTAIN AMERICA – THE RETURN OF THE FIRST AVENGER: Inneramerikanische Konflikte

Einmal mehr taucht unser Gastautor Dr. Wily in die Welt des Marvel-Universums ein. Heute kümmert er sich um das zweite Abenteuer von Captain America:

 

Der deutsche Verleih leistet wieder für mich schwer nachvollziehbare Übersetzungsarbeit: Aus dem Originaltitel CAPTAIN AMERICA: THE WINTER SOLDIER wird auf Deutsch CAPTAIN AMERICA – THE RETURN OF THE FIRST AVENGER. Es ist der dritte Film der Phase Zwei des MCU, und ebenso ist es die dritte Fortsetzung. Nach dem Ensemble-Epos THE AVENGERS kommt Steve Rogers alias Captain America nun auch in einem eigenen Abenteuer in der Gegenwart an. Diese Gegenwart orientiert sich in Look und Tonfall an den ernsten Superheldeninterpretationen wie Christopher Nolans BATMAN-Trilogie: Die Farben sind weniger satt und warm, die Fäuste, Knochen und Kugeln knacken, krachen und knallen härter und brutaler als in der Weltkriegsvergangenheit von CAPTAIN AMERICA – THE FIRST AVENGER.

Steve Rogers (Chris Evans) ist seit den Ereignissen in THE AVENGERS Angestellter bei S.H.I.E.L.D., Nick Furys (Samuel L. Jackson) geheimer Regierungsbehörde zum Schutz der Welt und dem ganzen Rest. So recht überzeugt von seinem Arbeitgeber zeigt sich Steve schon zu Beginn nicht, dämmert doch dem aufrichtigen Captain, dass er auf seinen Missionen eventuell nur den von S.H.I.E.L.D. verursachten Mist vertuschen und wegräumen soll. Vollends ablehnend steht er dann allerdings Furys neuestem Projekt gegenüber, hinter dem eine noch höhere Figur steht, ein Mann namens Alexander Pierce. Dass Pierce von Robert Redford gespielt wird, der in zwei berühmten Verschwörungsthrillern der 1970er Jahre, DIE UNBESTECHLICHEN und DIE DREI TAGE DES CONDOR, Regierungs- und Geheimdienstkomplotte aufgedeckt hat, ist ein Hinweis darauf, welches Genre die Marvel Studios hier mit ihrer Superheldenaction verbinden werden.

Der Mann kennt sich mit Verschwörungen aus: Robert Redford als zwielichtiger Alexander Pierce.

Besagtes S.H.I.E.L.D.-Projekt ist ein Algorithmus, der Menschen aufgrund ihrer digitalen Daten als potentielle Gefährdung für die Welt, das Universum und den ganzen Rest herausfiltern und dann eliminieren soll (sie werden dann von Luftschiffen am Himmel, sogenannten Helicarrier, kurzerhand abgeballert). Wie schon im Text zu THOR beschrieben, ist S.H.I.E.L.D. oft von Angst getrieben – sie selbst beschreiben ihr Vorgehen allerdings mit Worten wie „Realitätssinn“, „Ordnung“ und „Sicherheit“. Man kennt diese Argumentation aus unserer Wirklichkeit. Die Welt sei nun mal so, wie sie sei, und nicht so, wie man sie gerne hätte, und dies sei ein zeitgemäßer Umgang mit den lauernden Gefahren, erklärt Fury.

Captain America ist gegen diese Idee, setzt doch seiner Meinung nach eine Strafe erst ein Verbrechen voraus. Sein Glaube an die Rechtsstaatlichkeit macht ihn erst zum an seiner Aufgabe zweifelnden Außenseiter und dann zum Outlaw, nachdem sich herausstellt, dass S.H.I.E.L.D. von Hydra, der Naziuntergrundorganisation aus CAPTAIN AMERICA – THE FIRST AVENGER, infiltriert und übernommen wurde. Nun sind auch des Captain Kollegen – Black Widow (Scarlett Johansson), die hier zur vollwertigen Nebenrolle aufgewertet wird, Superheldenneuzugang Falcon (Anthony Mackie), ein Ex-Soldat mit Metallflügeln, die er sich wie einen Rucksack umschnallen kann, und Nick Fury selbst – der Meinung, dass dagegen etwas getan werden muss.

Spannend ist, dass der ganze Plan, in dem Unschuldige als Verbrecher umgebracht werden sollen, als gleichwertige Meinung neben der von Captain America steht – bis die Nazis das Ruder übernehmen. Erst dann wird klar, dass es eine schlechte Idee ist. Dieser gedankliche Zugang erinnert an IRON MAN: Solange die Macht in den richtigen Händen ist, sind solche Technologien kein Problem. Es hapert aber doch an grundlegenderen Gedanken und Haltungen. Wie in so vielen amerikanischen Geschichten kann man gesellschaftlichen Systemen nicht trauen: Sie werden manipuliert, unterwandert und wenden sich gegen das Wohl der Bevölkerung. Nur der Hüter der amerikanischen Werte Freiheit, Mut, Ehre und Opferbereitschaft kann es richten. Ein einzelner Mann allein auf seinem Pferd, hier eben Motorrad – der Outlaw.

Ein Sheriff kämpft für den Rechtsstaat: Captain America (Chris Evans).

Wenn man Captain America als Symbol für Amerika und seine Werte begreift, scheint die Idealvorstellung des Landes aus lauter Individuen zu bestehen, die frei tun, was sie für richtig halten. Wie daraus so etwas wie gesellschaftliches Zusammenleben entstehen soll, ist unklar, wird aber wohl schon von selbst funktionieren, wenn sich eh alle richtig und im Einklang mit den Werten verhalten. Wenn das jemand nicht macht, kommt ein anderes Individuum auf einem Pferd, mit Stern auf der Brust, der weiß, was richtig ist. Vielleicht ist das auch einer der vielen amerikanischen Träume, und würde Steve Rogers nicht so auf Rechtsstaatlichkeit pochen, fände wohl auch Donald Trump Gefallen an diesem Captain. In CAPTAIN AMERICA – THE RETURN OF THE FIRST AVENGER ist allein die Idee von gesellschaftlicher Ordnung schon ein Konzept, auf das nur die Nazis kommen, und sie wird so logischerweise auch gleich zu einer Gefahr für die individuelle Freiheit. Im Film funktioniert Hydra mit seinen Unterjochungsplänen und dem wahllosen Töten Unschuldiger trotzdem hervorragend als Feindbild. Die der Figur Captain America innewohnende Problematik wird dadurch einfach nochmal umgangen und muss nicht weiter beachtet werden.

So oder so wird der Charakter schlicht seine Geburt als Propagandacomic im Zweiten Weltkrieg nicht los. Im ersten jemals veröffentlichten Bild von Captain America haut er Adolf Hitler persönlich aufs Maul. Gegenüber dem Naziterrorregime stand er damals mit seiner Idee von Freiheit und Rechtstaatlichkeit auf der richtigen Seite. Dass sich diese Figur stellvertretend für sein Land seither immer wieder mit diesem Konflikt auseinandersetzen muss, zeigt wohl auch, dass Amerika mit diesen Widersprüchen immer wieder zu kämpfen hat. Als Robert Redford in den 1970ern die oben erwähnten Filme drehte, hatte die Regierung tatsächlich die Bürger belogen. Als CAPTAIN AMERICA – THE RETURN OF THE FIRST AVENGER 2014 in die Kinos kam, hatte ein Dreivierteljahr zuvor Edward Snowden enthüllt, dass die NSA Amerikaner mittels Telekommunikation ausspioniert hatte. Aktuell wird in den USA sehr lautstark darüber gestritten, ob der Wert der persönlichen Freiheit, eine Waffe zu besitzen, höher steht als der Schutz der Gemeinschaft vor willkürlicher Waffengewalt – und solange Regeln des Zusammenlebens als Gefahr für die Freiheit angesehen werden, wird Captain America wohl wieder und wieder in den Kampf um diese Werte ziehen müssen.

Der Kampf um amerikanische Werte geht selten still vonstatten.

Kehren wir aber zum Film zurück. Es ist nämlich gar nicht so leicht, Hydra und den gesamten S.H.I.E.L.D.-Apparat (der den Geheimdienst der USA repräsentiert) zu Fall zu bringen. Denn die Feinde verfügen über den „Winter Soldier“, der eine wichtige wiederkehrende Figur im weiteren Verlauf der Reihe werden wird: ebenfalls ein Supersoldat mit superstarkem Metallarm und supergelöschtem Gedächtnis, sodass er von Hydra nach Belieben kontrolliert werden und sich nicht daran erinnern kann, dass er früher einmal Steve Rogers‘ bester Freund Bucky Barnes (Sebastian Stan) war. Als Winter Soldier hat er seit Ende des Zweiten Weltkrieges zahlreiche geheime Tötungsmissionen für Hydra durchgeführt. Eine davon wird im dritten Captain-America-Film THE FIRST AVENGER – CIVIL WAR zu Konflikten führen.

Am Ende bringt Captain America S.H.I.E.L.D. zu Fall. Der Winter Soldier erinnert sich dann doch noch rechtzeitig ein wenig an sein früheres Leben und zieht den bewusstlosen Captain aus einem Fluss ans Land, dann verschwindet er am Horizont. Wohin es ihn verschlägt, erfahren wird erst in THE FIRST AVENGER: CIVIL WAR. So fällt dem zweiten Teil der Captain-America-Reihe ebenso die Dreh- und Angelposition in der Phase Zwei der großen Marvelerzählung zu, wie der erste Film sie schon in Phase Eins innehatte. Während die anderen Fortsetzungen eher Einzelgeschichten im Dienste ihrer Hauptfiguren waren, ordnet dieser Film die Welt der Superhelden neu. Zumindest die irdische – denn als nächstes tauchen die GUARDIANS OF THE GALAXY im MCU auf.

 

 

Captain America – The First Avenger (USA 2014)
Originaltitel: Captain America: The Winter Soldier
Regie: Anthony Russo & Joe Russo
Buch: Christopher Markus & Stephen McFeely
Kamera: Trent Opaloch
Musik: Henry Jackman
Produzent: Kevin Feige
Darsteller: Chris Evans, Scarlett Johansson, Sebastian Stan, Anthony Mackie, Cobie Smulders, Frank Grillo, Emily VanCamp, Hayley Atwell, Toby Jones, Jenny Agutter, Robert Redford, Samuel L. Jackson

Dr. Wily
Dr. Wily mag das Alte. Selbst aktuellen Entwicklungen in Musik, Film, Literatur und Computerspiel gibt er oft Monate bis Jahre Zeit, um sich von ihnen einnehmen zu lassen. Mit zunehmendem Lebensalter zieht es ihn vermehrt zu Horror- und Mysterygeschichten hin, nur um sich dann seine Seele doch wieder von Richard Linklater, Jim Jarmusch, Jack Kerouac, Jackson Browne, Paul Simon oder J.D. Salinger streicheln zu lassen. Außerdem kann er nach 15 Jahren Spielpause MEGA MAN 2 aus dem Stand bis ins vorletzte Level durchspielen.

    Comments are closed.

    0 %