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THE SIMPLE LIFE 2 – ROAD TRIP: Die Reality-Reise zu den eigenen Vorurteilen

Fortsetzungen bestehen ja hauptsächlich aus mehr. Kein Wunder also, dass die zweite Staffel der Reality-Show THE SIMPLE LIFE dasselbe wie die erste bietet, nur mehr davon und mehr obendrauf. Als sich in der ersten Serie Glamour-Girl Paris Hilton und ihre Freundin Nicole Ritchie auf ein Leben auf dem Land einließen, war das zum Steinerweichen dämlich, und so ist es nur konsequent, dass die Fortsetzung hauptsächlich dämlicher ausfällt.

In THE SIMPLE LIFE 2 – ROAD TRIP machen sich Hilton und Ritchie auf, um quer durch die Vereinigten Staaten zu fahren, von Miami bis Los Angeles – und das machen sie nicht, wie das Promo-Artwork verspricht, im EASY-RIDER-Stil mit dem Chopper, sondern per Auto mit Wohnanhänger. Trotzdem campieren sie nicht etwa anonym an Raststätten, sondern kommen an verschiedenen Stationen bei den unterschiedlichsten Familien unter, mit denen sie sich arrangieren müssen. Und weil sie vorab, wie schon in der ersten Staffel, Kreditkarten und Handys abgeben müssen, müssen sie ihren Lebensunterhalt mit schnellen Aushilfsjobs verdienen (oder off camera das mitreisende Fernsehteam anpumpen).

Nur einer von vielen uramerikanischen Bürgern, die sich über die Welt von Paris & Nicole wundern dürfen.

Freilich lässt sich alles, was es über die Vorgängerstaffel zu sagen gab, auch hier wiederholen. Mit „Wirklichkeit“ hat das Reality-TV-Spektakel natürlich gar nichts zu tun – das Prozedere ist so offensichtlich konstruiert, dass selbst dem gutmütigsten Zuseher die eine oder andere Frage kommen dürfte. Und natürlich läuft jede Station nach demselben Prinzip ab: Die reichen Mädels sind völlig unbrauchbar für das wirkliche Leben, und die, oje, einfachen Leute, die als Gastgeber fungieren, sind stets angesichts des Benehmens der beiden vor den Kopf gestoßen. Es ist ein uraltes Comedy-Prinzip, was hier bedient werden soll: High Heels vs. Kuhmist.

Bemerkenswert ist dabei, dass es die Show schafft, gegenüber beiden Seiten unglaublich herablassend zu wirken. Auf der einen Seite ist das reguläre Volk, und natürlich sind es alles urbodenständige Amerikaner mit hochehrlichen Jobs, kreuzbrave Familienmenschen als Leinwand des Hinterwäldlerischen. Weil in jeder Folge neue Gast- und Arbeitgeber vor die Kamera geschoben werden, verkommen sie noch mehr zu Stereotypen, und offenbar war nicht einer von ihnen in der Lage, sich zur Vorwarnung die erste Staffel anzuschauen, weil sie alle – ob nun die bibeltreue afroamerikanische Familie oder der aufrechte Ex-Marine mit seiner Frau – immer nur staunend mit dem Kopf schütteln können, was die Damen so von sich geben.

„Ewww, oh my god!“

Aber die Promi-Mädchen werden genauso als Klischee gezeichnet: Abwechselnd sagen sie ein angeekeltes „ewww“ oder ein hochdramatisches „oh my god“, wenn es mal wieder darum geht, dass jemand etwas saubermachen muss – als dritte Option dient noch die Dauerphrase „that’s hot“, weil man als It-Girl ja nicht einfach „cool“ sagen kann. Paris spielt mit dem sanften Lächeln und der Zurückhaltung einer Person, die sich im Leben für nichts anstrengen muss, während Nicole, der der Dauerruhm nicht gar so in die Wiege gelegt wurde, ständig den pubertären Fratz gibt. Als Team dürfen die Mädels unter ständigem Kostümwechsel stets als genau die verzogenen, albernen Zicken auftreten, für die sie der Zuseher eh hält.

Der ist die dritte Partei, auf die die Produktion herabblickt, weil ihm hier der Quark als echt verkauft wird und sich jeder Moment an billige Vorurteile anbiedert. Damit ja kein Missverständnis aufkommt darüber, wie daneben sich Paris und Nicole benehmen oder was für eine Zumutung so ein Job auf der Farm oder in der Metzgerei ist, kommentiert die Musik das Geschehen ständig mit Comic-Geräuschen. Hoppla, das ist ein Nudistencamp? Boing, „oh my god“! Huch, wir sollen als Putzfrauen arbeiten? Quietsch, „ewwww“! Oh nein, die Christen mögen es nicht, wenn Nicole „shit“ sagt? Quietsch-boing-quietsch, „oh my god! That’s hot“.

Paris und Nicole als Ordnungshüter für einen Tag: What could possibly go wrong?

Wenn man reist und Menschen trifft, lernt man ja potentiell etwas. In der auf Abziehbilder reduzierten Welt von THE SIMPLE LIFE erlebt aber natürlich niemand je irgendetwas, es werden keine Erfahrungen gemacht, weder vor der Kamera noch vor dem Fernseher. Das ist freilich keine Erkenntnis, die irgendwie überraschen würde – und genau so funktioniert eben Reality-TV: Wirklichkeit ist hier nur, was man schon aus dem Fernsehen zu kennen glaubt.

 

Die Screenshots stammen von der DVD (C) 2007 Twentieth Century Fox Home Entertainment LLC.

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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