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MIDNIGHT WARRIOR: Der Low-Budget-NIGHTCRAWLER der Achtziger

Die Filme der Produktionsfirma PM Entertainment üben eine merkwürdige Faszination aus. Die wie am Fließband hergestellten Billigreißer erzählen urbane Action- und Thriller-Stories in einem anonymen Videolook, als wäre Michael Mann in Wahrheit Roger Corman. Es wird viel geschossen, und irgendwann explodiert etwas. Der vorliegende Film MIDNIGHT WARRIOR stammt aus dem Jahr 1989, also aus dem ersten Jahr der Firma, und weil deswegen noch weniger Geld vorhanden war, passiert hauptsächlich überhaupt nichts, bevor dann irgendwas explodiert.

Der Film erzählt die Geschichte von Reporter Nick Branca (Kevin Bernhardt aus dem DENVER-CLAN), der zusammen mit seinem Partner durch das nächtliche Los Angeles fährt, um schnelle Videoaufnahmen von Unfällen, Gewalttaten und anderen Sensationen machen zu können. Wir lernen ihn am Dach eines Hochhauses kennen, wo er gerade eine Frau, die herunterzuspringen droht, besänftigen will. Sie erzählt ihm, wie sie als hoffnungsfrohe Schauspielerin von einer Gruppe von Produzenten vergewaltigt wurde. Leider schafft er es weder, sie vom Springen abzuhalten, noch, brauchbare Aufnahmen zu produzieren, weswegen sein Partner entsprechend verstimmt ist – vor allem, weil der unten am Boden so schöne Einstellungen vom Aufschlag eingefangen hat.

Vom Ende einer Hollywood-Karriere.

Weil Nick das dreckige Geschäft verlassen will, bevor der Film noch so richtig angefangen hat, springt er auch auf eine bald folgende Geiselnahme nicht so richtig an: Vor einem Supermarkt bedroht ein Mann mit der Pistole eine junge Frau, weil er sich wegen häuslicher Streitigkeiten mit seiner Freundin aussprechen möchte. Der Einsatzleiter der Polizei schickt besagte Freundin hin und erklärt ihr, sie soll den Mann möglichst beruhigen, damit niemand zu Schaden kommt. Einem seiner Scharfschützen erklärt er noch in derselben Einstellung: „Wenn du einen klaren Schuss kriegst, knall ihn ab, den Mistkerl“. Während Geiselnehmer und Frau also ihre Beziehungsprobleme erörtern, schaut die Geisel mit einem Gesichtsausdruck zu, als würde ihr dämmern, dass doch kein Sidney-Lumet-Film mehr daraus wird. Der Geiselnehmer wird übrigens das Ende des Films nicht mehr erleben.

Weil sich Nick privat eher bindungsscheu zeigt und den Namen der Kellnerin, die er mit nach Hause genommen hat, am nächsten Tag auch schon wieder vergessen hat, will ihm seine Mama eine vernünftige Frau vorstellen. Sie lädt also ihre Bekannte Angelina Mantucci (Lilly Melgar) zu sich ein, während Sohnemann mal wieder zu Besuch ist, und die ist so schön, dass Nick sich prompt die Tomatensoße der Spaghetti auf den Pullover kleckert. Angelina eilt prompt zur Hilfe, um ihm beim Säubern zu helfen, und nebenbei erfahren wir noch, dass sie blinde Kinder unterrichtet. Da geht dem abgebrühten Nick doch das Herz auf. Meine Mutter stellt mir nie solche netten Frauen vor, und Spaghetti kocht sie auch nie.

„Ich will sofort meinen Agenten sprechen!“

Bei einem weiteren nächtlichen Einsatz kann Nick eine Person aus einem brennenden Fahrzeug retten (damit endlich mal etwas explodieren kann). Weil sein Partner davon spannende Aufnahmen gedreht hat, wird Nick zum Helden und kriegt seine eigene Fernsehshow angeboten. Das Angebot wird ihm von der Reporterin Liz Brown (Heidi Paine aus WIZARDS OF THE DEMON SWORD) übermittelt, die einfach bei ihm zuhause auftaucht und sich unter die Dusche stellt. Genaugenommen überrascht er sie unter der Dusche, als er nach Hause kommt, und dort unterbreitet sie ihm auch prompt zur Begrüßung das Angebot. Dementsprechend freue auch ich mich auf potentielle TV-Deals in der nahen Zukunft, aber ich befürchte, bei meinem Glück wird die Einladung dann von Florian Silbereisen ausgesprochen.

So erhalten Nick und sein Manager Buddy (Bernie Angel, L.A. VICE) also eine hochdotierte Sensationsshow, für die Nick auch gleich ein starkes Event abdecken darf: Er berichtet über die Grundsteinlegung zu einem neuen Regierungsgebäude, bei der der Gouverneur höchstselbst anwesend ist. Nicht aufregend? Von wegen: Plötzlich taucht ein Helikopter auf, und bewaffnete Schurken schießen auf den Politiker, in die Menge und vor allem auf das angerichtete Buffet. Die anwesenden Polizisten schießen zurück, der Helikopter explodiert, und mit ihm der komplette Handlungsstrang, weshalb da jemand den Gouverneur beseitigen will.

„Welches Einstiegsgehalt haben Sie sich vorgestellt?“

Und eigentlich will Nick ja sowieso seit Beginn des Films schon aus dem Sensationsgeschäft aussteigen. Weil er seiner Mama versprochen hat, dass er gegenüber Angelina ernste Absichten hegt, heiratet er die hübsche Lehrerin und hängt seinen Beruf an den Nagel. Das passt Buddy nun gar nicht, weil er ja großes Geld gewittert hat, und weil sich der TV-Sender die Blaulicht-Show offenbar mit keinem anderen Reporter vorstellen kann (wie wäre es mit Liz Brown, oder steht die noch unter der Dusche?), droht der lukrative Deal den Bach herunterzugehen. Buddy macht also, was jeder anständige Manager in so einer Lage tun würde: Er bringt Angelina zu Motivationszwecken seines Reporters flugs um die Ecke. Merkwürdigerweise geht der Plan nicht auf, und Nick wird ungehalten.

Man sollte aus der Nacherzählung nicht etwa schließen, dass MIDNIGHT WARRIOR irgendeine Form von Aufregung oder tatsächlichem Drama bietet. Als Quasi-Vorläufer von NIGHTCRAWLER ist der Film ganz von der PM-Ästhetik geprägt: Kalte Synthklänge liegen über nächtlichen Szenen, die kunstlos mit minimalem Aufwand gedreht wurden. Der fahle Videolook ist der schlierige Gegenentwurf zum üblichen Hollywood-Glamour, das zynische Weltbild erzählt von der Seite von Los Angeles, die die Stadt selber nie zeigen will. Und dann explodiert zum dritten Mal etwas.

Endlich.

Midnight Warrior (USA 1989)
Regie: Joseph Merhi
Drehbuch: Charles T. Kanganis
Kamera: Richard Pepin
Musik: John Gonzalez
Produktion: Richard Pepin & Joseph Merhi
Darsteller: Kevin Bernhardt, Lilly Melgar, Bernie Angel, Heidi Paine, Julie Simone

Die Screenshots stammen von der deutschen DVD (C) 2003 Best Entertainment AG.

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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