Die Filme der Produktionsfirma Cannon haben in meinen jungen Jahren regelmäßig für Vergnügen gesorgt. Nicht etwa, dass ich gezielt nach Werken der beiden Produzenten Menahem Golan und Yoram Globus gesucht hätte – nein, die beiden hatten ganz einfach viel im Programm, was man als Teenager mit Faible für Actionkino sehen wollte: flinke Ninjas, kernige Kampfkunst, große Wummen, Explosionen, Sprüche, Abenteuer, harte Kerle, nackte Haut und Michael Dudikoff. Letzterer ließ als AMERICAN FIGHTER die Handkanten sprechen, nebenan zwang der bärtige Chuck Norris in MISSING IN ACTION oder INVASION U.S.A. finstere Gestalten in die Knie, ein paar spitze Jungs erlebten HEISSE FERIEN in der Karibik, Sylvester Stallone gab für uns DIE CITY-COBRA, Tobe Hooper holte in LIFEFORCE eine nackte Vampirlady auf die Erde, Charles Bronson räumte in vier Fortsetzungen von EIN MANN SIEHT ROT mit der urbanen Kriminalität auf, und Richard Chamberlain begab sich als QUATERMAIN auf Dschungelabenteuer, die eben ohne das große Budget von Steven Spielberg auskommen mussten. Überhaupt war es nicht schlimm, dass die Filme allesamt billig produziert waren: Gegenüber den aufpolierten Hollywood-Streifen, die auch immer etwas sehr Korrektes und Braves an sich hatten, waren die kleinen und wilden B-Reißer ein sehr erfrischendes Gegengewicht.
Mit der Doku ELECTRIC BOOGALOO (der deutsche Untertitel lautet „Die unglaublich wilde Geschichte der verrücktesten Filmfirma der Welt“, als würde es um das ZAZ-Team gehen) will Mark Hartley den beiden Cousins Golan und Globus und ihrer Firma ein Denkmal errichten. Der australische Regisseur ist mittlerweile Experte für solche Kino-Streifzüge: Er drehte schon spielfilmlange Dokumentationen über das australische Genreschaffen (NOT QUITE HOLLYWOOD) und das philippinische Actionkino (MACHETE MAIDENS UNLEASHED!), davor produzierte er u.a. Featurettes für Film-Neuauflagen von RAZORBACK oder PICKNICK AM VALENTINSTAG.
Mit der Vorgeschichte von Golan und Globus hält sich Hartley nicht lange auf: Die beiden Israelis waren schon seit den Sechzigern in ihrer Heimat aktiv und hatten vor allem mit der EIS-AM-STIL-Reihe einen gigantischen Hit gelandet. 1979 übernahmen sie die Firma Cannon, wo sie also bis zum Bankrott 1989 ihr Kino-Fast-Food auf den Markt warfen. (Golan starb 2014, kurz vor Veröffentlichung der Doku, im Alter von 85 Jahren. Der heute 77-jährige Globus ist nach wie vor aktiv.)
Eine Firma zu porträtieren, die im Jahr mehrere Dutzend Filme heruntergekurbelt hat, ist natürlich kein einfaches Unterfangen. Hartley setzt deswegen auf eine ebensolche Vielzahl an Interviewpartnern, mit denen er die Cannon-Geschichte Revue passieren lässt. Ganze 95 Personen kommen zu Wort, dazu gibt es Archivmaterial von einigen weiteren. Regisseur Sam Firstenberg ist da, Michael Dudikoff natürlich auch, Tobe Hooper, Boaz Davidson, Sybil Danning, John G. Avildsen, Avi Lerner, Just Jaeckin, Greydon Clark, Franco Nero, Bo Derek, Marina Sirtis, Molly Ringwald, Barbet Schroeder, Albert Pyun, die Liste ist endlos. Schneller geht es, Leute aufzulisten, die nicht dabei sind: vor allem nämlich Menahem Golan und Yoran Globus, die lieber ihre eigene Cannon-Doku produzierten, die dann sogar noch vor ELECTRIC BOOGALOO erschien – THE GO-GO BOYS. Die Wortmeldungen der beiden, um die es hier geht, kommen also nur aus dem Archiv.
Da werden natürlich einige durchaus heitere Geschichten und Anekdoten zum Besten gegeben. Golan war der geborene Verkäufer, der nur mit einem knalligen Plakat bewaffnet einen Film verkaufen konnte, bevor es auch nur eine Geschichte, geschweige denn ein Drehbuch gab. Die Stories dachte er sich im Zweifelsfall spontan aus, Zeit für Perfektionismus blieb im strammen Cannon-Produktionsplan sowieso nicht. Trotz der bescheidenen Budgets rührte Golan stets gekonnt die Werbetrommel, verkündete Oscaraussichten für Brooke Shields und ließ für einen Chuck-Norris-Streifen eine große Galapremiere ausrichten. Mit letzterem ließ er den Actionstreifen MISSING IN ACTION produzieren, und weil er so überzeugt vom Potential war, ließ er auch noch gleich einen zweiten herstellen – und als er dann merkte, dass der erste gar nicht so gut war, veröffentlichte er kurzerhand den zweiten als erstes und machte den Vorgänger stattdessen zum Prequel. Kurzum: Cannon waren die ganz unbekümmerten Jungs auf dem großen Hollywood-Erwachsenenspielplatz.
Leider kommt bei der Vielzahl an Filmen und den Unmengen an Gesprächspartnern letztlich alles zu kurz. Es wird in großem Tempo durch die Filmographie gehetzt und ebenso flott durch die Interviews geschnitten, manchmal gibt ein Gast gerade einen Satz von sich, bevor der nächste die Geschichte weitererzählen darf. Da wird alles ein bisschen angerissen, was sich irgendwie anbietet: Michael Dudikoff sinniert kurz darüber, dass ihm Golan versprochen hatte, ihm nach und nach größere Projekte zu geben, ein paar andere Interviewpartner resümieren, dass EIN-MANN-SIEHT-ROT-Regisseur Michael Winner eine gewisse sadistische Ader hatte. Dolph Lundgren merkt an, dass er sich bei MASTERS OF THE UNIVERSE schon ein bisschen blöd vorkam, Marina Sirtis erinnert sich an die unangenehmen Dreharbeiten zu DEATH WISH 3 – DIE RÄCHER VON NEW YORK. Regisseur Pete Walker meldet sich kurz zu seiner Cannon-Horrorkomödie DAS HAUS DER LANGEN SCHATTEN zu Wort, für die er 1983 die Horror-Ikonen Christopher Lee, Peter Cushing, Vincent Price und John Carradine zusammentrommeln durfte. Eine frustrierte Laurene Landon zündet vor der Kamera ein Exemplar des Cannon-Films AMERICA 3000 an. Lucinda Dickey berichtet, dass sie beim Dreh des Breakdance-Streifens BREAKIN‘ eine Außenseiterin am Set war, und irgendwer merkt an, dass die Fortsetzung, die auch der vorliegenden Doku ihren Namen gab – BREAKIN‘ 2: ELECTRIC BOOGALOO – ihren Finger nicht mehr am Puls der Zeit hatte.
Das gibt alles nicht sensationell viel her, und immer wieder wünschte man sich, der Film würde sich auf ein paar wenige Themen konzentrieren oder gleich aus seiner Vielzahl an Stories eigene Spin-off-Dokumentationen anbieten. Ganz an der Oberfläche bleibt aber auch der Tonfall: Es scheint sich jeder königlich über die abstrusen B-Movies zu amüsieren, immer wieder zeigen die Gesprächspartner mit dem Finger auf den einen oder anderen Film und betonen, was für ein Quatsch das alles sei. Und natürlich ist ein Großteil der Cannon-Produktionen Schnodderware, aber man fragt sich doch manchmal, warum jemand so viele Geschichten über eine Ära sammelt, die dann doch nur dem spöttelnden Kommentar dienen. Ganz offensichtlich muss Hartley eine gewisse Liebe zu den Filmen verspüren, aber die hat in dem atemlosen Ritt irgendwie keinen Platz. Selbst die Tatsache, dass Golan immer wieder sein Geld verwendete, um auch schwierige und ungewöhnliche Filme zu produzieren – eine Godard-Adaption von KING LEAR z.B., eine Regiearbeit von Norman Mailer oder die Bukowski-Story BARFLY – dient hier mehr als Würzung, um Golan und Cannon noch verrückter aussehen zu lassen.
Zudem bleibt der Film ganz in seiner Cannon-Blase stecken und schafft es nicht, die gesammelten Informationen auch irgendwo anzudocken. Golan und Globus waren ja beileibe nicht die ersten Independent-Produzenten, die sich mit flugs abgedrehten B-Movies eine goldene Nase verdienten – aber der Name Roger Corman fällt kein einziges Mal (obwohl Golan 1963 sogar als Cormans Assistent an SCHNELLE AUTOS UND AFFÄREN arbeitete!), auch z.B. Sam Arkoff und James Nicholson mit ihrer Firma AIP bleiben unerwähnt. Den Blick nach vorne wagt die Doku auch nur ganz am Rande: Hinten wird erwähnt, dass Avi Lerners Firma Nu Image, die sich von Videothekenfutter wie RAGING SHARKS hin zu Mainstream-Actionstreifen wie THE EXPENDABLES oder RAMBO – LAST BLOOD gearbeitet hat, einem ganz ähnlichen Prinzip wie Cannon folgt. Aber eigentlich ist das viel zu kurz gegriffen: Ständig wird betont, dass die Cannon-Filme ohne „guten Geschmack“ auskamen, aber dass exakt solche Ware heutzutage von den großen Studios mit dreistelligem Millionenbudget und Megastars produziert wird, findet keine Erwähnung. Klar, Cannon waren auf gewisse Weise ein filmischer Ramschladen – aber ganz offensichtlich lagen Golan und Globus mit ihren Streifen doch gar nicht so daneben, was Zeitgeist, Popkultur und marktfähige Ideen angeht, wie es hier immer wieder belächelnd behauptet wird. Die beiden Produzenten wussten halt, 13-Jährige aller Altersklassen anzusprechen – genau so, wie das mittlerweile auch die großen Studios machen.
Der Name Roger Corman regt noch einen weiteren Vergleich an: 2011 erschien eine Doku über Corman und seine Filmwelt, CORMAN’S WORLD (bei uns UFOS, SEX UND MONSTER – DAS WILDE KINO DES ROGER CORMAN). Die ist ELECTRIC BOOGALOO in seinen Grundzügen sehr ähnlich: eine erfolgreiche und exzentrische Produzentenfigur, B-Movies am Fließband, ein großer Nachhall in der Popkultur, viele bekannte Interviewpartner (in Cormans Falle freilich um einiges namhafter: Da kommen Martin Scorsese und Jack Nicholson zu Wort). Und doch löst CORMAN’S WORLD die Aufgabe so viel geschickter als ELECTRIC BOOGALOO: Er sammelt lustige Anekdoten, aber er porträtiert seinen Protagonisten auch als Mensch; er streift durch Trash-Filme und gewinnt Cormans Leistung trotzdem viel Respekt ab; er lässt den Zuseher verstehen, warum die Geschichte erzählenswert ist. ELECTRIC BOOGALOO ist hauptsächlich Futter für Leute, die die Cannon-Filme eh schon kennen und ein paar witzige Begebenheiten dazu hören wollen.
Electric Boogaloo – Die unglaublich wilde Geschichte der verrücktesten Filmfirma der Welt! (England/Israel/Australien/USA 2014)
Regie & Buch: Mark Hartley
Kamera: Garry Richards
Musik: Jamie Blanks
Darsteller: Sam Firstenberg, Luigi Cozzi, Boaz Davidson, Sybil Danning, John G. Avildsen, Avi Lerner, Robert Forster, Tobe Hooper, Greydon Clark, Alex Winter, Franco Nero, Michael Dudikoff, Lance Hool, Molly Ringwald, Barbet Schroeder, Richard Chamberlain
Photo: Christian Genzel.