Games

WING COMMANDER: Spielen wie im Film

Spielejournalist Heinrich Lenhardt ist nicht nur Gast in unserer Lichtspielplatz-Folge über die Spieleverfilmungen der Neunziger, wo er und sein Kollege Jörg Langer mit uns über WING COMMANDER reden – er hat im Zuge unserer Retrospektive auch nochmal einen Blick auf die WING-COMMANDER-Spielereihe geworfen.

Großes Kino ist man vom Spielemacher Chris Roberts bereits seit 1990 gewohnt. Da lieferte er ein SF-Ballerspektakel ab, das nicht zuletzt dank seiner Präsentation zum Welterfolg wird: „Anspruchsvolle Unterhaltung, bei der man quasi die Hauptrolle in einem spannenden Film übernimmt“ schwelgte die zeitgenössische Fachpresse über WING COMMANDER. Flair und Atmosphäre zwischen den Missionen sind für das Erlebnis ebenso wichtig wie das eigentliche Spiel. Am Tresen der Bord-Bar lernen wir andere Piloten kennen, an deren Seite es bald in die nächste Schlacht geht. Die packenden Missionsbriefings tun dann ihr Übriges, um den Joystick-Piloten hochmotiviert abheben zu lassen. Zunächst sind es noch gemalte, leidlich animierte Bilder, welche die Geschichte weitererzählen. Aus heutiger Sicht wirken sie rührend altmodisch, vor drei Jahrzehnten rüsteten begeisterte Spieler ihre PCs auf, um diese „Grafikpracht“ erleben zu können.

Nach den Computerspielgrafik-Maßstäben von 1990 ist die filmähnliche Inszenierung von WING COMMANDER höchst beeindruckend, auch wenn Zwischensequenzen wie diese Ordensverleihung noch gezeichnet sind.

Chris Roberts wuchs im englischen Manchester auf und programmierte als Teenager erste Spiele für den BBC-Micro-Computer, bevor er bei Origin Systems in Austin, Texas landete. Schon seit Jahren träumte Roberts vom „interaktiven Kino“ in Form einer Weltraum-Flugsimulation. Zu seinen Inspirationsquellen gehören die STAR-WARS-Filme und ein klassisches Computerspiel: „Ich habe 1984 praktisch nichts anderes gemacht, als ELITE zu spielen“, beichtete Roberts im Interview mit dem Spielemagazin Power Play, „Ich wollte die Idee eine Zeit lang mit einer Wirtschaftssimulation verbinden, aber das wäre ELITE zu ähnlich geworden. Also habe ich mich bei WING COMMANDER für die ‚TOP GUN‘-Variante entschieden.“ Das Spielgefühl wirkt dann auch wie eine Weltraum-Schießbude mit einer Prise Flugsimulation. Mit dem Joystick manövrieren wir uns an Kilrathi-Schiffe heran, jagen Lasersalven in feindliche Hecks und betätigen die Nachbrenner-Taste, um mit kühnen Steuerungsmanövern aus dem Fadenkreuz des Gegners zu entwischen.

Ohne die stimmungsvollen Einsatzbriefings wären die anschließenden Missionen nur halb so schön. Die Kämpfe gegen Kilrathi-Raumschiffe spielen sich wie eine Mischung aus Weltraumschießbude und Flugsimulation.

WING COMMANDER wurde zu einem der erfolgreichsten Computerspiele der frühen neunziger Jahre, es folgten zunächst wenig innovative Erweiterungen und Fortsetzungen. Doch 1994 sorgt WING COMMANDER III – HEART OF THE TIGER für einen multimedialen Paukenschlag. Die körnigen Bitmap-Raumschiffe weichen in Echtzeit berechneten 3D-Objekten. CD-ROM sei Dank werden handgezeichnete Charaktere durch digitalisierte Schauspieler ersetzt. Roberts dreht speziell für das Spiel Filmsequenzen mit Stars wie Mark Hamill, Malcolm McDowell und John Rhys-Davies. Die Clips sind zwischen den Missionen zu sehen und erlauben auch Entscheidungen bei Dialogen oder der Wahl des Flügelmanns. Man staunt nicht schlecht, obgleich die Bildqualität unter der PC-Hardware von 1994 leidet: Damit die langsamen CD-ROM-Laufwerke mit dem Streamen nachkommen, sind die Videos kräftig komprimiert. Bei WING COMMANDER IV (1996) sehen die Filmszenen deutlich besser aus, mit einem Kinofilm wird man sie aber nicht verwechseln. Doch in Verbindung mit dem Spielgeschehen bekommen die Videoclips eine besondere Bedeutung und Wirksamkeit. Der passive Betrachter ist vielleicht wenig beeindruckt, der an der Handlung aktiv teilnehmende Spieler wird gepackt und motiviert.

John Rhys-Davies (links) äugt etwas skeptisch zu Mark Hamill herüber, der in den Videoclips von WING COMMANDER III unseren Helden Christopher Blair verkörpert. Dass speziell für ein Computerspiel Filmszenen mit namhaften Schauspielern gedreht werden, war 1994 eine Sensation.

Wing Commander war eine der erfolgreichsten Spielserien der neunziger Jahre und kam 1999 sogar zu Kinoehren. Im 21. Jahrhundert ist es aber still um Christopher Blair, Kilrathi & Co. geworden . Electronic Arts‘ simpler Multiplayer-Shooter WING COMMANDER ARENA (2007) erboste alte Fans und gewann wenig neue Freunde. Chris Roberts bastelt indes seit Jahren an einem neuen ambitionierten Weltraumspiel: In den Videoszenen von STAR CITIZEN: SQUADRON 42 wirken Schauspieler wie Mark Hamill, Gillian Anderson oder Henry Cavill mit, der genaue Erscheinungstermin steht noch in den Sternen. Was bleibt, sind Erinnerungen an glorreiche Tage in den frühen Neunzigern, als der Spieler-Smalltalk sich um neueste Erlebnisse in der Welt der Tiger’s Claw und Kilrathi rankte. Und darum, wie man seinen 386er-Boliden dafür fit kriegt, um die verschwenderische Grafikpracht des Wing-Commander-Universums darzustellen.

In spielerischer Hinsicht hat sich bei WING COMMANDER III nur wenig geändert, doch die Raumschlachten sind schöner und schärfer; statt klumpiger Sprite-Gegner bekämpfen wir schnittige Polygon-Raumschiffe.

Dieser Text ist Teil unseres „Deep Focus“-Schwerpunkts zu den Spieleverfilmungen der Neunziger.

Photo: Christian Genzel.
Alle Screenshots: Heinrich Lenhardt.

Heinrich Lenhardt
Heinrich Lenhardt ist einer der erfahrensten deutschen Computerspiele-Fachjournalisten und Autor der eBook-Reihe Lenhardts Spielejahre. 1984 begann er seine Laufbahn in der Redaktion Happy-Computer beim Markt&Technik-Verlag. Er konzipierte und leitete eine Reihe von Spiele-Zeitschriften, darunter Power Play (1987), Video Games (1991), PC Player (1992), buffed-Magazin (2007) und CHIP Power Play (2012). Heute arbeitet er von Vancouver aus als freier Journalist und Korrespondent für diverse Print- und Online-Medien wie GameStar und GamersGlobal. Seine persönliche Webseite findet man unter lenhardt.net.

    Comments are closed.

    0 %