BuchFilm

MY FACES OF DEATH: John Alan Schwartz erinnert sich an GESICHTER DES TODES

Der 1978 veröffentlichte Schocker GESICHTER DES TODES ist das filmische Äquivalent dazu, im Vorbeifahren einen Blick auf einen tödlich ausgegangenen Autounfall zu werfen. Ein Pathologe zeigt dokumentarische Aufnahmen des Todes: eine Hinrichtung, ein Sprung in die Tiefe, Unfallopfer, Autopsien, Kannibalismus. Die Aneinanderreihung des morbiden Materials wird kommentiert – angeblich, um unser Verständnis vom Tod vertiefen zu können, aber in Wahrheit bedient der Film natürlich nur die Sensationslust.

Und natürlich war GESICHTER DES TODES vor allem eins: eine perfekte Marketing-Masche. Der Pathologe mit dem hübsch klingenden Namen Dr. Francis B. Gröss ist eigentlich ein Schauspieler, ein Großteil der Szenen ist inszeniert und gestellt – nur manches Archivmaterial ist echt. Aber der Tabubruch ging trotzdem auf: Bei Produktionskosten von $450,000 spielte der Streifen über $30 Mio. ein und zog diverse Fortsetzungen nach sich. Selbst heute – komische Wortwahl: – lebt GESICHTER DES TODES noch vom Nimbus des Verbotenen, sein Reiz zwischen voyeuristischem Nervenkitzel und Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit allen Lebens bleibt bestehen.

John Alan Schwartz hieß der Mann, der hinter GESICHTER DES TODES steckt (und von den Millionen nicht sehr viel sah). Als Regisseur nannte er sich „Conan Le Cilaire“, als Drehbuchautor „Alan Black“ – und er spielte in den Todessequenzen im Lauf der Zeit gleich mehrere Rollen selber, zum Beispiel im ersten Film den Anführer einer Sekte, die Menschenfleisch isst. GESICHTER DES TODES war nur eine Gelegenheit für den jungen Filmemacher, der es eigentlich gar nicht gezielt darauf anlegte, als Underground-Provokateur berüchtigt zu werden. Er schrieb zwei Folgen von KNIGHT RIDER und ein paar andere TV-Skripte, steuerte die Drehbücher zu dem Krimi STREET LIFE und dem Thriller TAXI IN DEN TOD bei – aber die Pseudo-Todesdokus wurden – schon wieder eine komische Wortwahl: – sein Lebenswerk.

In dem kurzen Buch MY FACES OF DEATH: A DEADLY MEMOIR, das 2014 erschien, erzählt Schwartz von sich und von der Entstehung des ersten Films der Reihe. Eine Geschichte aus seiner Kindheit scheint die Antwort auf seine Faszination mit dem Tod zu geben: Sein Vater habe einen Sarg auf dem Dachboden gehabt, erzählt Schwartz, in den der Junge zur Bestrafung mehrfach eingesperrt wurde. Auch spätere Geschichten sind nicht weniger bizarr: Mit 15 wird er in einer New Yorker Privatschule von einer Lehrerin verführt (die ausgerechnet Ethik unterrichtet!), die offenbar psychisch nicht ganz stabil ist, weil sie schon bald ihre Beziehung öffentlich machen und ein Kind von ihm haben will. In einer späteren Episode führt eine Auseinandersetzung mit einem Betrunkenen dazu, dass der vom Zug fällt und vielleicht unter die Räder kam.

Gut möglich, dass solche Geschichten dazu gedacht sind, an den düsteren Nihilismus der Filmreihe anzuknüpfen – als Macher einer Reihe von Fake-Dokumentationen über ein Tabuthema ist man seinem Publikum ja vielleicht auch in der autobiographischen Erzählung den einen oder anderen Kick schuldig, ob echt oder nicht. Das Marketing-Geklapper der Reihe wird jedenfalls unbekümmert weitergespielt: „Banned in 47 countries“, heißt es schon auf dem Cover, so, wie die Reihe selber über all die Jahre hinweg auch immer schon beworben wurde – tatsächlich sind es aber nur eine Handvoll Länder, in denen GESICHTER DES TODES zumindest zeitweise verboten war. (Wenn er wirklich so großflächig verboten gewesen wäre, bliebe die Frage, wie er so viel Geld machen konnte – von der VHS-Raubkopie, die über unseren Schulhof wanderte, hatte Schwartz sicherlich keinen Gewinn.) Auf dem Backcover schreibt er, dass er nach drei Filmen überzeugt war, dass ein Weitermachen gefährlich sei, und dass sein Bruder Jim nach dem vierten Film verschwand – aber das wird im Buch selber tatsächlich nie erzählt. Wenn Schwartz über den Zug-Vorfall nüchtern schreibt, „It was strange but I didn’t feel bad about what had happened. If the guy died, it was his time. That’s all I thought. He didn’t seem like such a great contributor to the human race“, dann ist man beinahe geneigt, das unter Imagepflege einzusortieren: Der Regisseur von GESICHTER DES TODES könnte schwerlich erzählen, dass er gerne Orchideen züchtet. (Das könnte nur Tom Kummer.)

Nach dem Auftakt eilt Schwartz aber dann in schnellen Schritten zu seinem großen Todesepos. Er spielt ein wenig Theater, inszeniert selber einige Stücke und schließt ein Studium am California Institute of the Arts mit einem Bachelor in Kunstwissenschaften ab. Er arbeitet sich zum Schnittmeister hoch und erhält nach einigen Dokumentationen – darunter eine Fernsehdoku namens CREATURES OF THE AMAZON – die Anfrage einiger Japaner, einen Film zum Thema Tod zu erstellen. Und so stürzt sich Schwartz mit Wonne darauf, die Inhalte für GESICHTER DES TODES zu sammeln.

In den folgenden Kapiteln beschreibt er, wie die einzelnen Szenen entstanden sind und getrickst wurden – die Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl beispielsweise, oder die berüchtigte Sequenz, in der in einem exotischen Restaurant einem Affen der Kopf aufgeschlagen wird und die Gäste das warme Hirn aus dem Schädel löffeln (tief durchatmen: Es waren eine Puppe und gefärbter Blumenkohl). Schwartz geht die Entstehung in kurzen Passagen durch, in denen er den eigentlich nüchternen Tonfall immer wieder mit ominösen Sätzen über seine Faszination mit dem Tod bricht – wobei ein Besuch in der Leichenhalle und das Beiwohnen einer Autopsie auch ihm für längere Zeit gehörig auf den Magen schlägt. In bester Low-Budget-Manier wird viel improvisiert und ergibt sich mitunter auch zufällig – wobei der junge Filmemacher für seine Aufnahmen auch nicht gerade zimperlich vorgeht: In einer Szene soll ein Bär einem Schauspieler einen präparierten Arm abreißen, aber die Schauspielerin an seiner Seite wurde auf den Effekt nicht vorbereitet und glaubte, dass ihr Kollege tatsächlich von dem Tier verstümmelt wurde. Für Schwartz ist das ein interessanter Lernprozess: Ab da informiert er nämlich auch andere Schauspieler nicht über alle Effekte, damit ihre Reaktionen umso echter wirken. (Dass der Schauspieler von dem eigentlich trainierten Bären auch verletzt wurde, ist ihm ein paar Seiten später auch eine kurze Überlegung wert, ob der Tod das Filmteam irgendwann einholen würde.)

Nach nur 73 Seiten ist auch schon wieder Schluss mit den Erinnerungen. Man muss es John Alan Schwartz lassen: MY FACES OF DEATH lässt einerseits hinter die Kulissen blicken und schafft es aber gleichzeitig, dem Film ebenso wie seinem Macher weiterhin ein Flair des Verbotenen und Grenzüberschreitenden zu geben.

In den letzten Absätzen schreibt Schwartz über seine eigene Sterblichkeit. „Soon I will be home“, sind die letzten Worte des Buches. Der Mann, der uns in seiner Karriere immer wieder erzählte, dass der Tod überall auf uns wartet, starb im August 2019.

Coverphoto: Christian Genzel.

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

    Comments are closed.

    0 %