FilmRetrospektive

DIE TIGER SIND LOS: Noch ist nicht Freitag, der 13.

Man kann Sean S. Cunningham viele Talente zuschreiben – aber Originalität ist nicht unbedingt seine Kernkompetenz. Sein berühmtester Film FREITAG, DER 13. war eine geschickt aufgezogene Variante von John Carpenters enorm erfolgreichem Horrorfilm HALLOWEEN. Zwei Jahre davor drehte Cunningham noch etwas Familientauglicheres: den Baseballfilm DIE TIGER SIND LOS (im Original: HERE COME THE TIGERS), in dem ein verzagter Coach eine chaotische Kindermannschaft zum Sieg führen soll. Klingt bekannt? Durchaus möglich: 1976 kam der Film DIE BÄREN SIND LOS ins Kino, in dem Walter Matthau als verzagter Coach … nun ja. Die Familienkomödie war erfolgreich genug, dass bis 1980 zwei Fortsetzungen und eine Fernsehserie folgten; später gab es ein Remake und zahlreiche Varianten desselben Prinzips. Cunningham war so gesehen mit HERE COME THE TIGERS richtig früh dran, sein Film erschien einen Monat vor dem dritten BÄREN-Film DIE BÄREN SIND NICHT MEHR ZU BREMSEN.

So schlicht, wie FREITAG, DER 13. narrativ eigentlich aufgezogen ist, fällt auch DIE TIGER SIND LOS aus. Der bisherige Coach des unfähigen Kinderteams erleidet einen Nervenzusammenbruch und droht, im Indianerkostüm vom Dach zu springen („I don’t wanna be cured, I wanna be a Cleveland Indian!“) – bis sich der junge Polizist Eddie Burke beim Versuch, ihn davon abzubringen, das Versprechen abringen lässt, sich selber um die Mannschaft zu kümmern. Ein hoffnungslos ungeschickter Kollege aus dem Revier stellt sich als Assistent zur Verfügung, ein anderer spöttischer Polizist wettet, dass das Team weiter verlieren wird. Aber Burke schafft es, die Kinder zu motivieren und zu trainieren – unter anderem, weil er an aussichtslose Kandidaten wie den Herumtreiber Buster oder den tauben Jungen Danny glaubt.

Es hat einen gewissen Charme, sich vom selben Team, das zwei Jahre später den seinerzeit so berüchtigten FREITAG, DER 13. gemacht hat, einen solch ganz und gar anders gelagerten Film anzusehen. Neben Regisseur und Produzent Cunningham sind hier auch Drehbuchautor Victor Miller (unter dem Pseudonym „Arch McCoy“), Komponist Harry Manfredini, Kameramann Barry Abrams sowie Second-Unit-Regisseur Steve Miner (hier auch als Cutter und Produzent) mit an Bord – also eigentlich die Kerncrew des Horrorklassikers. Es hat den Effekt, dass DIE TIGER SIND LOS ästhetisch gesehen gar nicht so unglaublich weit von FREITAG, DER 13. entfernt ist: Die ungezwungene Natürlichkeit, die letzteren Film in seinem Look und seiner Inszenierung auszeichnet, ist auch hier zu sehen, ebenso wie die – natürlich auch durch das geringe Budget bedingte – Tatsache, dass die Schauspieler eher unerfahren sind und wie ganz normale Leute aussehen.

Es ist vor allem diese Natürlichkeit, die an DIE TIGER SIND LOS gefällt. Man spürt die Independent-Machart an allen Ecken und Enden, aber ganz entgegen seiner kalkulierten Entstehung – wie auch beim späteren FREITAG, DER 13. suchte Cunningham schlicht nach einem Stoff mit kommerziellem Potential – wirkt nichts an dem Film zynisch oder schludrig gemacht: Das Handwerk sitzt, und die Beteiligten sind mit Eifer und Spielfreude bei der Sache (wie zum Beispiel der hübsch gespielte Moment, wo einer der Kids das einzige Mädchen auf ein Date im Autokino einlädt – mit Klappstühlen; oder das lässige Auftreten von Buster vor der Jugendrichterin). Tatsächlich ist der Film für Cunningham, ähnlich wie DAS BÖSE für Don Coscarelli, eine Familienangelegenheit: Sein Sohn Noel spielt eines der Kinder, seine Tochter Jessica ist als Cheerleaderin zu sehen, seine Frau Susan wirkte als Art Director und Schnittassistentin mit, und ein potentieller weiterer Verwandter namens Kevin Cunningham ist auch noch im Abspann zu finden. Dort steht auch Cunninghams enger Freund Wes Craven, als „stunt gaffer“ – vielleicht ist es ein Gag, vielleicht sprang der Mann, für den Cunningham 1972 DAS LETZTE HAUS LINKS produzierte, aber auch irgendwo helfend mit der Technik ein.

Craven wird übrigens auch noch im Film mit einem netten Gag bedacht: Am Spielfeldrand, wo die verschiedensten Werbeplakate prangen, ist einmal eine Werbung für die Firma „Craven Septic & Sewer Service“ zu sehen. Inhaber „Cesspool Wes“ wird mit dem Spruch „If your cellar’s a mess, don’t blame Wes“ beworben. Wes Craven, Spezialist für Faulgruben und Abwasserkanäle? Der Meister, der so gerne in Amerikas Herz der Finsternis blickte, hatte sicherlich seinen Spaß an dem ironischen Gruß.

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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