Steven Spielberg sucht gerne in der Vergangenheit nach Geschichten, mit denen er die Gegenwart kommentieren kann. MÜNCHEN mag sich um das Olympia-Attentat von 1972 und den ewig währenden Konflikt zwischen Israel und Palästina drehen, aber wenn in einer Einstellung das World Trade Center auftaucht und ermahnt wird, dass Gewalt immer nur weitere Gewalt als Reaktion erzeugt, wird klar, worauf der Film eigentlich hinauswill. BRIDGE OF SPIES nutzt seine Kalter-Krieg-Spionagegeschichte, um die gegenwärtige Aushöhlung der Bürgerrechte anzuklagen. Selbst das Invasionsspektakel KRIEG DER WELTEN, eine Reaktion auf die 9/11-Terrorgegenwart, fand seine Inspiration in einem alten Science-Fiction-Film der Fünfziger und einer noch älteren Novelle von H.G. Wells. Vielleicht spürt man hier noch die New-Hollywood-Wurzeln von Spielberg, die sonst in seiner Ästhetik und Erzählweise wenig Spuren hinterlassen haben: Regisseure wie Penn (BONNIE & CLYDE), Altman (DIEBE WIE WIR), Scorsese (DIE FAUST DER REBELLEN) und Malick (BADLANDS) tauchten gerne in das Früher ein, um über das Jetzt zu sprechen.
Der Anlass für Spielbergs DIE VERLEGERIN war ganz deutlich in der Gegenwart verankert: Nachdem die freie Presse durch Donald Trump unter vehementen Beschuss geraten war und dank Schlagwörtern wie „Fake News“ an Boden verlor, sollte eine journalistische Heldengeschichte auf die Wichtigkeit der vierten Gewalt hinweisen. Im Schnellverfahren schob Spielberg den Film in seinen Zeitplan, um möglichst zeitnah sein Plädoyer für die Pressefreiheit veröffentlichen zu können: Im Februar 2017 las er das Skript, im Mai desselben Jahres war bereits Drehstart, im Dezember 2017 startete der Film schon in den US-Kinos.
DIE VERLEGERIN erzählt die Geschichte der sogenannten „Pentagon Papers“: Diese geheimen Regierungsdokumente waren gewissermaßen eine Studie, die der ehemalige Verteidigungsminister Robert McNamara in Auftrag gegeben hatte, um die Fehler des Vietnamkriegs zu dokumentieren – und aus der hervorging, dass die amerikanische Regierung schon früh wusste, dass der Krieg nicht zu gewinnen sei, aber jahrelang – durch mehrere Präsidentschaften hindurch – den Konflikt aufrechterhielt, um sich die Schmach einer Niederlage zu ersparen. Ein Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums, Daniel Ellsberg, fertigte 1971 heimlich Kopien des Berichts an und ließ sie als früher „Whistleblower“ der New York Times zukommen. Als die anfing, darüber zu berichten, schaltete Präsident Richard Nixon die Justiz ein und versuchte, die Times mit einer Klage an weiteren Veröffentlichungen zu hindern. Die Dokumente gelangten in die Hände der Washington Post, wo man mutig genug war, die Enthüllungen über die Lügen der Regierung fortzusetzen. Die Berichterstattung trug einen wesentlichen Teil zur Beendigung des Vietnamkriegs bei und hob die Washington Post auf die Ebene einer nationalen Großpublikation – von wo aus sie wenig später die Watergate-Affäre aufdecken konnten, die Nixon zu Fall brachte.
Im Originaltitel feiert Spielberg die Zeitung als Institution: THE POST bezieht sich dabei natürlich nicht nur auf die Washington Post, sondern auf die Rolle der Medien als Posten, als Wächter über die Geschehnisse im Land. Dass mit dem deutschen Titel stattdessen die Eigentümerin der Washington Post, Verlegerin Katherine Graham, ins Zentrum gerückt wird, ist aber nur konsequent: Wie so oft erzählt Spielberg seine Geschichte mit Fokus auf die Menschen, die in ihrem Zentrum stehen. Graham hatte die Post von ihrem 1963 verstorbenen Ehemann Philip Graham geerbt, der sie seinerseits von Grahams Vater Eugene Meyer übertragen bekommen hatte. Als Frau in der Medienwelt hatte sie es nicht leicht, als Eigentümerin einer Publikation war sie in der Männerwelt der Sechziger und Siebziger eine Anomalie. So wichtig Spielberg das Ideal der Pressefreiheit in seiner Story auch ist, die Hochachtung vor der Person Katherine Graham strahlt noch deutlicher durch den Film: Wenn im Finale aufgereihte junge Frauen der mutigen Verlegerin, die sich von den Einschüchterungsversuchen seitens der Regierung nicht vom richtigen Tun abhalten ließ, nach ihrem Sieg vor Gericht bewundernde Blicke zuwerfen, wird klar, dass der Film vor allem einer bemerkenswerten Frau seinen Respekt erweist.
Überhaupt ist der Film von aufrechten Helden bevölkert, die wir bewundern müssen. Neben Graham strahlt Chefredakteur Ben Bradlee, der sich vehement für die Berichterstattung über die „Pentagon Papers“ einsetzt und dabei in seinen Dialogzeilen wie aus dem Lexikon die Rolle der freien Presse deklariert: „We have to be the check on their power. If we don’t hold them accountable, then, my God, who will?“ Gleichsam bewundernswert ist Ellsberg, der für seinen Diebstahl der Dokumente mit lebenslänglicher Haft rechnen musste und doch das Allgemeinwohl über das eigene stellt: „Wouldn’t you go to prison to stop this war?“ Und ebenso heldenreich sind Redakteur Ben Bagdikian, der Ellsberg ausfindig macht und die Dokumente der Post beschaffen kann, und all die anderen Mitarbeiter, die hier für das journalistische Ideal einstehen.
Vielleicht ist das der Haken, weshalb DIE VERLEGERIN nicht gar so sehr als aufrüttelndes Statement funktioniert, wie er es gerne hätte: Der Film stellt so viele Podeste in den Raum, dass der Sieg der Integrität sich dabei wie eine Selbstverständlichkeit anfühlt. „We never really question what anyone is going to do“, schreibt Brian Tallerico in seiner gut beobachteten Kritik des Films. Die eigentlich so mächtigen Antagonisten haben beinahe keine Präsenz: Nixon wird nur sporadisch bei Telefonaten gezeigt, durch das Fenster des Weißen Hauses von hinten gefilmt, damit die tatsächlichen Tonaufnahmen der Gespräche eingesetzt werden können. Die Gewalt der Exekutive bleibt anonym, Auswirkungen bekommen wir nur in Form der Klage gegen die New York Times mit. Einzig Robert McNamara bekommt ein Gesicht – aber er ist als fehlbarer Mensch gezeichnet, der seine Irrtümer per Studie für die Nachwelt dokumentieren wollte und sich nur wünscht, jetzt nicht ohne „Perspektive“ beurteilt zu werden. Da können die Anwälte der Washington Post noch so sehr schwarzmalen: Der rechte Weg ist hier kein entbehrungsreicher oder von Zweifeln bestimmter Kampf gegen Übermächte, sondern nur eine Frage der Aufrichtigkeit.
Das bedeutet aber nicht, dass DIE VERLEGERIN nicht doch viel zu bieten hätte: Die wie ein Thriller aufgezogene Geschichte schafft es durch Spielbergs geschicktes Handwerk, trotz wenig greifbarer Fallhöhe der Figuren eine große Spannung aufzubauen. Das Ensemble verleiht den Charakteren enorme Authentizität – eine ganze Reihe guter Charakterdarsteller (u.a. Bob Odenkirk, Michael Stuhlbarg, Bradley Whitford, Bruce Greenwood, Sarah Paulson) gehen mit der liebevoll detaillierten Ausstattung Hand in Hand und erwecken eine vergangene Zeit zum Leben, ohne ständig Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Und neben dem stets aufrechten Tom Hanks, der hier als Ben Bradlee einmal mehr ganz mühelos den bodenständigen Alltagsmenschen mit der Rechtschaffenheit eines James Stewart verbindet, brilliert vor allem Meryl Streep als Katherine Graham: Es ist ein vielschichtiges Porträt einer Frau, die keinesfalls zur Anführerin geboren wurde und ihren Platz in der Welt plötzlich erst wieder neu finden muss.
Letztlich kann man THE POST ebenso bewundern wie all seine Heldenfiguren: Es ist ein Film, der sich nach seinem besten Vermögen anstrengt, das Richtige zu tun. Als Porträt einer Zeit und einer beeindruckenden historischen Figur ist er makellos, als Statement für die Wichtigkeit der freien Presse mag man ihn mit all seinen idealistischen Zeilen sofort unterschreiben. Nur als Politikum geht er nicht auf – vielleicht, weil er zu keiner Debatte einlädt, und vielleicht, weil die Washington Post von 1971 einfach doch nicht so viel mit den Herausforderungen unserer heutigen Zeit zu tun hat. Möglicherweise wäre die Gegenwart für das, was THE POST sagen will, doch die reichhaltigere Quelle gewesen.
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