FilmRetrospektive

REPO MAN: Von Autopunks und jungen Dinosauriern

Ein alter Chevy Malibu kurvt in Schlangenlinien durch die amerikanische Mojave-Wüste. Der Fahrer wirkt nicht nur deshalb leicht derangiert, weil seine Sonnenbrille nur noch auf einer Seite ein Glas im Rahmen trägt. Als er von einem Highway-Polizisten angehalten wird, der den Kofferraum überprüfen will, warnt er den diensteifrigen Cop noch: „You don’t wanna look in there“. Zu spät: Der Polizist öffnet den Kofferraum – und verbrennt in einem strahlenden Licht, das nur mehr seine rauchenden Stiefel übriglässt.

Derweil zieht der junge Punk Otto durch die Straßen von Los Angeles. Sein Job im Supermarkt ist öde, eine richtige Verbindung zu Freunden oder Familie hat er nicht. So gerät er durch Zufall in den Kreis der „Repo Men“: eine Gruppe von Asphaltcowboys, die ihren Lebensunterhalt damit verdienen, die Autos von Leuten zu entwenden, die ihre monatlichen Raten nicht mehr zahlen können. Otto fühlt sich bei den Repos gut aufgehoben und lernt vor allem von seinem Mentor Bud viel über das Geschäft. Als dann eine Suchmeldung nach einem Chevy Malibu herausgegeben wird, der $20.000 Prämie bringen soll, interessieren sich plötzlich die unterschiedlichsten Gruppen für den alten Wagen …

„A lot of people don’t realize what’s really going on“: Miller (Tracey Walter, l.) hat den Durchblick.

REPO MAN, der Debütfilm des Engländers Alex Cox, ist ein Film, der ganz und gar den Geist der Punk-Ära atmet. Mit zynischem Blick, eigenwilligem Humor und lakonischem Schulterzucken entwirft er ein Bild einer Welt, der alle Bedeutungen abhandengekommen sind. Das trifft vor allem unseren jugendlichen Protagonisten Otto: Die Jobperspektiven sind trist bis aussichtslos, die Begeisterung seines angepassten Kollegen Kevin zu den Chancen auf dem Arbeitsmarkt kann er nicht teilen („There’s fuckin‘ room to move as a fry cook“, jubelt der. „I could be manager in two years. King! God!“). Seiner Freundin Debbi ist es egal, ob sie mit ihm oder mit seinem Freund Duke schläft. Seine Eltern sitzen wie die Zombies vor der Flimmerkiste und erklären ihm, dass sie ihr gesamtes Geld einem Fernsehprediger gespendet haben (der seinen Spendenaufruf ganz einleuchtend erklärt: „I DO want your money, because god wants your money“). Es ist die Tristesse amerikanischer Betonwüsten, aus deren Pespektivlosigkeit später Bands wie Korn hervorgehen sollten. „I was a teenage dinosaur / Stoned and obsolete“, krakeelt Iggy Pop auf dem Titelsong.

Kein Wunder, dass sich Otto zu den Repo Men hingezogen fühlt: Die verdienen nicht nur gutes Geld, sondern grenzen sich vom Rest der spießigen Bevölkerung ab. „Look at those assholes“, deutet Bud vom Auto aus auf eine Gruppe ganz unauffälliger Stadtbewohner. „Ordinary fucking people. I hate ´em.“ Während der Normalbürger bedrohliche Situationen vermeidet, sucht der Repo Man danach, erklärt er. Worauf Otto wohl am meisten anspringt, ist die Tatsache, dass die Repos klare Werte vertreten, auch wenn die passend zu dieser Welt eher absurd anmuten: Bud lässt nicht zu, dass ein Auto in seiner Obhut beschädigt wird (seine Erklärung ist wie eine Parodie des Asimovschen Robotergesetztes), und er nimmt keine Kommunisten in seinem Wagen mit. Repo-Kollege Lite fährt nicht, wenn jemand nicht angeschnallt ist. Und Miller fährt überhaupt nicht selber: „The more you drive, the less intelligent you are“, erklärt er und nimmt lieber den Bus, um darüber nachzudenken, dass die Menschheit von verschwundenen Südamerikanern abstammt, die mit einer Zeitmaschine in die Vergangenheit gereist sind.

Repo Men unter sich: Lite (Sy Richardson, links) und Bud (Harry Dean Stanton).

Der Punk-Geist zieht sich durch den ganzen Film. Auf dem Soundtrack rumpeln Kultbands wie die Suicidal Tendencies, Black Flag oder die Circle Jerks – letztere tauchen sogar in einer Szene in einem Club auf, wo sie wie eine desinteressierte Lounge-Band „When the Shit Hits the Fan“ vortragen. Die Rebellionsgesten sind Punk: Wenn Otto seinen Supermarktjob hinschmeißt (weil er es nicht aushält, dass Kollege Kevin einen 7up-Werbesong vor sich hinträllert), reißt er sich die schwarze Fliege vom Hals. Der Humor passt dazu: der weggestrahlte Polizist; ein angeschossener Punk, dessen letzte Worte wie eine Parodie ähnlicher Szenen wirken („The lights are growing dim, Otto“, keucht er. „I know a life of crime has led me to this sorry fate, and yet, I blame society“); die Hippie-haften esoterischen Gedankenflüge von Miller, der über einen „lattice of coincidence“ redet, der über allem liegt (weshalb die Filmemacher mit ständigen Zufällen spielen können); ein Held, der dem einfach so um die Kurve biegenden Chevy Malibu hinterherlaufen will und sich nach nur wenigen Sekunden des Rennens prompt übergeben muss. Ganz und gar Punk ist auch die Ausstattung: Auf ganzer Linie wurden die Markenartikel gegen banale Beschriftungen ausgetauscht, weshalb die Figuren weiße Bierdosen mit der Aufschrift „beer“ trinken, aus weißen Dosen mit der Aufschrift „food“ essen, und die Supermärkte mit weißen Boxen für „cornflakes“ und „dry gin“ bestückt sind.

Ottos Brille ist aus Wim Wenders‘ Film IM LAUF DER ZEIT entliehen – eine ganz andere Roadtrip-Sinnsuche, die ebenso wie REPO MEN von Robby Müller photographiert wurde.

Was ist nun eigentlich im Kofferraum des Chevy Malibu? Wir wissen es nicht. Leila, ein junges Mädchen, das Otto unterwegs aufgabelt, erklärt, dass sich Außerirdische in dem Kofferraum befinden, deren tote Körper langsam verwesen – weshalb auch zahlreiche Regierungsbeamte, wahre „Men in Black“, hinter dem Auto her sind, um das Geheimnis zu schützen. J. Frank Parnell, der verrückte Fahrer des Autos, redet dagegen davon, wie gut doch Strahlung für jeden sei – und erzählt dann von „einem Freund“, der die Neutronenbombe erfunden hat, bei der die Personen zerschmelzen, aber die Gebäude stehenbleiben. „So immoral, working on the thing can drive you mad“, plaudert er. „That’s what happened to this friend of mine. So he had a lobotomy. Now he’s well again.“

Und wohin ist Parnell eigentlich mit seinem Auto unterwegs? Vielleicht nirgendwohin, wie die meisten der Figuren dieses Films, die durch die tristen Straßen von L.A. fahren und allesamt auf einer Suche nach etwas sind, das sie ohnehin nicht finden werden. Möglicherweise hat ja ausgerechnet der Spinner Miller Recht damit, nicht auch fahren zu wollen: Wohin denn auch? Immerhin wird er am Ende des Films dafür ja auch belohnt. „Where we’re going, we don’t need roads“, würde dazu ein verrückter Wissenschaftler aus einem ganz anderen Film sagen.

Repo Man (USA 1984)
Regie & Buch: Alex Cox
Kamera: Robby Müller
Musik: Steven Hufsteter, Humberto Larriva
Darsteller: Emilio Estevez, Harry Dean Stanton, Tracey Walter, Olivia Barash, Sy Richardson, Susan Barnes, Fox Harris, Del Zamora, Zander Schloss, Dick Rude, Vonetta McGee

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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