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HALLOWEEN: Eine 40-jährige Horror-Tradition

In unserer Podcast-Folge „Sequels, Prequels, Requels“ haben wir mit ganz aufrichtigem Augenzwinkern versucht, Begriffe für verschiedene Fortsetzungsarten zu finden, und haben dafür unter anderem die Bezeichnung „Selectquel“ eingeführt: eine Fortsetzung, die sich aussucht, welche Teile der Reihe überhaupt fortgesetzt werden. Die 2018 erschienene HALLOWEEN-Fortsetzung ist ein Parade-Selectquel: Die sieben bisherigen Sequels werden ebenso ignoriert wie das Rob-Zombie-Remake und dessen Fortsetzung – stattdessen soll einfach nur direkt an den 40 Jahre alten Originalfilm angeknüpft werden. Das bedeutet, daß sämtliche Handlungsstränge der anderen Filme entfallen – die Tatsache, daß Killer Michael Myers der Bruder der Protagonistin Laurie Strode sein soll, der okkulte Zirkel, der Myers beschwört und steuert, und nicht zuletzt das ohnehin unwürdige Ende von Strode im letzten regulären Teil. Das Selektive paßt zur momentanen Buffet-Haltung der Kinogänger: Es darf ja nichts angeboten werden, wo der Fan beim Essen vielleicht weinen muss. Wenn die Broccoli-Beilage nicht nur Freunde findet, gibt’s halt nur noch Fritten.

Nun haben sich die übrigen HALLOWEEN-Teile eigentlich ohnehin noch nie streng an ihren Vorgängern orientiert. HALLOWEEN 4 ignorierte gekonnt, daß sich Myers‘ Verfolger Dr. Loomis selber geopfert hatte, und ließ den Mann, der eigentlich in HALLOWEEN II einer Explosion umgekommen ist, mit Narbe und Hinkebein weiterjagen. HALLOWEEN 5 ignorierte das Ende des Vorgängers, in dem das Böse von Myers auf seine kleine Nichte übergeht. HALLOWEEN H20, noch so ein Parade-Selectquel, ignorierte die Geschehnisse von Teil 4 bis 6 vollständig und strich die Nichte ebenso aus der Chronologie wie die Tatsache, daß Strode laut dem vierten Teil bei einem Autounfall ums Leben gekommen sei. Der Unterschied zu früher ist beim neuen HALLOWEEN nur der, daß das Revidieren früherer Handlungsstränge diesmal als Alleinstellungsmerkmal beworben wird, anstatt es unter den Teppich zu kehren.

Da ist es ganz klar, daß Michael Myers auch diesmal wieder nach Haddonfield zurückkehren muß, um sein Mordwerk fortzusetzen. 1978, also im Originalfilm, brachte der psychopathische Killer, der schon als Kind seine Schwester ermordete, zur Halloweennacht mehrere Teenager um, bis er von der wehrhaften Laurie Strode zur Strecke gebracht werden konnte. 40 Jahre verbrachte er seitdem in einer Anstalt, ohne ein Wort zu sprechen. Sein damaliger Arzt Loomis ist längst verstorben, mittlerweile ist Myers in der Obhut von Loomis‘ ehemaligem Schüler Sartain. Als Michael in eine andere Anstalt überführt werden soll, kann er ausbrechen („Er ist jetzt nicht mehr apathisch“, stellt der psychoanalytische Fachmann hilfreich fest). Bei seiner Rückkehr nach Haddonfield wird er wieder auf Laurie Strode treffen, die sich in den letzten Jahrzehnten so verbissen auf das kommende Böse vorbereitet hat, daß darüber die Beziehung mit ihrer eigenen Tochter zerbrach.

Laurie Strodes Enkelin Allyson (Andi Matichak).

HALLOWEEN ist ein Film, der nur in einem ständigen Bezug zur Vergangenheit existiert – und das nicht nur, weil beständig von den Geschehnissen von vor 40 Jahren gesprochen wird und der Streifen als Rückbesinnung auf eine Geschichte von 1978 konzipiert ist. Von vorne bis hinten ist der Film von einem Nachhall des Originals durchzogen – angefangen bei der Schrift des Vorspanns über die vertraute Musik hin zur Übernahme des vertrauten Slasher-Musters. Wir sehen die alte Jamie Lee Curtis wieder (vielleicht die größte Bank dieses Film, dieser lässigen Lady wieder einmal die Leinwand zu überlassen), wir erinnern uns an Loomis, in einem Gastauftritt taucht Schauspielerin P.J. Soles auf, einst Opfer im Originalfilm. Die Verbeugung vor dem Urfilm geht so weit, daß manche Einstellungen als direkte Zitate oder Umkehrungen eingesetzt werden – wenn beispielsweise Strodes Enkelin in der Schule aus dem Fenster schaut und ihre Großmutter sieht (im ersten HALLOWEEN war es Strode, die draußen Myers sah), oder wenn der Schluß des ersten Films quasi auf den Kopf gestellt wird. Da können noch so modern die Podcaster anreisen, um die Myers-Story als True-Crime-Reißer aufzuziehen: Dieser HALLOWEEN ist eine absolute Nostalgieveranstaltung, die nichts mit dem Jahr 2018 zu tun hat.

In diesem rückwärtsgerichteten Blick ergibt sich ein kurioser Effekt: Obwohl der Film so dezidiert alle anderen HALLOWEEN-Filme aus dem Gedächtnis streichen will, bedient er sich dann doch recht unbekümmert bei allem, was sie so zu bieten hatten. Das Verwandtschaftsverhältnis zwischen Strode und Myers, das in HALLOWEEN II erzählt wurde, wird in einem Gespräch aufgegriffen und als Legende abgetan – aber im Finale kämpfen drei Strode-Generationen gegen den Killer, dessen sonst so willkürlichen Angriffe nur hier eine persönliche Komponente haben. Als Gag sind einmal die Horrormasken aus HALLOWEEN III zu sehen, der nicht einmal etwas mit Michael Myers zu tun hatte. Die Geschichte um die von den Ereignissen traumatisierte Laurie Strode wurde in HALLOWEEN H20 bereits erzählt. Die Schlußeinstellung weckt Erinnerungen an HALLOWEEN 4, ebenso wie eine Mordsequenz an einer Tankstelle. Und die Podcaster, die mit der Faszination des Bösen ihr Geld machen, wirken wie entfernte Verwandte der Loomis-Interpretation von Rob Zombie, der den Arzt als Selbstdarsteller inszenierte, der als True-Crime-Autor von der Myers-Story profitiert. Eigentlich macht HALLOWEEN im Jahr 2018 also nichts anderes als all die Jahre davor: Es wird eben entliehen und gestrichen, was gerade paßt oder stört.

Weil HALLOWEEN so sehr in seiner eigenen Vergangenheit steckt, ist der Film leider auch durch die Bank ambitionslos: Es soll das Gefühl von früher wiederhergestellt werden, weshalb sämtliche interessanten Ansätze im Keim erstickt werden. Natürlich bewegten sich auch die früheren Sequels durch vertrautes Terrain, aber sie waren mit einigen Ansätzen verknüpft, mit der Myers-Geschichte irgendwohin zu kommen, sie auszuweiten, andere Protagonisten dafür zu finden oder sie ganz aus ihrem gewohnten Trott zu reißen (siehe HALLOWEEN III und Rob Zombies HALLOWEEN II). Im vorliegenden Update hat man wahrlich schon alles gesehen. Sicher, Regisseur David Gordon Green erzählt eine funktionierende Geschichte und formt einige schöne Sequenzen – aber ihm fehlt die inszenatorische Präzision von John Carpenter ebenso wie der Wille, sich die Story irgendwie zu eigen zu machen. Sein HALLOWEEN ist eine Coverversion der Offensichtlichkeiten: Das Trauma von Strode ist hier so deutlich ausbuchstabiert, daß sie eine Waldhütte mit Waffenarsenal baut und wie Sarah Connor ihr Kind auf die Apokalypse vorbereitet – aber so keine interessanten Einblicke in ein tatsächliches Trauma bietet. Auch eine Horror-Fortsetzung darf seine Figuren differenzierter zeichnen.
Laurie Strode (Jamie Lee Curtis) bereitet sich und ihre Familie wie Sarah Connor auf das kommende Böse vor.

Ich darf das Wort an meinen Podcast-Partner Dr. Wily übergeben, der noch ein paar Gedanken zur Haltung des Films festhalten will:

Was diesen neuen HALLOWEEN durchzieht, ist in erster Linie Traditionalismus. Die Menschen wollen dasselbe wie früher, also orientiert sich der Film an Carpenters Original. Wer definiert und entscheidet, daß die Leute das wollen, bleibt ungeklärt – die Filmemacher, die das vom Publikum annehmen, oder das Publikum, das immerhin in acht Fortsetzungen gelaufen ist, um den neuen Film erst zu ermöglichen. Aktuell hat das Traditionelle auch automatisch den Nimbus der Qualität. Erprobter Qualität. Weil es eben schon einmal funktionert hat. Neues ist zu unsicher. Zu verunsichernd. Aber das ist eigentlich genau das, was Horrorkino tun soll. Verunsichern.

Ich habe das Gefühl, daß es da auch um ein gesellschaftliches Element geht. Auch dort erleben wir eine Bewegung hin zum Bewährten, zum Konservativen, zum Traditionellen. Das soll Sicherheit vermitteln und geben. Es wird etwas gesucht, auf das man sich verlassen kann, während die Welt um uns herum in immer kleinere und virtuellere Subkulturen und ausdiffenzierte Filterblasen zersplittert. Ein Monster wie Michael Myers bietet dagegen ein sichtbares Feindbild, das man attackieren und besiegen kann – anders als potentiell gefährliche Ideologien oder Gewaltphantasien in Köpfen von Menschen, die noch dazu aussehen wie wir alle und wie wir sie in aktuellen Horrorgeschichten wie etwa der PURGE-Reihe sehen.

Vielleicht ist also auch der gute alte Michael Myers von 1978 ein Monster, das mittlerweile der Sehnsucht entspringt. Nach einer Welt, in der die Dinge noch überschaubarer und kontrollierbarer waren. Die Monster aus THE PURGE kann man nicht besiegen. Man entkommt ihnen bestenfalls. Und das auch nur bis zum nächsten Jahr.

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Halloween (USA 2018)
Regie: David Gordon Green
Buch:David Gordon Green, Danny McBride, Jeff Fradley
Musik: John Carpenter, Cody Carpenter, Daniel Davies
Kamera: Michael Simmonds
Darsteller: Jamie Lee Curtis, Judy Greer, Andi Matichak, Nick Castle, James Jude Courtney, Haluk Bilginer, Will Patton, Virginia Gardner, Rhian Rees, Jefferson Hall

Alle Photos: Ryan Green – (C) Universal Pictures

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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