Nach den Einzelfilmen um Iron Man, den Hulk, Thor und Captain America treten die Comichelden in THE AVENGERS im Ensemble auf. Gastautor Dr. Wily berichtet über Joss Whedons Großevent im Marvel-Universum.
Joss Whedon läßt also endlich das Superhelden-Dream-Team Iron Man, Hulk, Captain America, Thor, Hawkeye und Black Widow zuerst aufeinander und dann auf den bösen Gott Loki los, der wunderbar klassisch die Menschheit unterjochen will, einfach weil es ihm Spaß macht. Wozu viel Ballast, wenn’s auch einfach geht. Die Einzelabenteuer der jeweiligen Helden haben ihnen in den vier Jahren zuvor genug Backstory gegeben und die Charaktere ausreichend eingeführt. Jetzt kann Whedon diese Figuren, allesamt starke Egos, in einen Raum zusammensperren und zusehen, was dabei passiert. Als jemand, der schon immer sehr an Figurenzeichnung und Dialog interessiert war, läßt er sie mit sichtlichem Spaß aufeinanderprallen und sich kabbeln und streiten wie kleine Kinder, bis sie erst im letzten Drittel wirklich zu einem Team zusammenfinden. Obwohl THE AVENGERS mit einer dicken Actionsequenz beginnt, in der Loki (Tom Hiddleston) den Tesseract klaut und sich Hawkeye (Jeremy Renner) und Dr. Selvig (Stellan Skarsgard) gefügig macht, liegt der Fokus der nächsten Stunde auf, vor allem für einen Actionfilm, zahlreichen Dialogszenen – als könnte sich Whedon gar nicht satthören an seinen Helden. Bei allen coolen One-Linern und Wortgefechten wird THE AVENGERS aber nie redselig. Im Gegenteil: Alles ist wortgewandt, schlagfertig und vor allem komisch. Vieles davon bekommt man erst beim zweiten oder dritten Mal mit.
Im selben Team und doch Rivalen: Iron Man Tony Stark (Robert Downey Jr., l.) und Captain America (Chris Evans). |
Whedons Welt ist seine eigene, die sich nicht bemüht, viel mit der unsrigen zu tun zu haben (sich aber auch nicht wehren würde, wenn sie es tut). Es ist nicht Whedons Interesse, unbedingt an die Realität anzudocken, wie es etwa IRON MAN oder CAPTAIN AMERICA mit ihren Bezügen zum Militär und dem Krieg irgendwie tun. Er interessiert sich für die Geschichte, die Figuren und das Genre, und wie er damit kreativ umgehen kann. Er bleibt mit THE AVENGERS tief im Marvel-Universum und hat als Fanboy mit diesem Film eine riesengroße Spielwiese bekommen, auf der er sich austobt. Kein anderer der bisherigen Marvelfilme ist so zufrieden mit sich selbst beschäftigt wie THE AVENGERS.
Es hilft, daß Whedon, als Autor ohnehin immer geachtet, als Regisseur einiges seit seinem letzten Kinofilm SERENITY dazugelernt hat. Der steht in Sachen Geschichte, Figuren und Dialoge THE AVENGERS um nichts nach, aber gerade die Actionsequenzen wirken in SERENITY etwas hölzern. Man sieht dem Film Whedons Fernsehvergangenheit an. In THE AVENGERS inszeniert er jetzt entsprechend der großen Geschichte auch große Kinobilder, und die Actionszenen sitzen nicht nur, sondern sind bei allem kreativen Irrsinn, den er gerade in der Schlußsequenz abfackelt, immer klar nachvollziehbar und übersichtlich.
Da spendieren wir doch glatt ein Einzelbild: Black Widow (Scarlett Johansson). |
Das Drehbuch zeigt sich von seinen Figuren zwar begeistert, aber nicht geblendet. Es war auch immer Whedons Merkmal, gerade die Schwächen seiner Charaktere herauszuarbeiten. Er tut das gerne, aber nicht ausschließlich, mit Humor, läßt sie alle Ziele von Witzen werden. So ist Iron Man (Robert Downey Jr.) zwar überheblich, selbstverliebt und souverän wie eh und je – aber zusätzlich wird Tony Stark endlich emotional berührt und berührend. Chris Evans schlägt sich als ernsthafter und altmodischer Captain America mit der ironischen Gegenwart herum und arbeitet sich vor allem am arroganten Tony ab. Er kriegt endlich den Stock in den Hintern, der seiner moralischen Überheblichkeit innewohnt. Thor (Chris Hemsworth) darf weiter schön theatralisches und deplaziertes Pathos verbreiten – mit ihm wurde ja in seinem Einzelabenteuer schon lockerer umgegangen als mit seinen Kollegen. Scarlett Johansson bekommt als Superspionin Black Widow mehr Raum als bei ihrem ersten Auftritt in IRON MAN 2 und dazu einen schönen Subplot mit Hawkeye (Jeremy Renner). Beide Figuren werden in sehr wenig Zeit sehr treffsicher und markant ausgefleischt.
Am interessantesten ist Mark Ruffalo als Bruce Banner alias Hulk – der dritte Schauspieler in neun Jahren, der das „große grüne Wutmonster“ spielt, und für mich die schlüssigste Interpretation der Figur (ganz abgesehen davon, daß hier der Hulk auch am makellosesten animiert ist). Er spielt Bruce Banner als einen Mann, in dem es immer irgendwie brodelt, und der sich und andere schützt, indem er auf Abstand zu den Menschen geht. Hinter seinem sanften Auftreten ist er ein bis zur Feindseligkeit mißtrauischer, aber immer höflicher Mensch, der mit hellwachem Verstand hinter jedem einen eventuellen Verrat vermutet. Die Angst vor dem unkontrollierbaren Teil in ihm ist aber nur ein Aspekt. Banner ist weder ein schnell aufbrausender, unkontrollierbarer Choleriker noch ein verängstigtes Häufchen Unsicherheit, wie er noch in DER UNGLAUBLICHE HULK porträtiert wurde. Ihm ist von der Welt genug angetan worden, daß er den Hulk auch sehr selbstbewusst als Drohung einsetzt. Ruffalos Banner versteckt sich nicht nur, er läßt sich auch nichts gefallen. Erst als er beginnt, sich langsam mit dem „anderen Kerl“ in ihm nicht nur zu arrangieren, sondern auch anzufreunden, vollzieht sich letztendlich die (für die Story auch notwendige) Wandlung hin zum Hulk, der sich unter Kontrolle hat. Hier ist zwar die Reihenfolge nicht ganz so optimal ausgearbeitet, aber zumindest sind die Motivationen der Figur klar dargelegt und emotional nachvollziehbar. Außerdem kann der Hulk beim Endkampf einfach nicht fehlen.
Seite an Seite: Thor (Chris Hemsworth, l.) und Captain America (Chris Evans). |
Die größte Freude des Films ist für mich Tom Hiddleston als böser Loki. Wie schon erwähnt, bekommt Loki hier seinen Humor. Die süffisante Arroganz und diebische Freude am Unruhestiften machen ihn erst zur einer der eindrücklichsten und gern gesehensten Figuren in diesem Film-Universum. Loki wird hier einer dieser richtig tollen Bösewichte: charmant, unberechenbar, nie vertrauenswürdig und immer zu Unfug aufgelegt. Man sieht ihm gerne zu und freut sich immer, ihn zu sehen, weil man weiß, daß jetzt etwas passiert. Auf ihn ist Verlaß, wenn es darum geht, der Geschichte Gas und Feuer zu geben.
THE AVENGERS ist ein bunter Strauß voll Schabernack, ein Fanvehikel eines Fans. Er ist der bisher leichteste der ohnehin nie schweren Marvel-Filme. Das wird wohl zum Erfolg des Films beigetragen haben. Hier einige Superlative, die sich der Film anheften darf (Stand März 2018): die bisher erfolgreichste Comicverfilmung, einer von zwölf Filmen mit über einer Milliarde Dollar Einspielergebnis weltweit und fünfterfolgreichster Film aller Zeiten. Mit Ende ihrer Phase Eins hatten die Marvel Studios 3,8 Milliarden Doller eingespielt und keinen Flop gelandet. Spätestens jetzt hatten sie den Jackpot geknackt.
Hawkeye (Jeremy Renner, in grau) und der Hulk (Mark Ruffalo, in grün). |
Post-Credit: Interessanterweise hätte hier alles enden können. Die Erzählung läßt nichts zwingend offen. Die Welt ist gerettet, der Bösewicht Loki in Gewahrsam, der Tesseract in sicherer Verwahrung und die Avengers sind zu einem Team geworden, das im Guten auseinander geht, um bei Bedarf wieder zusammenkommen zu können und die Welt zu retten. Es wirkt, als hätten die Marvel Studios erstmal nur bis zu diesem Film geplant. Auch im schon früher zitierten Vanity-Fair-Artikel wird berichtet, Kevin Feige hätte erst auf der Promotour zu THE AVENGERS offenbart, daß er 15 weitere Filme in Planung habe und das komplette Marvel-Universum der Comics auf die Leinwand bringen wolle.
Post-Credit II: Der seit IRON MAN aufgebaute Agent Coulson (Clark Gregg) bekommt nun endlich seinen moment in the sun im emotional packendsten Moment des Films. Er ist seither auch Hauptfigur seiner eigenen Fernsehserie AGENTS OF S.H.I.E.L.D., die mittlerweile in der fünften Staffel läuft. Eine Erkenntnis der Phase Eins könnte auch sein: Kühe, die Milch geben, muß man melken. Sonst platzen sie.
Dr. Wilys weitere Betrachtungen zum Marvel Cinematic Universe auf Wilsons Dachboden:
IRON MAN: Der gemachte Superheld
DER UNGLAUBLICHE HULK: Lustfeindlichkeit und schiefgegangene Experimente
IRON MAN 2: Größer, höher, weiter und mit Nachdruck
THOR: Gott, Held oder Superheld?
CAPTAIN AMERICA – THE FIRST AVENGER: Der altmodische Rächer
BLACK PANTHER: Eine repräsentative Utopie
The Avengers (USA 2012)
Regie: Joss Whedon
Buch: Joss Whedon & Zak Penn (Story), Joss Whedon (Drehbuch)
Kamera: Seamus McGarvey
Musik: Alan Silvestri
Darsteller: Robert Downey Jr., Chris Evans, Mark Ruffalo, Chris Hemsworth, Scarlett Johansson, Jeremy Renner, Tom Hiddleston, Clark Gregg, Cobie Smulders, Stellan Skarsgard, Samuel L. Jackson, Gwyneth Paltrow
Alle Bilder (C) Marvel.