Mit IF I DID IT erschienen 2007 wahrlich bizarre Memoiren: Der mutmaßliche, aber freigesprochene Mörder O.J. Simpson erzählt darin, wie er die Tat begangen hätte – wenn er es gewesen wäre.
Simpson, der in den Siebzigern zum Football-Star avancierte und später als Sportkommentator und Schauspieler bekannt wurde (unter anderem in DIE NACKTE KANONE), soll 1994 seine Ex-Frau Nicole Simpson Brown sowie einen Bekannten von ihr, Ron Goldman, ermordet haben. Nach einem langen Prozeß wurde er 1995 freigesprochen – und trotzdem von den meisten Menschen für schuldig gehalten. Seine Karriere war dahin, statt bekannt war O.J. nun berüchtigt.
Schon die Ankündigung von IF I DID IT war ein Skandal. Unzählige Bücher wurden über den O.J.-Fall geschrieben, der als „Jahrhundertprozeß“ die Gemüter erhitzte – und für beinahe jeden Autoren stand fest, daß O.J. der Täter war. Nun sollte die Geschichte also von dem Mann erzählt werden, von dem man annahm, daß er nur aufgrund seiner Popularität und seines Reichtums der Justiz entkommen konnte. Man wußte gar nicht, was geschmackloser anmutete: daß die Geschehnisse irgendwo zwischen fiktiver Mordphantasie und Pseudo-Geständnis niedergeschrieben werden sollten, oder daß O.J. für das Buch eine Million Dollar erhalten würde.
Tatsächlich wurden die Proteste gegen das Buch so laut, daß es vom Verlag eingestampft wurde und die Verlegerin, Judith Regan, ihren Job verlor. Wie es dann doch ans Tageslicht kam, ist fast bizarrer als der Inhalt: Der Familie von Goldman, die Simpson Ende der Neunziger in einem Zivilrechtsverfahren anklagte und Recht bekam, standen als Resultat dieses Urteils $33 Mio. zu, die Simpson an sie zahlen sollte – was der aber nie tat. Durch einen langwierigen rechtlichen Prozeß sicherten sie sich also die Rechte an dem Buch, um es selbst publizieren zu können, damit der Erlös auf Simpsons Schuld angerechnet werden könnte.
Und so stand irgendwann doch noch Simpsons Geschichte in den Buchläden – veröffentlicht von der Familie eines Opfers, die O.J. damit zur Rechenschaft ziehen wollte. Dafür verändert sie den Titel graphisch so, daß das „if“ kaum sichtbar in das „I“ gepackt wurde – und damit als I DID IT erschien. Dazu verpaßten sie dem Buch den Untertitel „Confessions of the Killer“. Außerdem versahen sie das Manuskript mit diversen Vor- und Nachworten, die ihren Standpunkt erläutern und Simpson entsprechend diskreditieren.
Schon im ersten Kapitel schwingt O.J.s Erzählung (die auf Basis von Gesprächen und Interviews von Ghostwriter Pablo F. Fenjves niedergeschrieben wurde) eine reichlich defensive Handlung mit. Wie könnte es auch anders sein? Schließlich erzählt da ein freigesprochener Mann seine Version der Geschichte – und darin ist freilich kaum etwas so, wie es nach außen hin wahrgenommen wurde. Tatsächlich betont O.J. vor und hinter dem „Mordkapitel“ immer wieder, daß er unschuldig ist: „Half of you think I did it, and nothing will ever make you change your minds. The other half know I didn’t do it, and all the evidence in the world – planted or otherwise – isn’t going to sway you, either.“
Seine Geschichte beginnt da, wo er Nicole Brown kennenlernt und bald mit ihr eine Beziehung anfängt. Eine romantische Liebesgeschichte wird aber nicht daraus, auch wenn Simpson schreibt, daß er sie geliebt hat: Schon zum Ende des ersten Kapitels liegt nach Jahren des Aufs und Abs die Scheidung vor. Im Prozeß gegen Simpson kam heraus, daß es Zwischenfälle von häuslicher Gewalt gegeben haben dürfte – mehr als einmal rief Nicole die Polizei und wollte vor O.J. beschützt werden. In O.J.s Version war wenig davon so, wie es dargestellt wurde: Es gab tatsächlich nur eine einzige physische Auseinandersetzung, schreibt er, und die wurde von ihr initiiert.
Überhaupt ist Nicole in seiner Erzählung eine durchweg instabile Person, die sehr launisch agiert, mal aggressiv und dann wieder unterwürfig handelt – und irgendwann, so sein Verdacht, durch ihre neuen Freunde auch mit Drogen in Berührung kommt. O.J. berichtet, wie Nicole nach der Scheidung wieder mit ihm zusammenkommen wollte, und wie die beiden nochmal Anlauf zu einer Versöhnung genommen haben, die aber aufgrund ihrer Stimmungsschwankungen und Unzuverlässigkeiten nach einigen Monaten auch wieder ein Ende fand. Zum Zeitpunkt ihrer Ermordung, schreibt er, wollte er nichts mehr von ihr wissen, sondern hoffte nur noch, daß sie ihr Leben auf die Reihe kriegen würde, damit ihre beiden gemeinsamen Kinder nicht in Mitleidenschaft gezogen würden.
Dann kommt das Kapitel „The Night in Question“, in dem plötzlich ein Freund namens Charlie auftaucht, von dem vorher nie die Rede war. Daß die Tatbeschreibung quasi als Gedankenspiel verpackt ist, wird nur von einem einzigen Satz eingeleitet: „Now picture this – and keep in mind, this is hypothetical“, stellt er dem Mord voran. In dieser Version fährt er zusammen mit dem ominösen Charlie zu Nicole, um ihr wegen ihrer Unzuverlässigkeit ernsthaft ins Gewissen zu reden, und nimmt dafür ein Messer mit, das er im Auto aufbewahrt („I kept it on hand for the crazies. Los Angeles is full of crazies“), um ihr Angst zu machen. Das Gespräch eskaliert zum Streit, als Goldman dazukommt – aber der Mord selber bleibt in einem Filmriss verborgen: „Then something went horribly wrong, and I know what happened, but I can’t tell you exactly how. […] I looked down at myself. For several moments, I couldn’t get my mind around what I was seeing. The whole front of me was covered in blood, but it didn’t compute. Is this really blood? I wondered. And whose blood is it? Is it mine? Am I hurt?“
Das genaue Ende des „hypothetischen Teils“ ist nicht klar gekennzeichnet – aber am Ende des Kapitels, als die Polizei bei ihm zuhause auftaucht, schreibt Simpson wieder klar, dass er unschuldig sei. Er beschreibt noch das Verhör und seine spätere dramatische Flucht vor der Polizei, und die Erzählung hört dort auf, wo er nach der wahnwitzigen Verfolgungsjagd in Gewahrsam genommen wird. Kurz davor betont er noch einmal deutlich, wie die Welt alles mißverstanden habe: „I heard myself described as an obsessively jealous ex-husband so many times that the media almost had me believing it. To make matters worse, a number of reporters ran around interviewing these so-called experts on battered women, creating the impression that Nicole had been a battered woman, and that I, O.J. Simpson, her former husband, was a known batterer.“
Es muß jeder für sich selber entscheiden, was er von O.J.s Darstellung halten will, oder ob er ihm Glauben schenken mag. Um fair zu bleiben: Auch andere Berichterstatter und Zeugen haben angegeben, daß bei Nicole Simpson wohl irgendwann Drogen ins Spiel kamen, also könnten die Erzählungen über ihre Unberechenbarkeiten stimmen. Und um weiterhin fair zu bleiben: Es wäre durchaus denkbar, daß sie psychische Probleme hatte, und daß sich daraus Situationen ergeben könnten, die ihn ungerechtfertigt in ein schlechtes Licht rücken.
Aber selbst, wenn man gewillt ist, O.J.s Sicht zu akzeptieren, bleibt die Frage, warum die Unschuldsbeteuerung mit einem als fiktiv behaupteten Tathergang verknüpft wird. Ist er schon so gewohnt, als Mörder angesehen zu werden, daß er für seine Öffentlichkeit unbekümmert selber in die Rolle schlüpfen kann? War ein derartiges Kapitel der einzige Weg, überhaupt eine solche Buchpublikation verwirklichen zu können? Ein wenig hat man das Gefühl, als hätte Simpson die Geschichte wegen des Geldes erzählt – und dafür gesagt: Wenn ihr mich schon als Mörder seht, dann spiele ich für eine Million nochmal den Mörder für euch. Immerhin gibt Ghostwriter Fenjves in seinem Vorwort an, daß er Simpson das „Mordkapitel“ sehr mühsam aus der Nase ziehen mußte, während der Rest locker im Plauderton erzählt wurde – und daß Simpson, nachdem ihm die Rechte am Manuskript entzogen wurden und er nichts mehr damit verdienen würde, auch nichts mehr mit dem Buch zu tun haben wollte.
Wobei man auch die Vor- und Nachworte, die Simpsons Erzählung einbetten, mit etwas Vorsicht genießen sollte. Die Goldman-Familie rechtfertigt sich in ihrem Text für die Publikation des Buchs: Sie gibt an, daß sie nur so Simpson überhaupt zu einer Verantwortung bringen kann – und stellt gleichzeitig ohne Zweifel klar, daß sie seine Geschichte für ein Geständnis hält. Natürlich tut sie das: Sie braucht ein Geständnis nach all den Jahren, in denen der Mann, der vielleicht ihren Sohn ermordet hat, freigesprochen wurde und auch sonst niemand dafür zur Rechenschaft gezogen wurde.
Der Anwalt der Goldmans erläutert ausführlicher, wie der lange Publikationsprozeß von IF I DID IT ablief – und wiederholt die Rechtfertigungen der Familie. Ein völlig überflüssiges Nachwort des Autoren Dominick Dunne stellt sich auf Seite der Goldmans – seine einzige Verbindung zum Fall ist es, den Prozeß seinerzeit genau verfolgt zu haben. Nachdem seine Tochter Dominique (bekannt als Schauspielerin aus POLTERGEIST) 1983 tragischerweise ermordet wurde, ist es höchst verständlich, daß er sich den Goldmans in ihrer Überzeugung anschließt, den Mörder bestrafen zu wollen – aber gleichzeitig liefert die Solidaritätserklärung auch keinerlei Erkenntnisgewinn.
Selbst Ghostwriter Fenjves schreibt in seinem Vorwort, daß er nicht an die Existenz von „Charlie“ glaubt – und außerdem stellt sich heraus, daß er seinerzeit im Prozeß gegen Simpson (mit einem kleinen Detail) ausgesagt hatte. „I’d assumed from the start that he was guilty, and in the years since I’d heard nothing to make me change my mind“, erklärt er gleich vorweg. Sprich: Simpsons eigene Version wurde von einem Mann verfaßt, der sie für Unfug hält – schwerlich die besten Voraussetzungen für eine brauchbare andere Sichtweise.
Und so zerrt IF I DID IT den Leser hin und her. Simpson will einen auf seine Seite ziehen und dabei sein Image korrigieren, die Verleger steuern dagegen und wollen den Leser mit aller Macht davon überzeugen, daß sie im Recht liegen. Damit ist das Buch eine doppelt schwierige Lektüre: Zum mal befremdlichen, mal beklemmenden Background der Erzählung und der reißerischen Prämisse des Pseudo-Geständnisses gesellt sich das Gefühl, daß man überhaupt nicht mehr weiß, was man von all dem halten soll. Hinterher ist man freilich kaum schlauer als vor der Lektüre – aber man würde allen Beteiligten wünschen, daß sie die Geschichte endgültig auf die eine oder andere Weise abschließen können.