Nach Jake Scott und Jordan Scott tritt nun auch der 1968 geborene Luke Scott in die Fußstapfen seines Vaters und präsentiert mit dem 2016 veröffentlichten DAS MORGAN PROJEKT (im Original schlicht MORGAN) sein Spielfilmdebüt. Im folgenden Gastbeitrag macht sich mein Podcast-Kollege Dr. Wily einige Gedanken über den Science-Fiction-Thriller.
Familie Scott beschäftigt sich ein
weiteres Mal mit dem künstlichen Menschen: Produzent von MORGAN ist
Ridley Scott, der sich nicht nur in BLADE RUNNER, sondern auch in
seiner ganz persönlichen Forterzählung der ALIEN-Geschichte auf die
Suche nach dem Ursprung des Menschlichen, dem Kern des Mensch-Seins
begeben hat. Vielleicht ist es aber auch nur Zufall, daß sein Sohn
Luke Scott mit MORGAN sein Spielfilmdebüt als Regisseur gibt.
Hier
geht es um ein Genexperiment, durchgeführt von einem kleinen,
familiären Team in einem abgeschiedenen Labor, umgeben von
wunderschönen grünen Wäldern. Es soll ein synthetischer Mensch im
Reagenzglas erzeugt, geboren und großgezogen werden. Das Ergebnis,
nach zwei mißglückten Versuchen, ist Morgan (Anya Taylor-Joy). Sie
ist zu einer jungen Frau herangewachsen, hat aber kürzlich in einem
bislang unerklärbaren Anfall einer Mitarbeiterin ein Auge
ausgestochen und kurz davor einem verletzten Reh das Genick
gebrochen. Das macht der Firmenzentrale in der Stadt Sorgen, und sie
schicken unsere (leider sehr unglücklich gewählte)
Hauptfigur Lee (Kate Mara), um sich das Ganze anzusehen und
gegebenenfalls Entscheidungen zu treffen. Sie und wir merken bald,
daß Morgan zwar den Körper einer jungen Frau hat, aber eigentlich
erst 5 Jahre alt ist, also schneller wächst als normale Menschen.
Alle Mitarbeiter hängen sehr an Morgan und haben eine enge
Bindung zu ihr aufgebaut, die einer Eltern-Kind-Beziehung sehr
ähnlich ist. Nur Lee sieht sie als biologisches Produkt und
bezeichnet sie auch konsequent als „Es“. Lee wiederum wird auch gleich als ein von der Zentrale geschickter „assassin“
erkannt.
So. Damit wäre das Set-Up erklärt und auch die sich
daraus ergebenden Konflikte. Mit einer durchaus interessanten
Prämisse ist der Film auch eine Weile spannend und sehr schön
anzusehen. Dann kommt Paul Giamatti als einer dieser ärgerlichen
Filmpsychologen, die scheinbar allesamt nicht auf einer
Universität, sondern bei Dr. Loomis aus HALLOWEEN studiert haben. Er
nimmt eine dieser ärgerlichen psychologischen Filmevaluationen vor, in
der er zwar vermeintlich interessante Fragen stellt, aber nichts dazu dient, Widersprüche der Figuren zu erforschen, sondern
alles dazu, Morgan zu reizen und so den dritten Akt in Gang zu setzen,
in dem es dann nurmehr ums Laufen, Schießen, Kämpfen und Sterben
geht. Die Sache endet folgendermaßen: Morgan und Lee sind beide
gezüchtete Supersoldatinnen aus verwandten Testreihen. Morgan dreht
durch und killt ein paar Leute. Lee bleibt professionell programmiert
und killt alle anderen.
Profi-Problemlöserin Lee Weathers (Kate Mara). |
In den Leerstellen dieser Geschichte
haben sich dann einige Fragen bei mir aufgetan. Warum ist ein
künstlich erzeugter Mensch aus menschlichem Genmaterial eigentlich
kein normaler Mensch? Was unterscheidet uns da? Was macht also das
spezifisch Menschliche aus? Wenn dieses Kind körperlich schneller
wächst, entwickeln sich Gehirn und Emotionen genauso
schnell? Daraus würde sich die Frage ergeben – wie lernen wir
Emotionen? Nun, viel über unser Umfeld. Dementsprechend hätte sich
Morgan ja zu einem sehr liebevollen Menschen
entwickeln müssen. Was aber läßt das Umfeld so eine emotionale
Bindung zu ihr aufbauen, wo sie doch angeblich kein normaler Mensch
ist? Was soll uns das Ganze über den Menschen erzählen, wenn es am
Ende nur gezüchtete Kampfmaschinen sind? Mehr Fragen als Antworten
hätten der Geschichte gut getan. Mehr Ambivalenzen als völlig
auserklärte Szenen. Aber mit solchen Dingen belastet sich MORGAN
erst gar nicht.
Doch lassen wir uns kurz auf die Welt von
MORGAN ein und vergessen den Film, den ich vielleicht gern gesehen
hätte. Da züchtet also eine Firma diverse Supersoldaten
gleichzeitig in verschiedenen Projekten und Locations. Es wird
versucht, diese künstlichen Soldaten so menschenähnlich wie möglich
zu machen. Wozu genau, erfahren wir nicht. In der Geschichte sind sie vor allem dazu da, sich gegenseitig umzubringen. Das wäre aber unlogisch. Es kann fast nur
auf Undercover- oder Infiltrationsaufträge abzielen, denn an der
Front sind, wenn schon künstlich, Robocops wohl die bessere Wahl. Es
bleibt ein Rätsel.
Daß es, wie wir erzählt bekommen, nur Frauen
sind, die gezüchtet werden, tut dem Film ganz gut. Es erzeugt in
seinen Actionszenen immer noch wirkungsvolle Bilder, die
Geschlechterstereotypen aus Actionfilmen umdeuten. Gleichzeitig
sollen es aber gar keine Frauen sein: Diese Soldaten sind
geschlechtslos. Sie wurden hier halt nur mit zwei
Schauspielerinnen besetzt. Kate Mara bekam einen Kurzhaarschnitt und
Anya Taylor-Joy einen Kapuzenpulli.
Wohl nur ein Bachelor-Absolvent der Loomis-Schule: Psychologe Dr. Alan Shapiro (Paul Giamatti). |
Am Ende lernen wir, daß
Kate Mara der bessere Soldat ist, weil sie weniger emotional ist und
deshalb auch keine zwischenmenschlichen Beziehungen eingeht, während
Morgan ihre Freundin Amy (Rose Leslie) schützt, um mit ihr an den
See zu fahren. Ihr Todesurteil.
Was wissen wir also nach
diesem Film über den Menschen? Der bessere Soldat ist geschlechts-
und emotionslos. Fertig. Als Zuseher sind wir einer kalten und
distanzierten Auftragskillerin gefolgt, die im Sinne ihrer
Persönlichkeit und Rolle in der Geschichte keinerlei Entwicklung
durchmachen kann. Wenn es von den Machern
vielleicht nur als spannender Thriller gesehen wurde, will sich bei
mir aber keine Erleichterung darüber einstellen, daß das Monster
Morgan am Ende ertränkt wird. Ich war viel zu beunruhigt über das
Monster Lee, das einfach alle, und zwar wirklich alle, Figuren des
Filmes fein säuberlich wegputzt und dann zurück in unsere
Zivilisation marschiert. Morgans Taten rechtfertigen Lees Taten zu
keinem Zeitpunkt.
Das bringt mich wieder zurück zur falsch
gewählten Hauptfigur. Zu Morgan bauen wir eine emotionale Verbindung
auf, die durch ihre Brutalität, dem Monster in ihr, auf die Probe
gestellt wird. Sehr früh im Film wird uns in einer sehr schönen
visuellen Idee Morgans innere Zerrissenheit gezeigt. Sie ist hinter
einer Glasscheibe eingesperrt. Zweimal tritt sie an dieses Glas heran,
um mit jemandem zu sprechen, der auf der anderen Seite steht. Einmal
ist es ihre Gegnerin Lee, das andere Mal ihre Freundin Amy. Beide
Male tritt Morgan in das Spielbild ihres Gegenübers. Wo Lee ihre
Bestimmung als Züchtung ist, ist Amy ihre Chance als Mensch. Wenn
wir also mit den Soldatinnen mitfühlen sollen, weil sie einfach nur
Versuchskaninchen alter weißer Männer sind (wie uns ein
Vorstandsmeeting am Ende zeigt), hätte der Film zumindest anders enden müssen –
denn Kate Maras bindungslose Lee ist uns von Anfang bis Ende völlig
egal.
Das Morgan Projekt (USA 2016)
Originaltitel: Morgan
Regie: Luke Scott
Buch: Seth Owen
Kamera: Mark Patten
Darsteller: Kate Mara, Anya Taylor-Joy, Rose Leslie, Michael Yare, Toby Jones, Chris Sullivan, Boyd Holbrook, Michelle Yeoh, Brian Cox, Jennifer Jason Leigh, Paul Giamatti
Alle Fotos (C) 2016 Twentieth Century Fox. Die Bilder stammen von der offiziellen Filmseite.