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JÄGER DES VERLORENEN SCHATZES: Mythologie und Symbole

 

In dem Film JÄGER DES VERLORENEN SCHATZES begab sich 1981 der Archäologe Indiana Jones auf sein erstes Abenteuer – und gab damit nicht nur den Startschuß für viele weitere Geschichten und Variationen, sondern beeinflußte auch maßgeblich den modernen Blockbuster. Was die Indiana-Jones-Figur aber von vielen Nachahmern und ähnlichen Eventkino-Versuchen absetzt, ist die Tatsache, daß Regisseur Steven Spielberg und Produzent George Lucas ihren Protagonisten nicht nur als menschlichen Helden zeichnen, sondern ihn auch mit subtilen Mitteln zu einer tiefergreifenden Mythologie formen.

Auch in seinem KRIEG-DER-STERNE-Universum setzte George Lucas immer wieder Mythen und Symbole ein, die aus dem altmodischen Abenteuerspektakel mehr machten: Er verstand es, Archetypen einzusetzen, die Bedeutungen mit sich tragen und über die konkreten Personen, Gegenstände und Geschehnisse hinausgreifen. In JÄGER DES VERLORENEN SCHATZES schaffen Spielberg und Lucas für ihren Helden eine eigene Ikonographie: Die Bilder und Elemente, über die wir unsere Hauptfigur identifizieren, werden noch vor der Figur selber eingeführt und stehen damit nicht nur für das spezifische Abenteuer, sondern stellvertretend für alle.

 

 

 

Nachdem vom bekannten Paramount-Logo zu einem tatsächlichen, ähnlich aussehenden Berg überblendet wurde, bewegt sich unser Held an der Kamera vorbei nach vorne ins Bild. Er bleibt kurz stehen und betrachtet den Berg, dann geht er weiter. Es folgen ihm einige weitere Männer, von denen sich einer nervös umdreht.

Unseren Protagonisten haben wir damit schon in der ersten Einstellung gesehen – oder vielmehr seine Silhouette. Diese Umrisse, die vor allem durch den Hut unverkennbar sind, werden uns immer wieder begegnen – und unser Held ist damit von Beginn an durch ein spezifisches Bild identifizert.

Auch in der folgenden Sequenz, in der sich die Gruppe ihren Weg durch den Dschungel bahnt, werden wir den Mann nie ganz zu Gesicht bekommen – er ist zu weit weg, von der Kamera abgewandt, wir sehen nur Teile (zum Beispiel seine Füße), oder er bleibt durch das Dickicht verborgen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Eindruck, den wir schon im ersten Bild bekommen haben, bestätigt sich: Der Mann ist offenbar der Anführer der Gruppe. Er schreitet wortlos voran, was ihn umso mysteriöser macht, und er bleibt unerschrocken, wo sich die anderen Mitglieder der Gruppe ängstlich zeigen – zum Beispiel bei einem Giftpfeil, den er im Baum findet und unkommentiert fallen läßt.

Wenn wir den Mann in der nächsten Sequenz endlich sehen und damit gewissermaßen besser kennenlernen, wird das schon vertraute Bild seiner Silhouette gleich mit einem weiteren Bild verknüpft, das zur Mythologie seiner Figur gehört:

Mittlerweile folgen ihm nur noch zwei andere Abenteurer. Sie kommen an einen Fluß. Unser Mann mit dem Hut bleibt stehen, ein zweiter nähert sich ihm von hinten.

 

Der zweite Mann drückt ihm etwas in die Hand. Unser Mann geht nach vorne, die Kamera begleitet ihn – aber seine Silhouette verschwindet hier noch mehr in Dunkeln als zuvor.

Wir sehen den anderen Abenteurer (der junge Alfred Molina!), von unten hebt sich die Hand unseres Mannes ins Bild. Er studiert eine Karte, der zweite Mann schaut neugierig zu.

Jetzt tritt der dritte Mann von hinten nach vorne, die Kamera bewegt sich schnell auf sein Gesicht zu.

Der Mann zieht eine Pistole aus der Tasche …

… was unser mysteriöser Mann, wieder beinahe vollständig als Silhouette gezeigt, bemerkt: Er hört, wie der Hammer gespannt wird, und dreht den Kopf leicht zur Seite.

Der Mann mit der Pistole zielt …

… aber unser Mann greift zu der Peitsche, die er seitlich am Gürtel trägt. Die folgende Aktion geht so schnell, daß die einzelnen Einstellungen nur ein paar Frames lang laufen.

Er holt mit der Peitsche nach hinten aus …

… und läßt sie nach vorne schnalzen. Im Hintergrund sieht der andere Mann überrascht zu.

In einem Bild, das in seiner Duell-artigen Komposition an einen Western erinnert, knallt die Peitsche nach vorne. Wenn man sich die Einstellung Bild für Bild ansieht, bemerkt man, daß die Armbewegung nach hinten hier nochmal erfolgt – aber weil die Einstellungen so schnell geschnitten waren, fällt das gar nicht auf. In diesem Bild sehen wir unseren Mann mit dem Hut übrigens zum ersten Mal von vorne – aber weil er noch im Schatten steht und die Einstellung nicht lang bleibt, nehmen wir noch kaum Notiz davon.

Der andere Mann verzieht das Gesicht im Schmerz, nimmt seine von seiner Peitsche getroffene Hand hoch …

… während sein Revolver im Wasser landet.

Nochmal der Angreifer, der jetzt vor seinem Widersacher Angst kriegt.

 

Unsere jetzt schon vertraute Silhouette bekommt ein Gesicht: Der Mann tritt nach vorne, das Licht streift sein Gesicht von der Seite – und damit wird uns unser Held gewissermaßen vorgestellt. Wir haben ihn über eine andere Figur kennengelernt – den Angreifer, dem er das Fürchten gelehrt hat – und über eine Handlung: Ganz offensichtlich kann dieser Mann blitzschnell auf Gefahren reagieren.

Der Angreifer rennt davon.

Wir sehen nochmal die Peitsche, während unser Held sie sorgfältig wieder zusammenrollt. Zu seinem Mythos fügt sich also ein weiteres Bild: die Waffe seiner Wahl, mit der er schneller umgehen kann als ein anderer mit der Pistole.

 

Unser Mann sieht dem Angreifer hinterher, verzieht dabei aber keine Miene. Dann geht er zu seiner Rechten aus dem Bild, die Kamera schwenkt mit und verharrt auf dem Beobachter, der unserem Mann verblüfft hinterherstarrt. Auch diese Reaktion ist wie die des Angreifers ein kleiner Baustein in der Mythologie: Der Außenstehende ist gewissermaßen Zeuge, der von den Fähigkeiten des Helden berichten kann (auch wenn er im Falle dieses Films nicht lange Gelegenheit dazu haben wird).

Auch im restlichen Film wird die anfangs eingeführte Ikonographie dieser Figur ausgebaut und immer wieder eingesetzt. Man denke an die Szene, in der Indiana Jones Marion in Nepal besucht.

 

 

Seine Silhouette taucht an der Wand auf, sie bemerkt ihn und geht auf ihn zu …

… und erst dann sehen wir ihn tatsächlich von vorne, wie er antwortet. Man beachte auch, wie klein er in diesem Bild gegenüber seinem Schatten wirkt, nachdem der Großteil der Einstellung von ihrem Kopf ausgefüllt wird – ein passender Auftakt dazu, daß sie ihn gleich wütend mit der Faust begrüßen wird.

In der Szene, wo Indiana Jones nach der „Quelle der Seelen“ gräbt, funktioniert die Ikonographie andersherum:

 

 

 

 

Jones hat den richtigen Ort gefunden – noch verkleidet. Die Kamera gleitet nach unten, er setzt den ersten Spatenstich – dann folgt eine Überblendung zu einem Silhouettenbild, in dem er seinen Hut wieder aufsetzt und über die Grabungsarbeiten wacht.

Auch die Peitsche bleibt ein wichtiger Gegenstand, der Indiana Jones immer begleiten muß – sie hängen zusammen wie Excalibur und König Artus. Seine Waffe taucht deshalb auch immer wieder auf, selbst wenn er nur auf eine Gefahr hinweist:

Kein Wunder also, daß er die Peitsche retten muß, selbst wenn vor ihm ein Steinblock nach unten saust und er nur noch eine Sekunde hat, überhaupt nach dem Gegenstand zu greifen (passenderweise ist es im nächsten Film dann der Hut, den er im letzten Moment noch packen kann):

 

Daß Spielberg und George Lucas um die tiefergreifende Bedeutung von Bildern und Symbolen wissen, zeigt sich auch an zahlreichen anderen Stellen des Films – auch Roger Ebert weist in seinem Rückblick aus der Reihe „Great Movies“ darauf hin: „Throughout the film, there is a parade of anti-Nazi symbolism and sly religious satire“, schreibt er.

Man denke beispielsweise an die Kiste, in der die Nazis die Bundeslade aufbewahren: Die Kraft der Bundeslade verbrennt das Hakenkreuz.

 

 

Ein Äffchen, das den Hitlergruß nachahmen kann, ist subtiler, aber ebenso eine Demontage eines Symbols:

Man denke auch an den Talisman, der entweder Erkenntnis bringen kann (passenderweise gepaart mit Licht!) oder wie als Kainsmal fungiert:

 

 

Und nicht zu vergessen die Öffnung der Bundeslade selber, die im Vorfeld schon als quasi überliefertes Bild angekündigt wird und sich dann exakt so abspielt:

 

Die Screenshots stammen von der Blu-Ray (C) 2012 Paramount.

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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