„Wie fühlt sich das eigentlich an, wenn man alles vergißt?“, will die kleine Tilda von ihrem Großvater Amandus wissen. Der alte Mann ist verwirrt, sucht oft nach Namen und Worten, vergißt, daß seine Frau schon tot ist. Er überlegt kurz, um ein passendes Bild zu finden. „So wie … Honig im Kopf“, meint er. „So … verklebt.“
Til Schweiger versucht sich mit HONIG IM KOPF an einer schwierigen Balance: Ein Wohlfühlfilm über eine Alzheimererkrankung soll es sein, eine herzerwärmende Geschichte voller Humor und dezenter Tragik über die Beziehung eines elfjährigen Mädchens zu ihrem immer dementer werdenden Großvater. Um gleich vorwegzugreifen: Das Resultat ist ein packendes und doch frustrierendes Filmerlebnis.
Schweiger ist ein Regisseur des Offensichtlichen: Die sonnigen Bilder der redenden, handelnden und reagierenden Personen sind brav aneinandergereiht, beständig spülen Klaviermusik und epischer Gefühlspop über die Momente hinweg. Jeder Moment soll hier, wie schon in seinen Beziehungskomödien, mitreißend sein, leise Zwischentöne gibt es nicht. Es fühlt sich manchmal an, als würde man ein spielfilmlanges Musikvideo aus den schwelgerischsten Weltschmerz-Charthits ansehen.
Man kann sich aber mit dieser Machart arrangieren und schauen, was HONIG IM KOPF zu bieten hat – und das ist an vorderster Stelle eine wundervolle Rolle für Dieter Hallervorden, der den verwirrten Großvater so anrührend spielt, daß er den Film ein ums andere Mal aus seiner starren Inszenierung herausreißt. Manchmal scheint der alte Hallervorden-Witz durch – etwa, wenn er im Gespräch mit einem Arzt nie die Eingangsfrage „Wie geht es Ihnen?“ beantworten kann, aber sich irgendwann beschwert, daß der Arzt offenbar keine anderen Fragen auf Lager hat. Und dann gibt es Momente wie die, wo er sich bei seiner Schwiegertochter für die mißglückte Gartenarbeit entschuldigen will – und dafür treublickend mit einem Strauß Blumen antrabt, die er aus genau diesem Garten gerissen hat.
Die erste Filmhälfte baut der Film ganz auf diesen zum Lachen traurigen und zum Weinen lustigen Mann, der sich den Namen seiner Schwiegertochter nie merken kann, ihre High Heels auch schon mal in den Backofen legt und nachts versehentlich in den Kühlschrank pinkelt. Hallervorden ist so echt in der Rolle, dass die Welt um ihn herum zum Stichwortgeber wird: Til Schweiger darf als leidgeprüfter Sohn das Ausmaß der Krankheit herabspielen, Jeanette Hain als Schwiegertochter Sarah die Nerven verlieren, und Emma Schweiger als Enkelin Tilda stets keck grinsen, weil Opa schon wieder Unfug macht.
Aber dann verliert der Film die Nerven: Ein großes Kino-Konzept muß her, 139 Minuten Laufzeit müssen gefüllt werden! Also entführt Tilda ihren Großvater, weil der in ein Pflegeheim kommen soll, und reist mit ihm nach Venedig. Was als zärtliche Opa-und-Enkelin-Beziehung aufgezogen war, mutiert da plötzlich zum aufgeblähten Roadmovie, das jegliche Glaubwürdigkeit in der Annahme über Bord wirft, ein solch zweifelhaftes Unterfangen sei irgendwie rührender als die vorangegangenen Szenen, in denen Tilda ihren Opa einfach immer dieselben alten Geschichten hat erzählen lassen, weil er bei denen so glücklich ist.
Der Film kippt ab der Hälfte also komplett ins Märchenhafte. Schon auf der Fahrt zum Bahnhof schrotten die beiden ein Auto und verursachen konsequenzenlos einen Straßenunfall. Später hilft jeder Mensch der Elfjährigen und ihrem offensichtlich verwirrten Großvater auf der Reise, ohne ansatzweise nach den Eltern zu fragen; eine Station im Nonnenkloster fehlt ebensowenig wie eine Nacht am Lagerfeuer unter dem Sternenhimmel. Ein dahergelaufener Putzmann darf die beiden auch schon mal, weil er ja so ein großes Herz hat, im Müllwaggon an der Polizei vorbeischmuggeln.
Wobei die Polizei eigentlich ohnehin keinen großen Bahnhof veranstaltet: Auf Anfrage der Eltern lächelt der zuständige Wachtmeister nur sanft und meint, die beiden würden sicherlich eine glückliche Reise erleben. Die Eltern selber kommen auch erst nach einem Tag auf den Gedanken, ihre Tochter am Handy einfach mal anzurufen, und reisen dann gemütlich nach Venedig, wo sie eine romantische Nacht verbringen und am nächsten Tag schlendernd ihre Tochter und den orientierungslosen Großvater wiederfinden.
Und nein, die Eltern sind keinen Millimeter wütend auf ihre verantwortungslose Tochter, sondern sagen ihr auch noch, daß sie stolz auf sie sind. Nicht nur, daß der Film sich selbst so sehr mißtraut, daß er nach über einer Stunde noch plötzlich eine ebensolange Abenteuerreise zusammenfabuliert – nein, er entwickelt sich dann prompt zum modernen Äquivalent der alten Heimatfilme, in denen die von zu Hause ausgerissene Tochter mit ihrem Fortlaufen dafür sorgt, daß die Eltern ihre Streitigkeiten beiseitelegen und sich wieder in die liebenden Armen fallen. „Verklebt“ scheint das passende Wort zu sein.
Man kann dem Film mit etwas Geduld auch das nachsehen. Immerhin ist HONIG IM KOPF eine von Dieter Hallervordens besten und spannendsten Rollen, und immerhin verliert Schweiger selbst im größten Eskapismus nicht die Menschlichkeit seines Protagonisten aus dem Auge. Der Film hat das Herz am rechten Fleck, und in einigen Momenten geht einem die Geschichte sehr nah. Schade, daß die Erzählung drumherum dann selber irgendwann Honig in den Kopf kriegt.
Mehr Til Schweiger auf Wilsons Dachboden:
KOKOWÄÄH 2: Offensichtliche Konstruktion und ebensolcher Humor
Honig im Kopf (Deutschland 2014)
Regie: Til Schweiger
Buch: Hilly Martinek, Til Schweiger
Kamera: Martin Schlecht
Musik: David Jürgens, Dirk Reichardt, Martin Todsharow
Darsteller: Dieter Hallervorden, Til Schweiger, Emma Schweiger, Jeanette Hain, Mehmet Kurtulus, Tilo Prückner, Jan Josef Liefers, Helmut Zierl, Samuel Koch, Samuel Finzi, Udo Lindenberg
Die Screenshots stammen von der BluRay (C) 2014 Warner Bros.