Im Interview erzählt Regisseur und Autor Boaz Davidson, wie er nach Fertigstellung von X-RAY den englischen Vertriebschef auf einem Festival traf. Der war begeistert: „You did it again! It is so funny!“ Davidson, der unter anderem mit der Pubertätskomödie EIS AM STIEL bekanntgeworden war, war über die Reaktion irritiert: X-RAY war nämlich sein erster Horrorfilm.
Ganz kann man es dem Vertriebler nicht verdenken, daß er den Film witzig fand: Was X-RAY (wahlweise auch HOSPITAL MASSACRE) an Originalität missen läßt, macht er mit Eifer und Skurrilitäten wieder wett. Ja, es ist ein Horrorfilm – aber er hat zeitweise auch das Flair einer schwarzen Komödie und setzt die Mechanismen des Slasher-Genres so inflationär und polternd ein, daß es mitunter nach Karikatur aussieht.
Der Genreboom war 1981 dank HALLOWEEN und FREITAG DER 13. jedenfalls schon in vollem Gange: Es schnetzelten sich derart viele Irre durch das Kinojahr, daß einem die stummen Schlitzer bald vertrauter schienen als die eigenen Nachbarn. Auch X-RAY folgt der Slasher-Blaupause: Der Film spielt am selben Feiertag wie der kurz davor erschienene Streifen BLUTIGER VALENTINSTAG und packt die Handlung (wahrscheinlich zufällig) in dieselbe Location wie der zeitgleich entstandene HALLOWEEN II: Eine Frau verbringt die Nacht in einem Krankenhaus, wo es ein Wahnsinniger auf sie abgesehen hat – der gründlichkeitshalber auch das Personal nach und nach über die Klinge springen läßt.
Alles, was so einen herzlichen Slasher ausmacht, findet sich auch in X-RAY zur Genüge: Alleine durch Gänge und Räume irrende Opfer, ein plötzlich auftauchender Killer, originelle Mordmethoden, das ganze Paket. Davidson drückt dafür mit den dafür eingesetzten Stilmitteln ordentlich auf die Tube: Hier gibt es nicht ein oder zwei falsche Fährten und Pseudo-Schocks, hier passiert einfach permanent etwas Ominöses, das sich nach plötzlichem Erschrecken als etwas ganz Harmloses entpuppt. Um da mithalten zu können, zeigt sich der Killer aber dafür besonders motiviert und hantiert mit Sägen, Äxten und anderen Geräten, als gäb’s Preise für den schönsten Fehlgebrauch von Werkzeug zu gewinnen. Jeder Horror-Ausbruch wird auch inszenatorisch mit einer Extraschaufel Hysterie bedacht: Auf dem Soundtrack kratzt, fiedelt und scheppert es, als wäre es ein dämonischer Cartoon, das Blut fließt in Strömen, und gelegentlich kreischt ein Chor in ritueller Hingabe.
Diese Over-the-Top-Ausbrüche passen tatsächlich zu der teils fast surrealen Stimmung mancher Sequenzen. Eine ganze Etage scheint verlassen in dickem Nebel zu liegen, was das Personal nicht zu stören scheint. An der Wand eines Arztes hängen Nahaufnahmen von beschädigten Körperteilen – und zwar nicht als Infografik, sondern anheimelnd gerahmt. Irgendwo läuft ein Trio mit aufgezogenen Gasmasken durch das Haus, immer wieder tauchen drei schnatternde alte Damen auf und ziehen wieder davon. Der Chefarzt bewegt sich mit fröstelnd langsamer Genauigkeit, und wenn er unsere Protagonistin mit stechendem Blick bittet, sich für die Untersuchung freizumachen, wirkt er mehr als nur dubios. Begleitet wird er meist von zwei großen Krankenschwestern, die wie Amazonen-Bodyguards seine Befehle ausführen.
Keine Frage: Ein normales Krankenhaus ist das bei weitem nicht – und tatsächlich fragt man sich mehr als einmal, ob es sich um ein Hospital oder eine Nervenheilanstalt handelt, nachdem so viele merkwürdige Gestalten umherirren und die Ärzte unsere Heldin bei Krankheitsverdacht auch einfach mal gewaltsam festhalten können.
Genau darin liegt die Stärke von X-RAY: Er wirkt wie ein makabrer, klaustrophobischer Albtraum, aus dem die Protagonistin nicht entkommen kann. Keiner hört ihr zu, keiner läßt sie gehen – und weil der Killer irgendwie ihre Testergebnisse vertauscht, wird sie irgendwann sogar festgeschnallt, weil ihre panische Angst als Symptom für die vermeintliche Krankheit gedeutet wird. Die etwas unwirkliche Atmosphäre – die unplausiblen Elemente des Gebäudes, die Distanz des Personals, das sich immer vielsagend ansieht, aber nie etwas ausspricht – spielt in diesen Albtraum ebenso hinein wie die plötzlichen, überspitzen Horror-Entladungen.
Vielleicht mußte der Verleiher ja aber auch schmunzeln, weil X-RAY dann eben doch kein perfektes Hochglanzprodukt ist. Playmate und Hefner-Ex Barbi Benton rennt so schön gefönt und mit faszinierend unbeweglichem Gesicht durch die Szenerie, daß man gar nicht wegschauen möchte. In einem Gang versteckt sie sich einmal hinter einem weißen Schirm, unter dem ihre Füße hübsch sichtbar hervorschauen – aber der nur einen Meter entfernte Killer sieht weder das noch ihr ängstlich hervorlugendes Auge. Der Effektivität vieler anderer Sequenzen kann das wenig anhaben – und Davidson kann sich trösten: Auch Horror kann mal witzig sein.
X-Ray (USA 1981)
Alternativtitel: Hospital Massacre / Be My Valentine, Or Else … / Ward 13
Regie: Boaz Davidson
Buch: Boaz Davidson (Story), Marc Behm (Drehbuch)
Kamera: Nicholas Von Sternberg
Musik: Arlon Ober
Darsteller: Barbi Benton, Chip Lucia, Jon Van Ness, John Warner Williams, Den Surles, Gloria Morrison, Karyn Smith
Die Screenshots stammen von der BluRay (C) NSM Records.