Der Name Howard Ziehm dürfte nur den interessiertesten Filmliebhabern ein Begriff sein – und das hauptsächlich für seine Science-Fiction-Sexparodie FLESH GORDON, der später noch das verwegene Sequel FLESH GORDON – SCHANDE DER GALAXIS folgte. Dabei ist Ziehm eigentlich ein Pionier – nur halt auf einem Gebiet, das öfter für pikierte Blicke als für filmhistorisches Interesse sorgt: Mit MONA drehte er 1970 den ersten Porno-Langfilm, der es ins Kino schaffte, und zusammen mit seinem Partner Bill Osco gehörte er in diesen jungen Jahren der Erwachsenenunterhaltung zu den umtriebigsten Filmemachern des neuen „Porno Chic“. Eigentlich sollte um ihn genauso viel Wirbel gemacht werden wie um Gerard Damiano und dessen DEEP THROAT, der immerhin erst zwei Jahre nach MONA gedreht wurde.
Tatsächlich blieb Ziehm aber weitgehend unbekannt. 1981 drehte er mit NAUGHTY NETWORK seinen letzten Hardcore-Film und verließ die Branche. Er schaffte es weder, wie beispielsweise Wes Craven oder Abel Ferrara, den Sprung ins „richtige“ Filmgeschäft zu vollziehen (weil er diesbezüglich einfach keine Ambitionen hegte), noch, wie zum Beispiel Radley Metzger, die nötige Anerkennung in einschlägigen Kreisen zu erhalten. Dabei könnte Ziehm in zahlreichen Dokumentationen rund um die Porno-Branche als umtriebiger „Schmuddel-Großvater der ersten Stunde“ weitreichende Einblicke geben.
Mit dem eBook TAKE YOUR SHAME AND SHOVE IT veröffentlicht der mittlerweile 75-jährige Ziehm nun seine Autobiographie. Um den etwas sperrigen Titel auszuweiten, lautet der Untertitel MY WILD JOURNEY THROUGH THE MYSTERIOUS SEXUAL COSMOS. Darunter steht „The ribald memoir of Howard Ziehm – Maker of the revolutionary adult films FLESH GORDON and MONA THE VIRGIN NYMPH“, und weil das noch nicht reicht, gibt ein zusätzlicher Textkasten noch das Motto des Buchs preis: „Being told that sex was dirty, just obsessed me to want to see more“.
So umfangreich wie der Textanteil auf dem Cover fällt auch das Buch selber aus: Umgerechnet 614 Seiten umfassen die Erinnerungen. Da darf man sich als Leser auf eine lange Reise begeben: Es dauert sage und schreibe über 50 Kapitel (!), bis Ziehm überhaupt zum ersten Mal hinter der Kamera steht.
Das soll aber nicht heißen, daß es unendlich dauert, bis einmal etwas passiert in Ziehms Leben. Im Gegenteil: Es ist höchst spannend, wohin ihn Zufall und Zeitgeschehen immer wieder treiben. Er studierte eine Zeitlang am MIT und hätte Elektrotechniker werden können, dann trieb es ihn aber in die aufkeimende Gegenkultur-Szene von San Francisco, wo er bald Mitgründer eines Folk-Clubs namens The Casale wurde. Der war einige Jahre lang einer der beliebtesten Auftrittsorte im Land, und Ziehm kam dort unter anderem mit Bob Dylan und Janis Joplin in Kontakt.
Zur Pornographie kam Ziehm, der sich auch als Gelegenheitsjobber und sogar als (nicht sehr kompetenter, wie er selber zugibt) Drogenschmuggler verdingte, dann über viele Ecken und nun wirklich nicht aus Absicht. Zeitgeist und Gelegenheiten waren einfach da: Im Zuge der sexuellen Revolution wuchs in den Sechzigern das Interesse an erotischen Darstellungen, während die Gesetzeslage (in sehr kleinen Schritten) liberaler wurde. Ziehm stellte fest, daß er mit Nacktphotos Geld machen konnte – erst vor der Kamera, dann dahinter – und machte dann den Schritt zu kleinen Kurzfilmen, den sogenannten „Loops“, die nach und nach expliziter wurden.
Damit ist TAKE YOUR SHAME AND SHOVE IT zu einem großen Teil ein Porträt eines Zeitabschnittes: Auch wenn weder Masterplan noch gezielte Ambitionen dahintersteckten, befand sich Ziehm mitten in einem gesellschaftlichen Umbruch, der weitflächige Veränderungen nach sich zog. Gegen die prüde Moral der Vorgeneration trat plötzlich eine Bewegung, die in ihrer Direktheit und Offenheit sehr vehement das ans Tageslicht zerrte, was bislang totgeschwiegen wurde. Vergessen wir nicht, daß es eine kurze Zeitlang als schick galt, sich pornographischen Filmen zu widmen – und daß sich daraus eine millionenschwere Industrie entwickelte.
Ein wenig stolpert Ziehm wie ein Chaplinesker Tramp durch diese Zeit – schwerlich so unschuldig im Herzen, aber immer auf der Suche nach Gelegenheiten, immer ohne bösen Gedanken aus unglücklichen Umständen in die nächste Bredouille rutschend. Der angesprochene Kampf gegen die vorherrschende Moral bildet dabei den roten Faden seiner Erzählung: Immer wieder gerät Ziehm in Konflikt mit dem, was als „anständig“ gilt – und das nicht nur, wenn er als Sexfilmer auftritt, sondern auch schon, wenn er sich nur offen für Sexualität interessiert.
Tatsächlich machte Ziehm die Staatsgewalt das Leben ziemlich schwer – unter anderem wurde die ursprünglich als expliziter Film vorgesehene Parodie FLESH GORDON von der Polizei beschlagnahmt, und Ziehm mußte schwer darum kämpfen, seine Negative zumindest teilweise zurückzubekommen. Weil er immens viel Geld in den Film gesteckt hatte, hatte die Polizei die Hoffnung, daß er in Konkurs gehen und damit von der Bildfläche verschwinden würde. Völlig absurd war eine andere Aktion, in der er wegen einer „Verschwörung zum Oralsex“ angeklagt wurde. Oh ja, Oralsex war in vielen amerikanischen Staaten eine Straftat, und da er als Regisseur anderen Instruktionen gab, wurde er als Anstifter gesehen (was weitaus höhere Strafen nach sich gezogen hätte).
Auch wenn hier die unglamouröse Seite der Filmwelt beleuchtet wird: Was die finanzielle Seite angeht, ist TAKE YOUR SHAME AND SHOVE IT nicht allzu weit von anderen Hollywood-Berichten entfernt. Wo viel Geld zu holen ist, regiert eben auch die Gier – weshalb Ziehm, der sich für das Geschäftliche kaum interessiert, immer wieder über den Tisch gezogen wird. Beispielsweise vom Ägypter Farouk Agrama, der die Europarechte an FLESH GORDON für weitaus mehr verkauft, als er Ziehm wissen läßt. Oder von Ziehms Weggefährte Bill Osco, der viel Geld in die eigene Tasche fließen ließ und stets einen guten Grund dafür angeben konnte, warum er sich einen Rolls-Royce leisten kann, während die Firma im Zuge der FLESH-GORDON-Konfiszierung fast pleite ist.
Ziehm erzählt in lockerem Plauderstil und hat hunderte von Anekdoten auf Lager, darunter freilich zahlreiche pikante Intermezzi – ein wenig wirkt er wie der schräge Onkel, der in ausgelassener Herrenrunde Schlüpfrigkeiten berichtet. Nicht nur aufgrund der vielen Tippfehler wäre allerdings ein guter Lektor Gold wert gewesen: Die Sexgeschichten nehmen irgendwann überhand und hätten um einiges gestrafft werden können. Aber die Ausführlichkeit und die „Ich hab‘ noch einen auf Lager“-Erzählweise ist wohl zu erwarten von jemandem, der in einer Branche arbeitete, wo weniger nie mehr sein kann.
Wir wollen uns aber nicht beschweren: Bis vor kurzem war die Informationslage zu Ziehm noch sehr überschaubar, und es ist herrlich, seine salopp verfaßten Einblicke in einen Filmbereich lesen zu können, über den man sonst fast nichts erfahren hätte. Wäre es gierig, jetzt auch noch die Geschichte von Bill Osco hören zu wollen?
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