Close-UpFilm

Close-Up: DAS APPARTEMENT – Menschenmengen und Einsamkeit

Billy Wilders Tragikomödie DAS APPARTEMENT (mittlerweile als DAS APARTMENT geschrieben) ist einer der bittersten heiteren Filme der Filmgeschichte. Es ist brillant, wie Wilder und sein Co-Autor I.A.L. Diamond mit sanftem Witz und viel Menschlichkeit eine ganz traurige Geschichte über die Einsamkeit erzählen. Wer die Story nicht kennt: Der Büroangestellte C.C. Baxter verleiht stundenweise sein Apartment an Vorgesetzte, die einen ruhigen Platz für ihre außerehelichen Affären suchen. Das bringt ihm bald eine Beförderung ein – aber dann unternimmt eine Gespielin seines Chefs, an der er selber interessiert ist, in seiner Wohnung einen Selbstmordversuch mit Schlaftabletten.

Beim erneuten Ansehen fiel mir auf, wie Regisseur Wilder und Kameramann Joseph LaShelle immer wieder mit ähnlichen Einstellungen arbeiten, die Hauptfigur Baxter in eine Menge setzen und ihn dann isolieren. Die Bilder treten quasi in Paaren auf, von denen eins als Echo des anderen fungiert.

Gleich zu Beginn kommt das eindringlichste Bild: Unser Erzähler ist so sehr in der unendlichen Weite und Menschenmenge des Büros versteckt, daß wir ihn gar nicht richtig sehen. Es heißt, daß Kleinwüchsige und bewegliche Aufsteller eingesetzt wurden, um die hinteren Arbeiter darzustellen – so wurde mehr Tiefe ermöglichst, als es am Studioset eigentlich möglich gewesen wäre. Man beachte anhand der Deckenleuchten, wie unsere Perspektive sogar etwas gewölbt ist – als würde man bis zu einem Horizont sehen.

Im Kontrast dazu dann wenige Momente später das Pendant: C.C. Baxter macht alleine Überstunden, sitzt verloren und einsam im Meer der Schreibtische.

Wenig später sehen wir Baxter, wie er sich zusammen mit einem großen Pulk in den Bürofahrstuhl quetscht. Dort redet er kurz mit Ms. Kubelik, der Fahrstuhlfahrerin.

Als er kurz darauf für seine Dienste befördert werden soll, wird er in die Chefetage gerufen. Wieder sehen wir Baxter mit Kubelik im Fahrstuhl – diesmal alleine. Und wieder sehen wir ihn vor dem Fahrstuhl, aber diesmal nur mit Ms. Kubelik, die sogar extra zu ihm herauskommt. Die Parallel-Bilder kommen also in gespiegelter Reihenfolge.

Baxter überredet Ms. Kubelik, mit ihm in ein Musical zu gehen. Während sie beim Dinner mit Baxters Chef Sheldrake sitzt, sehen wir die Menschenmasse vor dem Theater. Baxter bahnt sich seinen Weg Richtung Straße, um nach Ms. Kubelik zu suchen. Wenig später hat das Stück angefangen, während Baxter noch alleine vor dem Theater auf Kubelik wartet.

In diesem Fall wird der Gegensatz in einer einzigen Einstellung erzählt: Bei der Weihnachtsfeier im Büro scharen sich die Leute um eine Frau, die auf einem Tisch tanzt. Dann kommt Baxter von rechts ins Bild und geht an der Masse vorbei. Die Kamera schwenkt nach links mit, bis die Menge komplett aus dem Bild verschwunden ist und Baxter wieder alleine in der Büroumgebung zu sehen ist – abgesehen von einem seiner Vorgesetzten, der wieder den Schlüssel für seine Wohnung haben will.

Zu Weihnachten setzt sich Baxter in eine mit Menschen gefüllte Bar – alleine in der Menge. Immerhin sehen wir ihn diesmal sofort. Er wird dort von einer ebenso einsamen Frau angesprochen, mit der er den Abend verbringt – bis zur Sperrstunde, wo wir ihn und die Dame in dem mittlerweile (bis auf den Barkeeper) leeren Lokal sehen.

Es gibt übrigens auch Bilder, die nach ähnlichem Prinzip arbeiten, aber ohne das Pendant verwendet werden:

Während seine Wohnung mitten in der Nacht verwendet wird, versucht Baxter, auf einer Parkbank zu schlafen, die sich bis in die unendliche Leere zu erstrecken scheint.

Beim Herumtelefonieren, um seine Termine zu koordinieren, sehen wir eine lange Reihe von Telefonistinnen. Die vorderste entpuppt sich dann übrigens als Gespielin eines Vorgesetzten von Baxter.

Das Gekonnte dieser Bild-Strategie von DAS APPARTEMENT ist, wie subtil sie eingesetzt wird: Das Prinzip wird nicht mit formaler Strenge angewandt, jede Variante hat ihre eigenen kleinen Eigenheiten. So wird immer wieder das Gefühl erzeugt, wie Baxter entweder in der Menge untergeht oder von ihr getrennt ist, ohne darauf besondere Aufmerksamkeit zu lenken.

Alle Screenshots wurden von der DVD (C) 2007 Metro-Goldwyn-Mayer Studios entnommen.

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

    1 Comment

    1. Schreibmaschinen!!! Sie werden die Welt übernehmen.

      In Ms. Kubelik war ich sowas von verliebt. Wenn ich die Chance hätte, so eine Tragikomödie zu schreiben, dann wäre ich glücklich.

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