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Interview: Rodja Pavlik über den österreichischen und deutschen Independent-Film

Rodja Pavlik ist so etwas wie der Schutzpatron der Independent-Filmszene: Seit mittlerweile 14 Jahren bricht der Wiener Journalist eine Lanze für unabhängig produzierte Filme. Er berichtet von liebevoll gemachten Amateurfilmen ebenso wie von professionell inszenierten Werken abseits des Mainstreams. Er interviewt ihre Macher, versorgt sie mit Informationen zu Festivals, Wettbewerben und anderen Entwicklungen, und bemüht sich um die Vernetzung der Szene – nicht nur über seinen Blog HomeMovieCorner, sondern auch über Facebook und eigens organisierte Filmabende. So viel Leidenschaft ist selten für eine Filmszene, die anderswo mitunter gar nicht wahrgenommen wird – geschweige denn ausreichend Berichterstattung oder Wertschätzung erfährt.

Ich habe mit Rodja zum ersten Mal Anfang 2012 gesprochen, als ich erste Pläne für meinen zweiten Spielfilm BROT UND SPIELE entwickelte – der Schauspieler Thomas Nash hatte mir empfohlen, ihn zu kontaktieren. Über die Jahre hinweg habe ich nicht nur gesehen, wie sehr sich Rodja für die Szene einsetzt, sondern auch gemerkt, wie oft ich selber anderen Filmemachern empfehle, ihn anzuschreiben. Grund genug, ihn mal ausführlich zu interviewen!

Am 14. Februar 2015 traf ich Rodja im Wiener Café Sperl – ja, dort wurde auch BEFORE SUNRISE gedreht. Zu Kaffee und Apfelstrudel plauderten wir über seinen Enthusiasmus für den Indie-Film und seine Gedanken und Wünsche für die weitere Entwicklung der Szene. Danach ging es noch zum nächstgelegenen Asiaten, wo wir off the record Projektideen und Filmbegeisterung ausgetauscht haben.

Fangen wir mal mit der ganz offensichtlichen Frage an: Du machst diese Independent-Geschichte jetzt 14 Jahre. Woher kommt soviel Begeisterung für Independent-Film?

Das war jetzt vollkommen überraschend (lacht). Ich bin einer, der aus dem Independent-Bereich kommt, aus dem Self-Made-Bereich. Das hat angefangen damit, daß mein Vater, der ein einfacher Arbeiter war, auf einer Schreibmaschine Geschichten für mich geschrieben hat. Das hat mich damals fasziniert. Dann habe ich selber Kurzgeschichten geschrieben, Comics gezeichnet, Amateurtheater gespielt und bin dann in den Neunziger Jahren auf der Uni auch filmisch tätig gewesen. Da haben wir zum Beispiel einen Film für die Uni gedreht, ALF – DIE MUTATION, und dann habe ich bei zwei Spielfilmen mitgewirkt, die aber letztendlich nicht fertig wurden.

In den Achtziger Jahren hat es mal in der ARD einen Bericht gegeben über einen Filmemacher, der einen Film auf 8mm gemacht hat – ziemlich grausliches Thema, mit Leichen und so. Ich war damals ziemlich schockiert, aber andererseits auch fasziniert, daß das jemand privat gestemmt hat, daß das jemand mit ein paar Freunden gedreht hat. Und dieserjenige war Jörg Buttgereit mit NEKROMANTIK. Man hat damals im Fernsehen nur so einen Ausschnitt gesehen, wo die Frau gerade eine Leiche ableckt – und das war urgrauslich, aber andererseits habe ich mir gedacht: Wow, das macht jemand privat. Dann habe ich das eigentlich auch wieder vergessen.

2000 hat dann der Matthias Greuling die Zeitschrift Celluloid gegründet. Der junge österreichische Film war damals grad am Entstehen, mit Barbara Albert, Virgil Widrich. Greuling wollte damals seine Zeitschrift als Forum für den österreichischen Film sehen. Ich habe damals angefangen, herumzusuchen, und bin auf einen Vorarlberger Schülerfilm gestoßen: FAUST – DER MUSICALFILM. Ich habe mir von denen eine VHS-Kassette zukommen lassen, hab sogar bezahlt, hab mir das angeschaut – und Musical ist nicht wirklich meins. Trotzdem, auf einmal: Wooow. Die haben die Musik selber gemacht, die haben irrsinnig phantasievolle Bühnenbilder entworfen, und sie haben auch einen Kamerakran entwickelt mit Fernsteuerung.

Da bin ich das erste Mal drauf gestoßen: Es gibt wirklich eine Filmszene abseits der Profis. Da habe ich dann angefangen zu recherchieren und bin auf ein paar Sachen gestoßen, zum Beispiel auf die deutsche Gruppe Mania Pictures – die damals schon einige Spielfilme abgedreht hatten. Dann habe ich mir gedacht, es gibt für diese Filme keine Plattform. Damals habe ich mit Matthias Greuling gesprochen, ob wir auf der Homepage von Celluloid eine Unterseite aufmachen können. Das war dann auch so, aber irgendwie habe ich auch gemerkt, der Matthias hat sich nicht so wirklich dafür begeistert. Er hat gesagt: Okay, gut, lassen wir mitlaufen. Da habe ich mir dann gedacht: Ich müßte eigentlich immer alles von ihm absegnen lassen – gut, machst du halt was eigenes auf. So hat das dann gestartet.

Du trennst das ja gar nicht so genau, was Independent ist und was Großproduktion – da gibt es ja fließende Bereiche mittlerweile: Mit Förderung ist es schon nicht mehr ganz Independent und so. Aber wenn du jetzt das nimmst, was du als Independent-Film siehst: Was siehst du in den Filmen? Was kriegst du, was die anderen nicht machen – ob sie es nicht können oder nicht wollen?

Es spricht mich deswegen an, weil ich mir denke: Ah, okay, das könnte ich auch! Ich könnte ja auch ein Buch schreiben, und ich könnte auch mit Leuten einen Film drehen. Vor allem damals, Anfang der 2000er Jahre, habe ich ja sehr viele Leute kennengelernt, die quasi noch auf meinem Niveau waren. Wenn du heute „Independent-Film“ sagst, dann erwartet man sich schon ein bißchen Anspruch – vor allem die Leute von damals haben sich ja filmisch weiterentwickelt und wären heute viel, viel weiter. Es ist also vor allem dieses Selbstgemachte, wo die Leute sagen: Gut, ich hab‘ halt meinen Brotjob, aber der füllt mich nicht aus. Und davor habe ich einen Heidenrespekt. Das taugt mir einfach.

Von den Geschichten her ist es sehr unterschiedlich. Wenn man früher „Independent“ gesagt hat, war das Arthouse. Das trifft dann zum Beispiel bei so einer großen Produktionsfirma zu, die auch Independent-Labels führen – da haben sie so Blockbuster, TRANSFORMERS, und dann sagen sie: Wir haben da eine Beziehungskomödie, das machen wir dann halt auf Independent. In Deutschland und in Österreich ist Independent von den Geschichten her ein Mischmasch. Es gibt Leute, die sagen: Ich möchte meine Geschichte erzählen – oder es gibt Leute, die sagen: Das, was mir der deutsche Film bietet, ist mir zu wenig Hollywood, zu wenig Blockbuster, und ich möchte einen Backwood-Slasher oder so etwas drehen. Das ist vollkommen unterschiedlich. Von den Geschichten her würde ich es gar nicht mal so abhängig machen – mich interessiert vor allem meistens die Produktion. Wenn dann die Geschichte auch noch gut ist: (streckt begeistert zwei Daumen nach oben).

Wie ist das mit Enttäuschungen bei den Filmen? Der Independent-Filmer hat meistens nicht die Mittel, die andere haben, der Independent-Filmer hat auch manchmal nicht das Know-How, was Leute haben, die schon 20 Jahre lang den Job machen, oder die sich jemanden kaufen können, der das so machen kann.

Insofern ist es eigentlich niedriger angesetzt. Beim Independent-Film oder beim Amateurfilm gehe ich prinzipiell rein und sage mir: Ich schau’s mir einfach mal an. Und manchmal erwartet mich der reinste Trash – wenn der Trash für sich stimmig ist, paßt das für mich perfekt. Es gibt aber auch Amateurfilme, die mich hellauf begeistern, weil ich mir denke: Wow, wie kommen die denn auf diese Idee? Oder wie haben sie das technisch umgesetzt?

Wenn ich zum Beispiel in STAR WARS 7 reingehe, was ich sicher machen werde, bin ich weitaus kritischer. Dann denke ich mir so: Ach, Gott, die CGI sind aber schon ziemlich schlecht, oder da hat man schlecht die Person rausgeschnitten, oder Jar-Jar Binks ist ein absolut lächerliches Ding, oder was auch immer. Da bin ich viel, viel kritischer, als wenn ich mir einen Independent-Film anschaue. Weil ich eben beim Independent-Film reingehe, um mich zu informieren: Wie haben die das gemacht? Wenn die mir zum Beispiel versprechen, es kommt ein Monster aus dem Moor, dann möchte ich das sehen! Und wenn die dem Monster einfach nur eine grün angemalte Strumpfhose über das Gesicht ziehen und es funktioniert trotzdem, dann bin ich hellauf begeistert.

Dann wäre jetzt die provokante Frage: Wäre damit nicht der Film über den Independent-Film interessanter als der Independent-Film selber? Der Film über die Schwierigkeiten, einen Independent-Film zu machen …

Nein. Making-ofs sind natürlich super. Aber ich möchte mich trotzdem auf die Geschichte einlassen. Mich interessiert, wie die Leute diese Geschichte mit ihren Möglichkeiten erzählen. Und da möchte ich zuerst die Geschichte sehen.

Also erst das Ergebnis, und von dort aus dann sehen, wie dieses Ergebnis entstanden ist.

Es ist nicht bei jedem Film ein Making-of dabei – es reicht mir, wenn ich mir das vorstellen kann, wenn ich mir das im Kopf selber erzählen kann.

Findest du, dass es wirklich eine Independent-Szene gibt, oder gibt’s einfach nur einen Haufen Leute, die Independent-Filme machen?

Das ist eine gute Frage … ich glaube, daß es in Deutschland mehr eine Independent-Szene gibt oder gegeben hat als in Österreich. Es stimmt, in Österreich gibt es sehr viele Leute, die Independent-Filme machen. In Deutschland selber – und ich glaube, das ist größtenteils den Foren zu verdanken, wie z.B. Filmerforum.de, Achsensprung.net, Slashcam, Movie-College, Hackermovies und so weiter – dort hat sich mehr eine Szene entwickelt als bei uns. In Österreich hat’s kein Forum gegeben. Ich hab‘ zwar ein paar Mal probiert, so etwas zu betreiben, aber das wurde nicht angenommen – aus welchen Gründen auch immer. Die sind dann auch in die deutschen Foren gegangen. Wenn man ein Problem hat, geht man dorthin und sagt: Entschuldigung, wie mache ich diesen Bullet-Time-Effekt? Und dann bekommt man gleich Antworten.

Diese Szene hat sich bei uns in Österreich nicht so wirklich entwickelt. Außer in Graz, in der Steiermark: Dort gibt’s wirklich eine Independent-Film-Szene. Und in Deutschland merke ich dadurch, daß Facebook vorhanden ist, daß die ganzen Foren sehr viel an Einfluß verloren haben. Es gibt sogar einige nicht mehr. Die sind einfach spurlos verschwunden. Und in Österreich gibt es die Facebook-Gruppe „Filmschaffenden Österreich“ mit über 10.000 Mitgliedern, aber dort ist es halt auch nur so: „Ich habe eine Frage!“ – Dann hat man 15 Antworten und der Kontakt ist auch schon wieder vorbei. Insofern: Ja, in Österreich gibt es mehr Independent-Filmemacher als eine Independent-Szene.

Was bräuchte es, daß eine Szene entsteht, oder eine stärkere, größere?

Ein Medium. Ein Forum. Facebook ist nicht das Wahre. Es braucht wirklich etwas, wo man sich austauschen kann. Aber was das ist, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Vor einigen Jahren hätte ich noch gesagt, ein gutes Forum würde man dafür brauchen, wo quasi der aus Oberösterreich mit dem aus Wien und mit dem aus Vorarlberg kommunizieren kann. Das ist jetzt alles auf Facebook vorhanden, aber das ist immer nur so eine momentane Aufnahme. Bei einem Forum hast du auch ein Archiv, kannst nachschauen, da hast du dann so 20-30 Themen: Wie mache ich Laserblitze, welches Programm ist das beste, und so weiter. Du hast eine gewisse Struktur. So etwas bräuchte es momentan. Aber ich weiß nicht, ob die Leute durch Facebook ein bißchen verwöhnt sind.

Ich glaube, ein Knackpunkt an der Independent-Szene ist: – meine Frage wäre jetzt, ob du da zustimmen würdest – es ist eine Szene, aus der eigentlich jeder raus will. Weil die Leute nach dem streben, daß sie mehr kriegen. Wenn die Leute die Wahl hätten, ob sie Independent drehen für die geringen Mittel, die sie jetzt haben, oder ob sie vom Fernsehen alles bezahlt kriegen oder von einer großen Produktionsfirma, würden fast alle mit den großen Mitteln drehen. Ich glaube, die Leute sind Independent aus Zwang oder aus Verlegenheit.

Nein. Glaube ich nicht. Ich glaube, die Independent-Filmemacher wollen für ihre Arbeit Anerkennung, und sie wollen sicher auch Geld dafür haben, aber sie wollen vor allem ihre Geschichte erzählen. Zum Beispiel: Ich bin mir sicher, daß der Stefan Müller hofft, daß seine Filme irgendwann mal die Blockbuster in Österreich werden. Das hast du bei JENSEITS und bei TARTARUS auch sehr sehr stark gespürt. Aber er weiß jetzt, wie der Hase läuft, daß das mit dem Independent-Film so nicht zu machen sein wird. Deswegen glaube ich auch, daß er für sich entschieden hat, beruflich auch etwas mit Film zu machen – ich weiß jetzt nicht genau, was er macht, aber er dreht, glaube ich, Imagefilme und so – aber sein Herzblut selber hängt am Geschichtenerzählen. Und ich glaube, das kann ihm niemand wegnehmen. Das wird er weiterverfolgen, egal, ob er nun vom ORF oder von der Filmwirtschaft erkannt wird oder nicht.

Ich glaube, die meisten Filmemacher sind jetzt soweit – wenn du das vor 7 oder 8 Jahren gefragt hättest, dann hättest du sicher die Antwort bekommen: Ja, ich möchte von einer Filmfirma entdeckt werden. Das war auch in Deutschland so. Deswegen haben sie dann die Gegenbewegung zur Berlinale, die Genrenale, selber gegründet, weil sie genau gemerkt haben, die Produktionsfirmen wollen nicht das, was sie drehen wollen – deswegen müssen sie ihre eigene Plattform gründen.

Diese Geschichte wird aber immer noch verkauft, wenn man von Independent-Filmen auf großem Level hört – oft sind ja im Horror-Bereich zum Beispiel diese Durchstarter: PARANORMAL ACTIVITY, für ganz wenig Geld gedreht, und so kommen die dann in die hohen Sphären, wo sie unter Hollywood-Leuten sind und große Produzenten werden.

Genau. Obwohl, gerade PARANORMAL ACTIVITY: Der Jason Blum, der das begründet hat mit seinen Blumhouse Productions, der hat ja nachher auch THE PURGE gedreht und so weiter – bei dem ist es so, glaube ich, daß der nicht mehr unbedingt mit Hollywood zusammenarbeiten möchte. Er hat sich das Ziel gesetzt, seine Filme sollen maximal 1-2 Millionen kosten, und selbst die bekannten Schauspieler kriegen nur den Kollektivvertrag und werden dann am Gewinn beteiligt, was ja von großen Studios nicht gemacht wird. Ich glaube, daß er da seinen eigenen Weg geht.

Ich glaube zum Beispiel auch, daß sehr viele Filmemacher, die vor der Wahl stehen, für ARD oder ZDF eine Tierdoku zu drehen oder ihr eigenes Ding zu drehen, lieber ihr eigenes Ding drehen wollen.

Und noch lieber für den ZDF ihr eigenes Ding drehen.

Nein, nein! Weil der ZDF dann Beschränkungen hat, die sie nicht eingehen wollen – der eine will’s nun mal extrem blutig machen, der nächste will’s extrem psychedelisch machen, was auch immer. Sie wollen ihre Geschichte erzählen.

Wie ist das bei dir – deine Website heißt HomeMovieCorner, und „Home Movie“ ist eine Bezeichnung, die Amateurfilm ausdrückt. Nicht wertend, aber es ist etwas, das vielleicht von vielen Leuten wertend verstanden wird. Gibt’s da manchmal Diskussionen, oder sagen Leute, sie fühlen sich zwar Independent, aber wollen nicht als Amateure wahrgenommen werden?

Da hat’s ein paar Mal Probleme gegeben, das stimmt schon. Nur: Zu dem Zeitpunkt, als der HomeMovieCorner gestartet ist, war’s einfach so. Die Leute, die vor 14 Jahren gedreht haben und heute immer noch drehen, sind heute weitaus weiter entwickelt. Aber für mich ist der HomeMovieCorner eine liebgewonnene Institution, wenn man so sagen kann. Und der Name hat einen gewissen Klang, auch in der deutschen Szene – was mich sehr überrascht hat. Es stimmt zwar, daß die Leute das vielleicht negativ sehen könnten, aber ich seh’s ja auch noch mit einem gewissen Augenzwinkern. Sehr viele Filme werden halt auch nun mal für die Schublade gedreht.

Mehr denn je, glaube ich.

Ja. Und wenn du zurückschaust – die letzten Filme, über die ich geschrieben habe, das sind keine Amateurfilme mehr. Das sind schon eher professionellere Werke. Aber damit muß sich derjenige, der sich bei mir vorstellt, quasi zufriedengeben: Das ist der HomeMovieCorner, da werden Amateurfilme und Independent-Filme rezensiert. Wobei mein Motto ja ist: Jeder Amateurfilm ist ein Independent-Film, aber nicht jeder Independent-Film muß ein Amateurfilm sein. Jeder, der sich eine Kamera schnappt, und sich überlegt, „Was möchte ich erzählen? Wie fange ich das ein?“, hat eine Geschichte zu erzählen. Das interessiert mich schon mal von vornherein. Das macht der Amateurfilmer genauso wie der Werbefilmer, der gerne seinen ersten eigenen Spielfilm drehen würde.

Wonach wählst du denn aus, worüber du schreibst?

Zeitfaktor. Das ist bei mir sehr oft mit Zeit verbunden. Ich würde weitaus mehr Rezensionen schreiben. Bei manchen Projekten ist es auch schwierig, weil die Leute nicht wissen, welche Informationen ich bräuchte. Es gibt einige, die haben Pressetexte, die wirklich pipifein sind, und dann gibt’s welche, die hauen dir 20 Seiten entgegen, wo du dann erstmal alles zusammensuchen mußt. Und bei anderen mußt du erstmal nachhaken, weil die dir nur 5 Zeilen geschrieben haben und du fragen mußt: Wie hast du das denn finanziert? Ist das jetzt ein Independent-Film? Und so weiter.

Bei Sachen, wo ich mir denke, das ist außergewöhnlich, da möchte ich nachhaken, da kommt auch ein Interview – wie eben zum Beispiel das mit Stefan Müller oder mit den Mania Pictures, die jedes Jahr einen Spielfilm veröffentlichen, oder auch mit dem Flo Lackner, der einen Actionfilm gedreht hat hier in Österreich, was ja an und für sich unerhört ist. Wenn ich könnte, würde ich jeden Tag eine Geschichte raushauen – und das könnte ich auch vom Material her, das mir zufliegt.

Was wieder zeigt, wieviel die Leute machen in Österreich. Gibt es Projekte, über die du nicht schreiben willst? Bei denen du sagst, das ist dir wirklich zu blöd oder zu schlecht gemacht, oder wo du irgendwie Probleme hast?

Es kommt drauf an … im Prinzip nein. Wenn mir zum Beispiel jemand einen Pressetext schickt zu einem Film, den ich für fürchterlich halte, und der sagt, daß der Film in den Kinos startet, dann schreibe ich darüber. Es gibt zwei Arten der Berichterstattung bei mir: Es gibt die Rezension, die wertend ist, wo ich auf das Werk eingehe, und es gibt die Berichterstattung, wo ich möglichst neutral bin, wo ich kaum irgendetwas Negatives sage. Zum Beispiel beim Stefan Müller: Ich war kein Fan von JENSEITS und TARTARUS. Trotzdem habe ich über BIEST vorberichtet, bevor ich den Film gesehen habe – der mir dann letztendlich auch gefallen hat. Ich gebe ja den Filmemachern eine Chance. Es ist nicht so, daß ich sage: Ach Gott, der Film war so schlecht, ich werde mir nie wieder was von dem anschauen – nein, ich schaue prinzipiell alle Filme an, die ich bekommen kann.

Und wieviele kriegst du?

Das ist unterschiedlich. Es gibt manchmal Monate, da bekomme ich nichts, und dann gibt’s wieder 3, 4 Spielfilme auf einmal.

Wo ich anfange, weniger zu berichten, ist dann folgendes: Wenn jemand schreibt, „Ich dreh‘ jetzt den Film“ – dann schreibe ich darüber, daß der Film gedreht wird. „Der Film ist jetzt fertig“ – dann schreibe ich, daß der Film jetzt fertig ist. „Der Film hat Premiere“ – gut, dann schreibe ich auch das. Wenn’s dann aber weitergeht, „Ich toure jetzt mit dem Film durch Niederösterreich“, dann weiß ich auch schon nicht mehr, was ich berichten soll, außer: Der Film tourt, und alles Weitere könnt ihr aus den Artikeln vorher lesen.

Was würdest du dir denn wünschen für den Independent-Film? Für die Szene oder für die Independent-Filmer?

Mein großer Wunsch kam so 2006, 2007 herum auf, da ist die Szene grad aufgebrodelt. Das war zum Zeitpunkt von AUF BÖSEM BODEN und AOEO, diese Richtung. Ich wünsche mir so einen Quentin-Tarantino-Erfolg für die Szene. Daß so ein Film kommt und daß der auch in den Kinos erfolgreich ist. Und daß darüber berichtet wird.

Prinzipiell finde ich, daß viel zu wenig in der österreichischen Medienlandschaft berichtet wird. Die österreichische Filmjournalisten-Szene ist sehr, sehr rückwärts gemacht. Meistens werden nur Filmkritiken geschrieben. Das heißt, der Film ist da, und es wird darüber berichtet, wie der Film ist. Es wird kaum etwas darüber berichtet, wann ein Film gedreht wird. Nur vielleicht einmal, zum Beispiel beim neuesten Josef Hader, berichten wir darüber.

Oder „James Bond wird hier gedreht“.

Ja, und Bond zum Beispiel ist ein absoluter Albtraum für mich gewesen. Du weißt ja, ich arbeite bei der Austria Presse Agentur, und – ich habe das nämlich nachgezählt – bei Josef Hader haben wir einmal berichtet, daß der Film gedreht wird, da war halt mal ein Set-Besuch. James Bond – ich bin in der APA an dem Tag gesessen, und es sind 8 Meldungen gekommen vom ersten Drehtag. Das war so: „Ja, da sieht man jetzt die Feuerwehrleute, die ein Boot ins Wasser lassen, von Daniel Craig sieht man nichts“ – erste Meldung. Zweite Meldung: „Man weiß nicht, ob man den Drehplan einhalten kann.“ Und so weiter und so fort.

Zu Peter Koller schreiben sie auf amerikanischen Seiten: „Er ist jetzt gerade beim Pitchen eines Stoffes über Außerirdische.“ Selbst wenn der Film nicht zustande kommt, sie schreiben in die Zukunft: Der Peter Koller macht etwas, da kommt etwas. Der Film ist noch nicht gedreht, es werden noch Produzenten gesucht. Das ist halt bei den amerikanischen Filmzeitschriften. Die österreichischen Filmzeitschriften kriegst du nur, wenn du mal einen Pressetermin beim Drehen hast, und wenn du den Film rausbringst. Sonst wird über dich nicht berichtet. Da wünsche ich mir einfach eine Verbesserung – damit die Leute auch mehr von der Magie des Films gepackt werden, von der Entstehung des Films, daß sie Lust darauf bekommen. Lust aufs Filmemachen, Lust, sich dafür zu interessieren, und Lust auf das Produkt, das da erst kommen wird.

Ist das Problem des Independent-Films vielleicht einfach das des österreichischen Films generell? Daß die Leute gar nicht so sehr an die Qualität des Films glauben, egal ob Independent oder nicht?

Nein, weil der Independent-Film zusätzlich das Problem hat, daß man von ihm nichts weiß. Beim österreichischen Film ist es so, da glaubt man einfach nicht an die Qualität. Ich weiß zum Beispiel, daß da jetzt ein Science-Fiction-Film gedreht wird in Österreich von Terra Mater, und trotzdem – sobald ich höre, Österreich dreht einen Science-Fiction-Film, spüre ich schon in mir selber: Hmm, kann das gutgehen? Keine Ahnung. In Deutschland ist es genauso.

Da gibt es ja diese Gruppe „Neuer Deutscher Genrefilm“ auf Facebook. Da bin ich auch manchmal bei den Diskussionen dabei und höre rein. Da ist auch jedes Mal so: „Ja, wir wollen Genrefilme drehen!“ Und dann kommt aus Deutschland ein Genrefilm in die Kinos, und sie sagen: „Ja, das funktioniert da nicht, das nicht, das nicht.“ Teilweise ist das schon von vornherein so, daß die schon eine negative Einstellung gegenüber dem Produkt haben. Das ist bei uns in Österreich leider auch nicht viel anders.

Man merkt es auch in der Berichterstattung. Da ist dann immer so ein Ton der Überraschung dabei, daß es das überhaupt gibt – und wenn’s gut ist, dann ist das sowieso unglaublich. Oder es wird dann gelobt: Man merkt gar nicht, daß es von hier kommt. Das ist ja in der Musik auch weit verbreitet: „Man hört denen gar nicht an, daß die aus Österreich kommen.“ Das ist ein Lob.

Das stimmt. Der Peter Koller hat ja bei AUF BÖSEM BODEN gesagt, er wollte auf jeden Fall, daß der Film nicht so aussieht wie aus Österreich. Das merkt man ihm ja auch an – deswegen hat er, glaube ich, auch ein bißchen Erfolg gehabt. Oder wenn ich DER KNOCHENMANN hernehme – der Film kommt aus Österreich, und man merkt, es ist eine österreichische Gegend, aber es ist trotzdem so etwas von einem Slasher, das ist eine ziemliche Überraschung.

Ich glaube, es könnte schon funktionieren, und ich glaube auch, daß ein österreichischer Science-Fiction-Film funktionieren kann. Der Marco Kalantari ist mit AINOA in diese Richtung gegangen – aber bei dem war es auch so, daß man sich dachte: Boah, das ist Österreich? Obwohl das genau Sachen waren, die du kennst, zum Beispiel das AKW Zwentendorf oder der Tunnel in Schönbrunn, wo der Rochen herumschwimmt.

Wenn du weitaus mehr Möglichkeiten hättest, weitaus mehr Ressourcen, weitaus mehr Zeit – was würdest du alles gerne machen? Was wären deine Pläne für den HomeMovieCorner? Oder für die Independent-Szene?

Auf jeden Fall ein gescheites Nachrichtenmagazin aufstellen. Und zwar Richtung Internet, wo auch Trailer gezeigt werden, wo Interviews gemacht werden und so. An ein Festival habe ich auch gedacht. Ich habe ja das Vienna Independent Short Film Festival mitbegründet – aber für mich war das immer zuwenig, weil die immer Kurzfilme gesucht haben, und für mich ist der Kurzfilm nicht stellvertretend für die Independent-Szene. Natürlich gibt’s sehr viele Kurzfilme, aber es gibt auch Leute, die mittellange Filme drehen, oder eben auch Spielfilme. Für mich ist so ein Filmfestival auch durchaus wünschenswert – obwohl man da einfach einen langen Atem braucht.

Aber für mich wäre an erster Stelle ein Nachrichtenmagazin, wo nicht nur über Spielfilme, sondern auch über Kurzfilme berichtet wird, oder – was momentan auch boomt, obwohl es keine TV-Sender dafür gibt – Musikvideos. Einfach nur, um Amateur-Filmemachern zu sagen, „Ihr seid nicht alleine!“, und den Independent-Filmemachern zu sagen, was wo grad läuft, wer was kann. Und um einem interessierten Publikum zu zeigen: Es gibt eine Szene, und da geht etwas. Da gibt es spannende Geschichten zu erzählen. Das wäre mein größter Wunsch.

Ist das etwas, wo du drauf hinarbeitest, oder ist das etwas, das mit den derzeitigen Mitteln und Wegen überhaupt nicht möglich wäre?

Also, mit den derzeitigen Mitteln kann ich das nur zu einem kleinen Teil abarbeiten. Momentan wüßte ich auch nicht, wie ich das bewerkstelligen könnte. Vor allem: Ich bin mit meinem Blog sehr zufrieden, aber ich bräuchte halt wirklich etwas Ansprechendes. Dann bräuchte ich auch Zeit für die Geschichten, für Interviews. Falls irgendjemand sagt: Ich zahle dem Rodja 5000 Euro im Monat … brutto, ich mach’s brutto … dann bin ich dabei, dann mach ich das.(grinst)

Und was kann man praktisch machen, wenn man sagt: Ich finde das cool, was Rodja macht, und ich würde das gerne unterstützen? Wie kann man dir helfen in dem, was du machst?

Man kann mir zum Beispiel helfen, indem man mich zunächst mal auf Projekte aufmerksam macht. Und indem man auch sagt: Ich interessiere mich selber für so etwas und ich würde gerne auch schreiben. Wenn Leute schreiben wollen, bitte: Ich freue mich sehr über Mitarbeiter. Das Einbinden auf der Homepage mache gerne ich, das ist kein Problem. Ich bräuchte halt regelmäßige Mitarbeiter – ich möchte nicht unbedingt Leute haben, die nur von ihrem eigenen Filmprojekt schreiben. Das ist ja quasi Werbung. Aber wenn jemand sagt: Mich interessiert das, was der Rodja da schreibt, aber ich habe auch eigene Ideen, dann soll er sich einfach bei mir bewerben – das wäre fantastisch.

Ich möchte ja auch weiterhin in die Richtung gehen mit Filmabenden und so weiter, und wenn mir einer Artikel schreibt, dann kann ich mich mehr um den Filmabend kümmern. Und wenn ich drei Leute habe, die regelmäßig Geschichten schreiben … das kann auch über technische Belange sein, damit die Leute sich informieren: Wie entsteht ein Film, was für Schwierigkeiten gibt es, was für Produkte gibt es – das gehört auch alles zu meinem Blog. Nur ich selber habe nicht das technische Verständnis für so etwas. Also, hauptsächlich suche ich Mitarbeiter, Mitstreiter.

Meine abschließende Frage: Glaubst du, es wird leichter oder schwerer für den Independent-Film?

(überlegt lang) Ich sage, im Prinzip leichter. Die Frage ist: Was willst du, willst du den Film machen oder ihn vermarkten?

Das ist hier alles mit einbezogen.

Man kann ihn leichter machen. Du merkst den Leuten an, daß sie schon weitaus mehr Medienerfahrung haben. Ein Beispiel: Wenn man sich Confetti-TV anschaut, vor 15 oder 20 Jahren – ich erinnere mich, als ich das das erste Mal gesehen habe, wie irrsinnig hölzern ein Kind da vor der Kamera war. Und wenn du heute Kinder siehst, wie natürlich die sich schon vor der Kamera bewegen – die Leute wachsen mit Medien auf. Sie können selber mit der Kamera umgehen, sie können selber schneiden – es ist nicht unbedingt alles perfekt von der Qualität her, aber sie können leichter mit diesen Sachen umgehen, und sie können auch leichter vor der Kamera agieren. Insofern glaube ich, daß es leichter ist, einen Film zu machen.

Die Frage der Verwertung ist eine andere Sache. 2004, als das Vienna Independent Short Film Festival angelaufen ist, da gab’s einen Film von einem Bekannten, der hat eine Dokumentation gedreht: ZUKUNFT KURZFILM. Da ging es um die Verwertung des Kurzfilms. Er hat irrsinnig viele Leute befragt, eben z.B. die Leute vom Vienna Independent Short Film Festival, aber auch vom Independent Days in Karlsruhe und so weiter, bezüglich der Vermarktung, und daß da ein boomender Markt ist. Man hat ja gesagt, die Filme werden dann auch vom Handy abgespielt und so. Und dann ist YouTube dahergekommen. Und alle Leute, die gehofft haben, mit Kurzfilmen Geld zu verdienen, stehen auf einmal vor der Möglichkeit, den Kurzfilm auf YouTube reinzustellen – gratis, um vielleicht zu hoffen, daß es ein Viral Hit wird, oder was auch immer. Und jetzt gibt es auch andere Möglichkeiten, z.B. Vimeo, Video on Demand. Du hast das ja selber versucht – wie waren denn deine Erfahrungen?

Bislang sehr ernüchternd.

Mich würd’s zum Beispiel interessieren, was der Stefan Müller da für Erinnerungen gemacht hat, weil sein Film doch etwas bekannter ist. Und nachdem er jetzt gerade wieder einen Film dreht, wo ich heute den Teaser gesehen habe – da werden die Leute schauen, was er denn schon gemacht hat. Und dann kommen sie auf den alten Film, und der ist im Netz, und vielleicht schauen sie sich den dann an. Ich glaub‘, wenn du in einem größeren Land lebst wie Amerika, da ist das schon ganz und gäbe – ob es sich auch rechnet, ist eine andere Frage. Bei uns wird das noch eine Zeitlang brauchen. Vielleicht werden wir das auch überschlafen, vielleicht wird das bei uns auch gar nicht rauskommen.

Also, ich glaube, es ist leichter, einen Film zu machen, weil die Leute mehr Medienverständnis haben, angefangen beim Schauspiel bis zum Drehen bis zum Schneiden bis zum Vertonen, da ist schon ein immer größerer Grundstock da. Aber die Verwertung – das steht in den Sternen, wie das laufen wird.

Da werden sich vielleicht kluge Köpfe noch irgendwas ausdenken.

Oder auch nicht. Ich fürchte fast nicht.

So können wir das Interview jetzt aber nicht beenden, auf so negativer Note! Hast du noch ein schönes Schlußwort?

(beugt sich nah zum Aufnahmegerät vor) Ich glaub an euch! (lacht) Nein, ich find’s nicht negativ, ich find’s absolut nicht negativ. Du kannst ja an und für sich schon Filme alleine in deinem Zimmer drehen. Oder du kannst einen Film drehen um 300, 400 Euro, und der kommt dann ganz groß in die Kinos, z.B. wie DICKE MÄDCHEN – die German-Mumblecore-Szene. Das ist nicht jedermanns Geschmack, aber man kann eine Geschichte erzählen. Also insofern ist das etwas sehr Positives. Es ist genauso etwas Positives, daß Autoren ihre Bücher selbst veröffentlichen können. Nur dann besteht halt auch die Gefahr, daß man nicht die Aufmerksamkeit bekommt, die man sich erhofft. Damit muß man leider rechnen. Aber ich finde das nicht negativ. (lacht) Positiv genug?

Klingt super! (lacht) Vielen Dank für all die Info und deine Gedanken dazu!

Rodjas Blog HomeMovieCorner ist hier zu finden. Eine dazugehörige Facebook-Gruppe gibt es auch.

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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