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Nachruf: Wayne Static (1965-2014)

 

Gestern, am 1. November 2014, ist Static-X-Frontmann Wayne Static gestorben. 48 Jahre alt war er, in ein paar Tagen hätte er Geburtstag gehabt. Die Todesursache ist noch ungeklärt, aber einige Tweets von Musikerkollegen deuten auf eine Drogenüberdosis hin. Ich will das gar nicht wissen, es ist mir egal. Ich will lieber über sein Leben reden als über seinen Tod.

Wayne Static – bürgerlich hieß er Wayne Wells – war als Sänger ein wenig wie eine fleischgewordene Comicfigur. Die langen Haare zu einem Turm hochgegelt, ein dicker Bart, der wie angeklebt aussieht, heiseres Kreischen, tiefes Grummeln, Augenrollen: Das paßte zu einer Band, die ihren Stil „Evil Disco“ nannte und bei aller Industrial-Metal-Härte und brutaler Lautstärke immer mit Augenzwinkern auftrat. Static-X waren Rhythmus pur: Die Beats stampften mit Tempo voran, die Gitarren schrubbten in allen Zwischenräumen, der Bass schnalzte, der Text wurde wie ein Maschinengewehr darüber gerattert und gebrüllt. Ein infernalischer Radau im 4/4-Takt.

Static gab der Musik einen verschrobenen und vergnüglichen Witz, auch wenn alles mit ganz ernster Miene vorgetragen wurde. In den Texten, schlagwortartig in Halbsätzen aneinandergepuzzelt wie bei Godflesh, herrschten Unzufriedenheit und Irritation, Konfrontation und Ablehnung – wenn man überhaupt verstand, worum es ging. Aber mit Statics Präsentation wurde aus dem Wir-sind-die-Härtesten-und-bei-uns-ist’s-am-Düstersten-Wettbewerb der anderen Metalbands eine gutmütige Einladung: Er hatte sichtbar Spaß an der Sache, und er lud uns ein, das Vergnügen zu teilen. Einem Metal-Frontmann, der auf der Making-of-DVD mit einem Fön bewaffnet erläutert, wie er seine Haare zum Stehen bringt, kann man kaum vorwerfen, er würde sich zu ernst nehmen.

Zum ersten Mal gehört habe ich Static-X im Frühjahr 2000 – und zwar ausgerechnet den völlig untypischen Song „So Real“, der auf dem Soundtrack zu SCREAM 3 enthalten ist und mit geloopter Big-Beat-Elektronik und halb geflüstertem Text wahrlich nicht repräsentativ für den Sound der Gruppe ist. Auf die Industrial-Härte und das Geschrei des Albums WISCONSIN DEATH TRIP, das ich mir kurz darauf zulegte, war ich wahrlich nicht gefaßt – aber die Energie der Songs, die rhythmische Dringlichkeit und die elektronischen Spielereien faszinierten mich trotzdem.

Als ich dann im Sommer 2000 während eines USA-Trips dort die Single „Push It“ kaufte, auf der auch das dazugehörige Video zu sehen war – man bedenke, daß es damals kein YouTube gab und auch sonst kaum Möglichkeit, Musikvideos zu finden – wuchsen Static-X schnell zu einer meiner Lieblingsbands heran. Wie Static in dem Video, in dem ein animierter Roboter durch eine Art Fabrik läuft, seine Elektrizitätsfrisur vorführt, mit großen Augen böse schaut und dabei doch so kumpelhaft-knuffig wirkt: Das war ganz wundervolles Kino.

Auch das zweite Album, MACHINE, war für mich ein absolutes Ereignis. Ich erinnere mich, wie ich es am Ersterscheinungstag im Freilassinger Müller gekauft und dann am Abend, trotz immenser Kopfschmerzen, noch sehr aufmerksam durchgehört habe. SHADOW ZONE und START A WAR habe ich auch ausgiebig gehört, CANNIBAL und CULT OF STATIC dann nicht mehr so oft – was mehr damit zu tun hatte, daß sich mein Musikgeschmack weg von den ständig harten Klängen entwickelte. Statics Soloalbum PIGHAMMER habe ich noch gar nicht in der Sammlung – aber obwohl ich zu dem Zeitpunkt abgesehen von gelegentlichen Ausflügen weitestgehend raus war aus dem Heavy-Bereich, habe ich immer mitverfolgt, was Wayne so macht. Demnächst wäre ein zweites Soloalbum gekommen – ein Rechtsstreit mit Bassist Tony Campos verhinderte, daß er den Namen Static-X weiterführen konnte – und ich habe mich darauf gefreut.

Zweimal habe ich Static-X live gesehen. Einmal 2001, als Vorband zu Slipknot – zuvor musizierten Mudvayne und Amen (letztere nicht sehr gut), und daß Slipknot noch spielten, war für mich eher ein Bonus zum Static-X-Auftritt. Die Gruppe spielte ein kerniges Set, das nur kurz dadurch getrübt wurde, daß irgendein Idiot einen Schuh auf die Bühne warf und Tony Campos ins Gesicht traf. Das zweite Mal war 2009, in einem kleinen Münchner Club als Hauptact – und darüber habe ich sogar hier auf diesem Blog berichtet.

Jetzt sind in der „Evil Disco“ also ganz überraschend die Lichter ausgegangen. Rest in Peace, Wayne.

Die Bilder stammen aus den Musikvideos „So Cold“, „Black and White“ und „Push It“, die auf der DVD CANNIBAL KILLERS LIVE zu finden sind.

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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