Mit der Zeit wird offenbar jede Geschichte zu ihrem eigenen Genre. So wie DER GROSSE FRUST einen steten Strom an ähnlichen Stories inspirierte, in denen Freunde von einst auf ihr bisheriges Leben zurückblicken, ist WALL STREET mittlerweile auch schon eine eigene Schublade: die Geschichte vom aufstrebenden, brillanten jungen Mann, der mit Ausblick auf immensen Reichtum in die Glitzerwelt eines knallharten Geschäfts hineingezogen wird, bis er erfährt, was der wahre Preis für dieses vermeintlich paradiesische Leben ist. RUNNER RUNNER erzählt diese Story vor dem Hintergrund einer Online-Poker-Firma.
Der Student Ritchie Furst (Justin Timberlake) finanziert sich sein Studium mittels Online-Poker – bis er sein gesamtes Geld verliert und aber mithilfe eines Freundes beweisen kann, daß das Spiel nicht fair gelaufen ist. Er reist nach Costa Rica, um den dort ansässigen Firmenchef Ivan Block (Ben Affleck) über diese Probleme auf seiner Seite zu unterrichten. Der bedankt sich für die Informationen und bietet Ritchie einen millionenschweren Job an: Ritchie soll ab sofort von Costa Rica aus als Blocks rechte Hand fungieren und sich darum kümmern, daß die Geschäfte ordnungsgemäß laufen. Bald muß Ritchie, der das süße Leben im Luxus genießt, feststellen, daß das FBI auf Blocks Fersen ist und die Firma doch nicht so legitim arbeitet, wie sie es sollte …
Im Herzen sind diese Stories natürlich immer Moralgeschichten – wir
lernen, daß alles seinen Preis hat, vor allem das Paradies. Wie viele vergleichbare Filme macht sich auch RUNNER RUNNER das moralische Dilemma recht einfach: Es wäre ja alles gut und schön, wenn sich nicht irgendwann herausstellen würde, daß es illegal ist – und ab dem Zeitpunkt entscheidet sich unser Jungspund natürlich dafür, das Richtige zu tun. Wieviel interessanter wäre es doch, wenn das Geschäft hinter den Kulissen nichts Ungesetzliches täte, sondern nur etwas Verwerfliches – wie weit würde sich unsere Hauptfigur da rechtfertigen können? Von der spannenden Ambivalenz eines WALL STREET, wo die Verführung im Namen der Gier viel reizvoller war und die Geschäfte zwar großteils legal, aber moralisch fragwürdig waren, sind wir hier weit entfernt. Daß Gordon Gekko ein Schuft war, hat uns beinahe nicht gestört, so charismatisch war er und so verlockend seine Welt. Ivan Block in RUNNER RUNNER ist schon unsympathisch, bevor er sich als Gangster entpuppt.
Das Problem ist bezeichnend für den gesamten Film, dessen Charaktere ebenso rudimentär gestrickt sind wie die Story um sie herum: Ritchie ist ambitioniert, aber im Herzen ganz ehrlich; Block ist ein skrupelloser Geschäftemacher, der nach außen hin den Luxuslebemann spielt; und dazwischen gibt es noch eine von Gemma Arterton gespielte Frauenfigur, die zwischen den beiden hin- und herpendelt und dabei für die Geschichte völlig irrelevant bleibt. Daß es sich bei Blocks Geschäfts um ein kassenträchtiges
Online-Poker-Unternehmen handelt, ist beinahe nur eine Randnotiz in der
Geschichte und hat auf den Plot kaum Einfluß – mit nur ein paar
Eingriffen ins Skript hätte es sich auch um eine Aktienfirma, einen
Pharmaziekonzern oder den bösartigen Bruder von Facebook handeln können.
Gegen die anderen Vertreter seines Genres bleibt RUNNER RUNNER somit leider größtenteils uninteressant, weil nur ein paar Allgemeinplätze vom reichen Boß erzählt werden, dessen Geschäfte nicht ganz rein sind. Von den sorgfältig gezeichneten Figuren und der klugen Psychologie eines BOILER ROOM (in dem Affleck eine sehr ähnliche kleine Nebenrolle hatte) bleibt der Film ebenso weit entfernt wie vom Thrill eines 21, der auch ohne immensen Tiefgang spannende Einblicke in eine uns unbekannte Welt und ihre Mechanismen gab und den Rausch des Erfolges perfekt einzufangen wußte. Selbst der hanebüchen konstruierte Fastfood-Reißer STARTUP hatte mehr Vergnügen an den Machenschaften seiner unsauberen Firma.
RUNNER RUNNER ist ansehbar – schöne Menschen, schöne Bilder – aber enttäuschend inhaltsfrei und komplett auf Autopilot geschrieben. Wer gerne etwas Aufregenderes mit Pokerthematik sehen will: Ich habe gehört, ROUNDERS mit Matt Damon sei sehr gut.
Runner Runner (USA 2013)
Regie: Brad Furman
Drehbuch: Brian Koppelman, David Levien
Kamera: Mauro Fiore
Musik: Christophe Beck
Darsteller: Justin Timberlake, Ben Affleck, Gemma Arterton, Anthony Mackie, John Heard, Louis Lombardi