Eifrige Archäologen der Untiefen meines Blogs wissen es schon: Ich habe kein sehr enges Herz, wenn es um europäisches Genrekino vergangener Dekaden geht. So ist es auch kaum verwunderlich, daß mein Horrorseelchen schon einen Hüpfer macht, wenn in dicken roten Lettern die schaurigen Worte ZOMBI HOLOCAUST auf dem Schirm erscheinen und dazu tiefergelegte Analogsynths wohlig brummen. Glücklicherweise ist der folgende Film auch so irrwitzig und entzückend hanebüchen, wie es der reißerische Titel verspricht!
Das Wörtchen „Holocaust“ geisterte eine Zeitlang wie ein Logo durch das Bahnhofskino: Man erkannte daran die Extremfilme italienischen Ursprungs, die mit grenzüberschreitenden Gore-Effekten die Lust am Nervenkitzel ausloteten. Es gab den CANNIBAL HOLOCAUST, es gab einen JUNGLE HOLOCAUST, der HOLOCAUST 2000 drohte, man konnte einen BLUE HOLOCAUST erspähen oder sich auf den PORNO HOLOCAUST freuen. Mittendrin gab es halt auch noch den ZOMBI(E) HOLOCAUST, dessen deutscher Titel zeigt, welche beiden Strömungen des Italo-Genrekinos hier zusammenfanden: ZOMBIES UNTER KANNIBALEN. Hamm-hamm.
Wie Joe D’Amatos Softsex-meets-Kannibalismus-Klopper NACKT UNTER KANNIBALEN beginnt auch der ZOMBI HOLOCAUST in einem amerikanischen Krankenhaus. Hier sägt zu später Stunde ein anonymer Geselle einer Leiche gerade eine Hand ab und packt sie fein säuberlich in eine Plastiktüte, während gelegentliche Nahaufnahmen vom Kopf des Toten die Erwartung schüren, daß hier gleich die untote Post abgehen könnte. Tut sie aber nicht: Der Zombiepart kommt nämlich erst später im Film. Stattdessen bemerkt ein alter Professor am nächsten Tag die fehlende Hand während einer Anatomiestunde und wundert sich. Viel mehr noch macht es ihn stutzig, als kurz darauf einem eben angekommenen Patienten das Herz herausgerissen wurde. „Wir haben es hier mit einem Wahnsinnigen zu tun, einem gefährlichen Irren“, räsoniert der Professor wie ein moderner Sherlock Holmes.
Lori, die blonde Assistentin des Professors, gespielt von Alexandra Delli Colli (die nur kurze Zeit später in Lucio Fulcis DER NEW YORK RIPPER als Nymphomanin herumgeisterte), geht aber erstmal nach Hause und zieht sich aus. Also, fast jedenfalls: Stiefel, Bluse, Rock, rechter Strumpf, linker Strumpf, Strapse. Ich mag es, wenn sich ein Film vor lauter Streß mit Zombies, Kannibalen und anderen Wahnsinnigen auch ein wenig Zeit für die schönen Seiten der Welt nimmt. Auf dem Soundtrack wird dazu hübsch geflötet und getrommelt, bis es an der Tür läutet: Eine neugierige Reporterin namens Susan, gespielt von der ebenso ansehnlichen Sherry Buchanan, will Infos über die ominösen Vorgänge im Krankenhaus. Leider befinden wir uns nicht in einem D’Amato-Film, sonst würden Lori und Susan jetzt gemeinsam weiterflöten.
Stattdessen fährt Lori wieder ins Krankenhaus, wo sie und der Professor einen verdächtig ausländisch aussehenden Krankenpfleger dabei erwischen, wie er gerade genüßlich in ein frisch aus einer Leiche herausgeschnittenes Herz beißen will. Der entlarvte Kannibale springt aus dem Fenster mehrere Stockwerke hinab in den Tod, was die Angestellten im Erdgeschoß zu folgender Feststellung anregt: „Da liegt einer!“ Erstaunlicherweise lebt der kannibalistisch veranlagte Pfleger noch lange genug, daß Lori und der Professor nach unten laufen und ihn zur Rede stellen können: „Warum haben Sie das getan?“ Und netterweise gibt der Sterbende noch einen sachdienlichen Hinweis: „Kito hat es befohlen“. Die Kamera zoomt zu ominösem Ping-Geräusch auf ein kreisförmiges Tattoo auf seiner Brust.
„Kito“? Na klar: Das Wort ist „in vielen alten Sprachen primitiver Völker zu finden, und gebräuchlich ist es heute noch bei der Bevölkerung Südostasiens“, wie Lori dem inspizierenden Gesundheitsdepartment des FBI erläutert. „Kito“ bedeutet quasi „göttliche Insel, vermutlich nach einer alten Gottheit“. Wenn Lori nämlich nicht in Reizwäsche herumläuft oder im Krankenhaus assistiert, ist sie Anthropologin. Das findet der Sonderbehörden-Doktor Peter Chandler hochinteressant, weshalb sich alle mit ihren Schlußfolgerungen mal ganz weit aus dem Fenster lehnen:
FBI-ASSISTENT: Wissen Sie, ob dieses Wort auch von Eingeborenen der Molukkeninseln verwendet wird?
LORI: Hmm-hmm, von einigen Stämmen.
DR. PETER CHANDLER: Das ist interessant. Wir haben nämlich festgestellt, daß der junge Bursche, den Sie in Ihrer Klinik gestern Abend erwischt haben, von den Molukkeninseln kommt. Es wäre denkbar, daß, ähm, da irgendein Zusammenhang besteht.
LORI: Wär möglich.
Lori weiß außerdem, daß Kannibalismus praktisch bei allen primitiven Völkern zu finden ist, weshalb Dr. Chandler mal eine kleine unappetitliche Diashow vorbereitet: Es gab nämlich schon andere Fälle in amerikanischen Großstädten, wo Menschen verspeist wurden, und womöglich besteht ja auch da ein Zusammenhang! Auf einem schönen Photo sieht man noch einen Asiaten mit einem Loch im Kopf: Es ist der einzige Kannibale, den die Polizei je stellen konnte. „Bedauerlicherweise konnten wir ihn nicht mehr vernehmen“, fügt Dr. Chandler hilfreich hinzu. Schauspieler Ian McCulloch macht dazu dasselbe Gesicht, das er auch für Fulcis WOODOO – DIE SCHRECKENSINSEL DER ZOMBIES und Luigi Cozzis ASTARON – BRUT DES SCHRECKENS im Reisegepäck hatte: Als hätte es zum Frühstück abgelaufene Eier gegeben.
Weil der niedergeballerte Kannibale, der dann leider nicht mehr vernommen werden konnte, auch ein schönes Tattoo trägt, wird noch ein bißchen weiter geschlußfolgert, und nur kurze Zeit und einen Einbruch in Loris Wohnung später befinden sich Chandler, Lori, der FBI-Assistent und die Reporterin Susan auf dem Weg zu diesen primitiven Völkern in Südostasien. Dort übernachten sie bei dem ausgewanderten Arzt Dr. Obrero, der ihnen für die Weiterreise seinen persönlichen Hilfsdiener Molotto sowie einige Bauernopfer, äh, einheimische Träger zur Verfügung stellt. Außerdem erzählt er noch von der Insel Kito: „Die Einwohner sind noch sehr primitiv. Als Studienobjekt äußerst interessant.“
Vorher muß sich Lori aber nochmal ausziehen. Diesmal entledigt sie sich sämtlicher Kleidung, während auf dem Soundtrack ein erigierter Bass gezupft wird. So anheimelnd wie noch in der Großstadt geht es diesmal aber nicht zu: Durchs Fenster wird sie von einem primitiven Studienobjekt beobachtet, und dann findet sie einen verwesten Kopf mit Maden in ihrem Bett. Na wäh. „Kein Grund zur Beunruhigung, Miss Ridgeway“, spricht der völlig unbeeindruckte Dr. Obrero. „Wenn die vorgehabt hätten, Ihnen was zu tun, hätten sie andere Mittel und Wege gefunden.“
Die nächsten 20 Minuten tuckert unsere kleine Reisegesellschaft also nun zur Insel Kito, stapft dort durch den Dschungel und trifft auf den einen oder anderen Kannibalen. In einem herzallerliebsten Moment sehen unsere Helden zwei Eingeborene herumstehen, die zu ihnen herüberschauen, und der FBI-Assistent spekuliert: „Ich hab‘ das Gefühl, die beobachten uns.“ Nebenbei werden ein paar Träger verknuspert, Susan rammt einem aufdringlichen Eingeborenen die Machete in den Schädel, und die Kannibalen pflücken dem FBI-Assi die Augen aus dem Kopf. In jeder solchen Szene machen sich die Menschenfresser sofort ans Futtern, sobald aus ihrem angestochenen Opfer die Innereien quillen. Entweder sind sie wirklich kurz vor dem Verhungern, oder es geht ihnen wie mir: Ich mag das Weißbrot ja auch noch möglichst warm aus dem Toaster.
Unsere schnell überschaubar werdende Gruppe flüchtet sich in Richtung einer alten Mission, zu der sie Dr. Obrero per Funk dirigiert hat. Unterwegs tauchen ein paar schimmelig aussehende Gesellen im Gebüsch auf, vor denen die Kannibalen Angst haben: Zombies! Endlich! Die stapfen mit ausgestreckten Armen auf alles zu, was lebt, sind aber zu langsam, um irgendetwas zu erwischen.
Dr. Chandler und Lori erreichen die Mission, während Susan leider von den Eingeborenen verschleppt wurde. Dr. Obrero ist auch schon da und zeigt ihnen den Weg zu einem Schlauchboot, mit dem sie von der Insel kommen können – er selber will noch bleiben und für Ordnung sorgen. Beim Schlauchboot angekommen, überlegt sich Chandler, ob der gute Dr. Sombrero ganz koscher ist, und ob es vielleicht einen Zusammenhang zwischen ihm und den Gruselgestalten gibt – und während er so grübelt, wird er von einem Zombie attackiert. Glücklicherweise hält er gerade den Motor des Bootes in der Hand und drückt ihn dem modernden Unhold in den Kopf wie einen Rührquirl.
Und in der Tat: Dr. Obrero führt etwas im Schilde. Es stellt sich nämlich heraus, daß er hier auf der Insel wüste Experimente durchführt: Er transplantiert Gehirne von einer lebenden Person in den Körper einer toten Person und erweckt die damit wieder zum Leben. Schade halt, daß die andere Person dafür draufgehen muß. Die herumwankenden Zombies sind somit seine Kreaturen, und die Eingeborenen dienten ihm als Studienobjekte (im Austausch verspricht er ihnen ewiges Leben und läßt ihnen die Freude an ihrem Kito-Kult). Der jüngste Versuch soll an Susan stattfinden, die von den Kannibalen skalpiert auf seinem Operationstisch liegt und bald einen Eingeborenen brainstormen soll. Weil sich Dr. Obrero bei ihrem ständigen Geschrei und Geflehe nicht richtig auf seine Operation konzentrieren kann, schnippt er ihr kurzerhand die Stimmbänder durch. So kann’s einem gehen, wenn man nicht privatversichert ist.
Leider wird Susan das Ende dieses Films nicht mehr miterleben, aber zum Glück für den Doktor fällt ihm als nächstes Versuchstier Dr. Chandler in die Hände. Lori flüchtet sich derweil in den Dschungel und freundet sich mit den Kannibalen an: Wir sehen sie plötzlich nackt in einer Höhle herumstehen, während ein Eingeborener Blümchen auf sie malt. Auf einmal sehe ich die Ausziehszenen von vorhin in einem ganz anderen Licht: Lori hat vermutlich nur für den anthropologischen Ernstfall geprobt! Ich gebe auch zu, daß ich das Anthropologiestudium bislang ganz falsch eingeschätzt habe. Vermutlich gibt es dort ein hochspannendes Proseminar mit dem Titel „Kommunikation mit den Primitiven“, in dem sich unbekleidete Studentinnen unter Leitung von Prof. Dr. h.c. Mösenbügler gegenseitig bunt anmalen.
Weil Lori in die menschenförmige Ausbuchtung paßt, die die Kannibalen auf einer Drehscheibe für Besucher vorbereitet haben, bestätigen die Eingeborenen ihre Freundschaftsanfrage und ziehen zusammen mit ihr los, um den durchgeknallten Doc mitsamt seiner garstigen Gesellen zu erledigen. Weil Dr. Chandler im sozusagen fulminanten Endkampf einen der zwei Zombies anzünden kann, kommt es prompt zu einem Zombie-Holocaust. Die Kannibalen machen sich genüßlich über den Doc und seine andere Kreatur her, womit dies der einzige Streifen der Filmgeschichte sein dürfte, in dem Zombies von Menschen gefressen werden, aber nie umgekehrt.
Tja, und damit ist die heitere Sause auch schon aus. Die nächsten Jahre mußten sich Zombies und Kannibalen wieder getrennt durch den gesamteuropäischen Film futtern. Alexandra Delli Colli durfte sich noch in ein paar anderen Streifen ausziehen, und Dr. Chandler knobelt vermutlich heute noch an der Frage, ob es da nicht, ähm, irgendeinen Zusammenhang gibt.
Zombies unter Kannibalen (Italien 1980)
Originaltitel: Zombi Holocaust
Regie: „Frank Martin“ (= Marino Girolami)
Drehbuch: Fabrizio De Angelis (Story), Romano Scandariato (Drehbuch)
Produzenten: Gianfranco Couyoumdjian, Fabrizio De Angelis
Kamera: Fausto Zuccoli
Musik: Nico Fidenco
Darsteller: Ian McCulloch, Alexandra Delli Colli, Sherry Buchanan, Donald O’Brien, Peter O’Neal, Dakar
Vorsicht vor der auf Amazon angebotenen DVD/BluRay von TB/Intergroove – die ist um fast 14 Minuten geschnitten! Die in Österreich von NSM und XT Video veröffentlichten DVDs und BluRays sind ungeschnitten.
Die Screenshots stammen von der DVD von XT Video, (C) 2012 XT Video Entertainment.