BuchUncategorized

Ernst Horst: NUR KEINE SENTIMENTALITÄTEN! – Über die Liebe zur Sprache im deutschen Entenhausen

In einer der alten Donald-Duck-Geschichten von Carl Barks, dem Erfinder und Zeichner dieses cholerischen Pechvogels, versucht der Patriarch, die drei Neffen Tick, Tick und Track in die Badewanne zu bewegen, aber die sträuben sich und leisten einen Schwur: „Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns waschen und Gefahr!“ Daß da in einem Comic ganz beiläufig Schillers WILHELM TELL persifliert wird, verdanken wir der deutschen Übersetzerin Dr. Erika Fuchs, die mit Sprachwitz und Belesenheit eine ganz eigene Version dieser Geschichten kreierte. In seinem Buch NUR KEINE SENTIMENTALITÄTEN! – WIE DR. ERIKA FUCHS ENTENHAUSEN NACH DEUTSCHLAND VERLEGTE arbeitet Ernst Horst in lockerem Plauderton das Besondere an Fuchs‘ Übersetzungen heraus.

Erika Fuchs arbeitete von 1951 bis Ende der Achtziger als Chefredakteurin des deutschen Micky-Maus-Heftes und übersetzte den Löwenanteil der Donald-Stories von Carl Barks. Davor hatte sie Kunstgeschichte, Archäologie und Geschichte studiert, war viel gereist, hatte mit einer Arbeit über den Barockmaler Johann Michael Feichtmayr promoviert und dann als Übersetzerin für READER’S DIGEST gearbeitet. Man könnte sagen, daß sie überqualifizert war für den Job, die Stories aus Entenhausen zu übersetzen – aber genaugenommen haben ihre Bildung, ihr Sprachgefühl und ihr vielseitiges Interesse dafür gesorgt, daß sie aus den Originaltexten etwas Bemerkenswertes machen konnte. Nicht umsonst wird sie für ihre Texte so verehrt, daß man sogar eine Wortform nach ihr benannte: Wenn Geräusche und Vorgänge mit einer Inflektivform ausgedrückt werden (Schluck! Stöhn! Zitter!), nennt man das einen Erikativ.

Fuchs war eine große Verfechterin der Bildung und liebte die Sprache, weshalb, wie Horst zeigt, in Entenhausen selbst beim größten Ärgernis noch ganze Sätze und korrekte Konjunktive verwendet werden. Die Texte waren voller Anspielungen auf Literatur und Kultur: Das schöne Lautwort „Klickeradoms!“, das einmal ertönt, als Glas zu Bruch geht, stammt aus Wilhelm Buschs DIE FROMME HELENE; Donald zitiert schon mal Schiller – mal korrekt, mal als Witz („Wohltätig ist des Feuers Macht, wenn es der Mensch zur Lust entfacht“), die Drillinge sprechen mit Dante („Laßt alle Hoffnung fahren!“), und wenn eine Feuersbrunst als „Waberlohe“ bezeichnet wird, stammt das wohl aus Wagners RING DER NIBELUNGEN. Wobei auch die Popkultur nicht zu kurz kommt: Es ertönt schon mal ein Lied von Loriots Cartoonhund Wum im Radio („Ich wünsch mir‘ eine kleine Miezekatze für mein Wochenendhaus …“).

Das geht natürlich damit einher, daß sich die Übersetzungen nicht streng an das Original halten. Manchmal wird etwas hinzudichtet: Wenn Donald beim Kauf einer Kamera „von der Witwe eines Naturforschers, der von einem Löwen gefressen worden ist“ ganz prosaisch antwortet: „Nur keine Sentimentalitäten!“, dann tut er das nur in der deutschen Version. Aus George Washington wird irgendwo schon mal der Turnvater Jahn. Das hat einerseits damit zu tun, daß die Comics damit in der Region verankert werden, nach der sie in der Übersetzung auch klingen – sprich: Wo deutsch gesprochen wird, kennt man auch deutsche Namen, Musik und Geschichte – andererseits aber auch oft mit der Tatsache, daß Fuchs den Witz der Originale etwas aufgepeppt hat: Aus einem „Mailman Mike“ macht sie den „wackeren Hilfspostboten Säbelbein“.

Horst gliedert sein Buch in verschiedene thematische Kapitel, aber ganz strenge Trennlinien zieht er nie: Wenn ihm eine Anmerkung gerade zum Hauptthema paßt, wird sie auch hineingenommen. Überhaupt ist das Buch keinesfalls wissenschaftlich aufgezogen, sondern eher als gemütliche Erzählung konzipiert: Horst redet assoziativ über die Geschichten, über Fuchs und auch über sich selber bzw. seinen Bezug zu den Comics. Daß das funktioniert, liegt einerseits daran, daß das Spielerische zu den Übersetzungen von Fuchs paßt, die ebenso einfach hineinnahm, was gerade passend und unterhaltsam erschien, und andererseits daran, daß er mit Witz und Eloquenz erzählt: „Erika Fuchs war ein Schoßkind des Glücks. Wenn man über ihre Biografie nachdenkt, dann kommt zwangsläufig der Zeitpunkt, an dem einen der grünäugige Eifersuchtsteufel mit der Wutessenz attackiert.“

Was Horst am meisten vermittelt mit seiner Betrachtung der Fuchs-Übersetzungen, ist die Liebe zur Sprache, mit der die Übersetzungen gemacht wurden und die sie umgekehrt auch ausstrahlen. Ob Namen, Speisen oder Tiere: Sie liebte bildhafte und bemerkenswerte Wörter. Donalds Nachbar (im Original einfach „Jones“) heißt bei ihr mal Knackfuß, mal Zorngibel; es taucht ein „Bäckermeister Bullerjahn“ auf, Dagobert redet Donald in einer Piratengeschichte mit „Bootsmann Bottervogel“ an und gibt sich in einer anderen Story als „Hilarius Haberstumpf“ aus. Auf dem Speiseplan stehen Knusperflocken (Cornflakes!), Liebesknochen, Kremhütchen, Pumpernickel und ein strammer Max, unter den Tieren gab es Feuerfliegen, einen Rauhaarrollmops, einen Wassermolch, einen Brüllaffen und einen Teufelsrochen. Es wurden regionale und umgangssprachliche Ausdrücke eingeflochten – „Semmeln“, „ausbaldowern“, „anwanzen“, „Meiner Treu!“ – die dann auf hochgestochene Worte wie „Saigerteufe“ und „Plutokraten“ stießen. Die Fuchs-Figuren redeten so in einer wunderbar kauzigen Kunstsprache, die immer wieder zeigt, wie ihre Übersetzerin Freude am Sprachspiel hatte.

Auch wenn Horsts Buch keine systematische Arbeit eines Linguisten ist, bekommt man durch seinen höchst unterhaltsamen Streifzug durch das deutsche Entenhausen aber doch ein Gespür dafür, welche Herausforderungen mitunter auf den Übersetzer eines Comics warten. Ganz nebenher entsteht durch Horsts Erzählungen ein interessantes Bild vom Deutschland der Nachkriegszeit – beispielsweise, wenn er überholte Begriffe und Waren kommentiert (z.B. Hoffmannstropfen oder Kunsthonig), über seine Schulerfahrungen berichtet oder die Geschichte des Micky-Maus-Heftes anreißt. So fungieren die Fuchs-Übersetzungen teils auch als Geschichtslektion: Wenn auf einem Bild ein Boot den Namen „Kontiki“ trägt, lernen wir von Ernst Horst, daß das der Name des Floßes war, mit dem der Norweger Thor Heyerdahl 1947 von Südamerika nach Polynesien segelte.

Horsts Buch ist sicherlich nicht das letzte Wort, das über Erika Fuchs und ihre Übersetzungen fallen wird. Sein oft recht assoziativer Blick auf den deutschen Donald schafft aber exakt das, was wohl Sinn der Sache war: Er ist eine Huldigung einer talentierten Frau mit eigener Handschrift und er schärft den Blick für reichhaltige Feinheiten, die man womöglich noch nie beachtet hat. Und weil Horst auf so viele Besonderheiten in den Fuchs-Übersetzungen hinweist, macht er mit jedem Kapitel Lust, sich wieder einmal auf eine vergnügliche Reise nach Entenhausen zu begeben – natürlich nur im Original von Erika Fuchs.



Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

    Comments are closed.

    0 %