FilmRetrospektive

WEGE ZUM RUHM: Die Bruchstellen im System des Krieges

Es ist eine lange Kamerafahrt, die General Mireau durch den Schützengraben begleitet, als er wie ein König seine Untergebenen besucht und ein paar Männer mit inhaltslosen Platitüden anspricht: „Ready to kill more Germans?“ – „Are you married, soldier?“ – „I bet your mother’s proud of you.“ Ein Schnitt erfolgt erst, als Mireau einen Soldaten vor sich hat, der mit entrücktem Blick die Fragen nicht beantworten kann. Ein begleitender Offizier weist darauf hin, daß der junge Soldat einen Nervenschock erlitten hat. „There is no such thing as shellshock!“, weist ihn Mireau zurecht. Es ist kein Zufall, daß der Schnitt bei genau diesem Treffen passiert: Zwischen der Welt des Generals und der Realität der Soldaten ist eine spürbare Bruchstelle.

Diese Diskrepanz zwischen den Befehlshabern und den Soldaten an der Front zeigt sich schon sehr früh in Stanley Kubricks Kriegsdrama WEGE ZUM RUHM, das 1916 während des deutsch-französischen Stellungskrieges auf Seite der letzteren spielt: Die Generäle flanieren wie die Adeligen durch ein mondänes Schloß und tauschen Höflichkeiten über die geschmackvolle Ausstattung aus, während die Soldaten geduckt durch enge, dreckige Schützengräben huschen und auf dem Schlachtfeld aufgerieben werden. General Mireau erteilt Colonel Dax den Befehl, mit seinen Männern einen Hügel einzunehmen – ein sinnloses Vorgehen, das zahlreiche Opfer fordern wird. Mireau rechnet die zu erwartenden Verluste in sachlichen Prozentzahlen vor, und der Verlust der halben Einheit ist für ihn ein akzeptables Szenario. Erobern will Mireau den Hügel hauptsächlich deshalb, weil ihm von General Broulard eine Beförderung in Aussicht gestellt wurde.

Die prunkvolle Welt der Befehlshaber: Dax (Kirk Douglas, Mitte) verhandelt mit den Generälen Mireau (George Macready, l.) und Broulard (Adolphe Menjou).

Der Angriff geht schief, die Soldaten kommen unter dem Beschuß des Gegners nicht vorwärts. Im blinden Zorn befiehlt Mireau seiner Artillerie, auf die eigenen Männer zu schießen, um sie voranzutreiben, aber der Soldat weigert sich ohne schriftlichen Befehl. Die Attacke endet in einer tragischen Niederlage. Um von seiner eigenen Schuld abzulenken, läßt Mireau drei willkürlich ausgewählte Soldaten vor ein Kriegsgericht stellen, damit sie wegen Feigheit hingerichtet werden sollen. Während Colonel Dax um das Leben seiner Männer kämpft, kontrastiert der Film weiter die Welten der Kriegsführenden und der Kämpfenden: Die drei Verurteilten kriegen in einem dunklen Gefängnis ihre Henkersmahlzeit ohne Besteck serviert; die Befehlshaber dagegen tanzen in einem prunkvollen Ballsaal Walzer, während General Broulard philosophiert: „One way to maintain discipline is to shoot a man now and then.“

Es ist aber nicht zwangsläufig die obere Schicht, die Kubrick in WEGE ZUM RUHM anklagt – es ist das System des Krieges an sich. Er zeigt die Kriegswelt als unmenschlichen Zustand, in dem die Willkür regiert und das Individuum nichts mehr zählt. Mireau hat keine Probleme damit, im Dienste seiner eigenen Ambitionen seine eigenen Männer zu opfern – ob über den Angriffsbefehl, über das Kriegsgericht, oder über die Anweisung, das Feuer auf die eigenen Soldaten zu eröffnen. Der onkelhafte Broulard klagt über die Kritik, der sich die Befehlshaber stets ausgesetzt sehen, und ist selber so zynisch, daß er Dax‘ Versuche, das Leben seiner Soldaten zu retten, als Versuch um eine Beförderung interpretiert. Ein Leutnant in Dax‘ Einheit bringt während einer Nachtpatrouille alkoholisiert versehentlich einen Kameraden um – und wählt dann den Augenzeugen Paris aus, als es darum geht, wer vor das Kriegsgericht soll. Im Kriegszustand ist sich eben jeder selbst der Nächste, und das System unterstützt und fördert diese Haltung.

Die beengte, dreckige Welt der Soldaten: General Mireau (George Macready, vorne) begrüßt als König seine Untergebenen.

Noch etwas fällt auf: Die Abwesenheit des Feindes. Natürlich fliegen den Soldaten Kugeln und Bomben um die Ohren, und natürlich sterben viele von ihnen bei dem vergeblichen Angriff auf den Hügel. Aber Kubrick zeigt uns die feindlichen Soldaten nie: In der meisterlich gefilmten Attacke, in der die Kamera stets von rechts nach links gleitet (wie auch die Soldaten in den Einstellungen von rechts nach links stürmen), sehen wir das ganze Chaos des Schlachtfeldes, die Explosionen, die Leichen – nur die deutschen Soldaten sehen wir nie. Die Kamera kommt zum Stillstand, als auch der Angriff zum Erliegen kommt, und wir blicken aus Sicht der Soldaten in Richtung eines Bunkers – der dann ebenso wie die anstürmenden Männer im Qualm verschwindet. Daß der Feind gewissermaßen unsichtbar bleibt, unterstreicht die bittere Erkenntnis des Films: Der „Gegner“ ist ein Konstrukt des Krieges; der Mord im Krieg geschieht schon dadurch, daß jemand seine Soldaten in die Schlacht schickt.

Komplett ausgeklammert wird der Feind aber dann doch nicht: Im Epilog des Films kommt Dax an einer Kneipe vorbei, in der der Betreiber den johlenden Soldaten eine junge Kriegsgefangene vorführt. Das verängstigte Mädchen wird gezwungen, vor der versammelten Mannschaft zu singen – und plötzlich werden die Männer still und fangen an, ihre Melodie mitzusummen. Die genaue Bedeutung der Szene ist so wenig greifbar wie die einer anderen Schlußszene mit Gesang in einem anderen Kriegsfilm: THE DEER HUNTER. Ist die Sequenz ein Versuch, den desillusionierten Film mit einem Ausblick auf Menschlichkeit und Völkerverständigung zu versehen? (Wenn ja, ist der Ansatz plump und wenig überzeugend.) Ist die Szene ein weiterer zynischer Kommentar zum Schicksal der Soldaten, nachdem Dax beim Zuhören den Befehl erhält, mit seinen Männern wieder an die Front zu kommen? Es gibt keine klare Antwort – aber der Blick auf die angesprochene Bruchstelle zu Beginn des Films bietet eine mögliche Interpretation: Vielleicht handelt es sich bei der Tatsache, daß die Soldaten so ergriffen mitsingen, um eine weitere Diskrepanz zwischen zwei Realitäten. Die junge Frau, die sie da zu Tränen rührt, gehört zum Feind, und nur wenige Minuten später werden die Männer ausrücken, um eben diesen Feind wieder zu töten – wenn sie nicht vorher Opfer des Systems werden.

 

 

Wege zum Ruhm (US 1957)
Originaltitel: Paths of Glory
Regie: Stanley Kubrick
Drehbuch: Stanley Kubrick, Calder Willingham, Jim Thompson, nach dem Roman von Humphrey Cobb
Kamera: George Krause
Musik: Gerald Fried
Darsteller: Kirk Douglas, Ralph Meeker, Adolphe Menjou, George Macready, Wayne Morris, Richard Anderson, Joseph Turkel, Susanne Christian

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

    Comments are closed.

    0 %