Zwei Freunde stapfen durch die australischen Outbacks, nachdem der Zugwaggon, auf den sie aufgesprungen sind, im Nichts abgesetzt wurde und der einzige Weg zu ihrem Ziel, der Stadt Perth, durch die Wüste führt. Es ist Mai 1915, und Australien – erst seit ein paar Jahren nicht mehr britische Kolonie – nimmt aus Loyalität zu Großbritannien am Krieg teil. In diesem Niemandsland treffen unsere beiden Helden einen Kameltreiber, der ihnen etwas zu essen und zu trinken gibt. Er fragt sie, warum sie nach Perth wollen. „I’m off to the war“, sagt Archie, der jüngere der beiden. „What war?“, will der alte Mann wissen. Archie erzählt ihm vom Krieg gegen Deutschland, und daß Australien in der Türkei kämpft, weil die deutsche Alliierte sind. „You learn something every day“, brummt der Mann verblüfft.
Der Krieg ist sehr fern und bleibt lange Zeit über eine sehr vage Vorstellung in Peter Weirs GALLIPOLI, der von der tragischen Schlacht auf der türkischen Halbinsel erzählt, bei der so viele Soldaten gefallen sind, daß sowohl die Australier als auch die Türken einen eigenen Feiertag im Gedanken daran haben. Die Grausamkeit der Schlacht und ihre Sinnlosigkeit – wie in Stanley Kubricks WEGE ZUM RUHM führt auch hier ein Angriffsbefehl zu nichts anderem als einem Selbstmordkommando – wird von Weir hauptsächlich dadurch eingefangen, wie weit weg der Krieg zunächst bleibt: Über zwei Drittel des Films sind als leichtfüßiger Aufbruch in die große weite Welt erzählt, in der die Realität des Krieges nur gelegentlich durchblitzt. Umso härter trifft uns das Blutvergießen am Ende, und umso größer wirkt die Tragödie davor, weil wir wissen, was auf unsere beiden optimistischen Protagonisten zukommen wird.
Ein stilisiertes Alternativposter. |
Archie ist der blauäugigere der beiden: Ein aufrichtiger und ganz naiver junger Mann von 18 Jahren, der nach Perth reist, weil er dort das Mindestalter für den Freiwilligendienst bei der Armee zu umgehen hofft – in seinem Heimatort wissen alle, daß er noch keine 21 ist. Er ist überzeugt, seine Pflicht tun zu müssen, und sieht den Militärdienst als ganz selbstverständlichen Schritt ins Erwachsenenleben. Selbst kurz vor der Schlacht besteht er noch darauf, vorne mitkämpfen zu dürfen. Archies Freund Frank ist ein paar Jahre älter und etwas abgeklärter: Er will eigentlich nach Perth, um dort nach Möglichkeiten zu suchen, zu Geld zu kommen, und interessiert sich nicht für den Krieg. „It’s not our bloody war“, erklärt er. „It’s an English war. It’s got nothing to do with us“. Später will er dann doch dem Militär beitreten, weil er sich erhofft, als Kriegsveteran später einen besseren Stand zu haben.
Bezeichnenderweise ziehen sich durch den Film immer wieder Motive des Sports und des Wettbewerbs: Schon zu Beginn sehen wir, wie Archie für eine Karriere als Kurzstreckenläufer trainiert. Er läßt sich zu einem wahnwitzigen Wettstreit gegen einen anderen jungen Mann überreden, der ihn provoziert: „Girls run. Men box“. (Die Worte treffen natürlich exakt Archies Vorstellung, daß Kampf zur Mannwerdung gehört.) Frank lernt er bei einem Kurzstreckenlauf kennen. Und als die rekrutierten Soldaten in das Trainingslager nach Kairo kommen, sehen wir sie dort als allererstes Rugby spielen. Der Krieg wirkt für diese jungen Männer auch wie ein Spiel, ein sportlicher Wettstreit, den der bessere gewinnen möge. Ein Rekrutierer nennt den Krieg somit logischerweise auch „the greatest game of them all“.
Die Wirklichkeit des Krieges wird Archie (Mark Lee, links) und Frank (Mel Gibson) nur ansatzweise klar. |
Es sind wunderschöne Bilder, die Weir und sein Kameramann Russell Boyd hier einfangen – weite Landschaften, wohlige Räumlichkeiten, warme und lebendige Farben. Es paßt zu dieser Welt, in der manche noch nicht einmal etwas vom Krieg gehört haben und alle anderen kaum etwas darüber wissen; der Optimismus der Protagonisten strahlt aus jeder Einstellung. Selbst am Schluß des Films, wenn unsere beiden Freunde in Gallipoli landen, hält Weir den wahren Schrecken bis zuletzt zurück: Erst hören wir nur Schüsse und Explosionen, dann fliegt ein bißchen Schrapnell durch die Gegend. Ein Soldat wird am Arm verletzt. Ein Maschinengewehr des Feindes ist einmal sichtbar. Wir sehen Gräber von gefallenen Soldaten im Hintergrund. Erst in der letzten Viertelstunde bricht dann der ganze sinnlose Horror des Krieges über uns und die Figuren herein. Es ist wie ein Schlag in die Magengrube.
Und dann ist da noch das Schlußbild, ein eingefrorener Moment, der die bestürzende Tragik jedes Krieges einfängt. Es erinnert an das berühmte Photo von Robert Capa, der 1936 im Spanischen Bürgerkrieg ein Bild eines Soldaten im Moment seines Todes schoß. In GALLIPOLI ist es ein Soldat von über 100.000 Gefallenen, und das Standbild verdeutlicht, wie sein ganzes Leben nur auf diesen Punkt hinauslief, wie hier nichts mehr weitergeht, was noch ein reichhaltiges Leben hätte sein können. Wir haben diesen jungen Soldaten gekannt, und wir haben uns fast zwei Stunden lang gewünscht, daß er das Abenteuer, das er sucht, niemals finden wird.
Gallipoli (AUS 1981)
Regie: Peter Weir
Buch: David Williamson, Peter Weir (Story)
Kamera: Russell Boyd
Darsteller: Mark Lee, Mel Gibson, Bill Hunter, John Morris, Ron Graham