Close-UpFilm

Close-Up: Der dramatische Raum in STIRB LANGSAM

 

In meinem Text zu John McTiernans Actionklassiker STIRB LANGSAM spreche ich unter anderem darüber, wie die Inszenierung mit dem eingeschränkten Raum umgeht. Ein räumliches Konzept möchte ich mir anhand einer Szene genauer ansehen: Da viele Gespräche zwischen Figuren über Funk ablaufen, muß McTiernan die Beziehungen zwischen den Charakteren – vor allem Cop McClane gegen Terrorist Hans Gruber, außerdem McClane und Polizist Al Powell – über die räumliche Distanz aufbauen. Auf dem Audiokommentar führt McTiernan aus, wie er und Kameramann Jan De Bont diese Konversationen visuell arrangiert haben:

The attempt was to give the audience some sense of geography between the different people. […] At any particular moment, you had a physical relationship to where various people were. […] In a dramatic sense, as far as the audience is concerned, these people are in the same room – so shoot it that way.

Schauen wir uns mal die Szene an, in der McClane (Bruce Willis) zuerst mit Gruber (Alan Rickman) redet und dann mit dem Verräter Harry Ellis (Hart Bochner) – die Szene beginnt auf der deutschen DVD bei 01:18:06. (Ein Bild mit Kommentar entspricht einer Einstellung; wenn mehrere Bilder untereinander stehen, sind sie aus derselben Einstellung.)

 

Gruber weiß mittlerweile dank Ellis, wer McClane ist. McClane, der sich in einem anderen Stockwerk befindet, steht (im Gegensatz zum vorigen Gespräch mit Powell, wo mehr Hintergrund zu sehen war) fast im völlig Finsteren, als er antwortet: „Sister Teresa called me Mr. McClane in the third grade. My friends call me John, and you’re neither, shit-head.“ Das ihn umgebende Schwarz läßt ihn verlorener wirken, nachdem seine Anonymität aufgehoben wurde (McClane will natürlich verhindern, daß die Verbindung zu seiner Frau klar wird, die sich unter Grubers Geiseln befindet).

Weil McClane in der rechten Bildhäfte positioniert ist, spricht Gruber von der linken aus zu ihm.  Man beachte, wie Grubers Raum durch die Grün- und Brauntöne wärmer wirkt, er selber aber durch das seitlich durch die Jalousie fallende Licht härter gezeichnet ist als McClane. „I have someone who wants to talk to you; a very special friend …“  

„… who was with you at the party tonight.“ Eine kurze Reaktion von McClane.

 

 

Gruber reicht Ellis das Funkgerät. Die Kamera schwenkt nach rechts zu Ellis, der Gruber gegenüber am Schreibtisch sitzt. Während Gruber alleine im Bild platziert war, wird Ellis durch die Anwesenheit des im Hintergrund sitzenden Terroristen Karl (Alexander Godunov) subtil als Figur gezeigt, die nicht alleine handeln kann. „Hey, John boy.“

McClane ist noch in der selben Einstellung wie vorhin, während er überlegt, wer der Mann am anderen Ende sein könnte. „Ellis?“ – „Yeah. Now listen, John, they’re giving me a few minutes to try to talk some sense into you …“

Ellis redet weiter: „I know you think you’re doing your job, John, and I can appreciate that …“

 

McClane bewegt sich jetzt nach links, die Kamera geht mit ihm. Er geht ein paar Schritte nach hinten, mit dem Rücken zu uns, und droht – nachdem er an einer grellen Lampe vorbeimarschiert ist – ganz im Finsteren zu verschwinden. Die Bewegung korrespondiert damit, wie sich die Gesprächsdynamik jetzt verändert hat. Wir hören weiter, was Ellis sagt: „… but you’re just dragging this thing out. Now look, no one gets outta here until these guys …“

„… can talk to the L.A. police, and that just ain’t gonna happen until you stop messin‘ up the works, capice?“

McClane ist wieder zu uns gewandt und tritt aus dem Schatten wieder heraus, während die Kamera leicht auf ihn zugeht. Er steht nun auf der gegenüberliegenden Seite des Frames, womit er seinem Gesprächspartner wieder zugewandt erscheint. „Ellis, what have you told them?“

“ I told ‚em we were old friends and you were my guest …“

„… at the party.“„Ellis, you shouldn’t be doing this.“ Man beachte, wie in dieser Einstellung links eine Wand angeschnitten ist, um McClane nicht ganz im Nichts zu platzieren (in der vorigen Einstellung war es ein kleines Licht neben ihm).

„Tell me about it.“ Jetzt bewegt sich etwas in Ellis‘ Bildausschnitt: Ein anonymer Terrorist kommt mit einer Coladose und einem Glas ins Bild und stellt das Glas vor Ellis hin. Ein nettes Detail, das die Lage bei Ellis entspannter wirken läßt (gegenüber dem angespannten McClane) und gleichzeitig mit der zivilisierten Gastgeber-Façade spielt, die Gruber gerne zeigt …

… weshalb der Film auch kurz zu Gruber schneidet, der mit süffisantem Lächeln abwartet, was geschieht. Wieder wird er durch schräge Schatten zwielichtiger gezeichnet. Gruber ist jetzt ungefähr in derselben Bildposition wie McClane, weil Ellis beim Gespräch mit McClane ja stellvertretend Gruber ansieht.

Der Mann im Hintergrund gießt Ellis die Cola ein, während der weiterredet: „Alright, John, listen …“

 

„They want you to tell them where the detonators are. They know people are listening. They want the detonators or they’re gonna kill me.“ Während Ellis redet, dreht sich McClane wieder um, geht ins Schwarze, bis er an einem Fenster ankommt und sich wieder seitlich hinstellt. Die Kamera schwenkt leicht mit, um McClanes neue Position neu einzufangen; mit dem Schwenk und der Fokusverlagerung werden die Lichter anderer Hochhäuser sichtbar. Man beachte, daß McClane hier in einem viel kälteren, härteren Licht steht.

Ellis deutet siegessicher. „John, didn’t you hear me?“

„Yeah, I hear you.“

 

Erst jetzt ändert sich der Bildausschnitt auf Ellis‘ Seite: Während er Druck auf McClane macht (und sich gleichzeitig seiner eigenen Gefahr nicht bewußt ist), fährt die Kamera langsam an ihn heran. „Hey, John, I think you can get with the program a little, huh? The police are here now, it’s their problem. Now tell these guys where the detonators are so no one else gets hurt, you know I’m putting my life on the line for you, pal.“ – „Ellis, listen to me very carefully.“ – „John …“

„Shut up, Ellis, just shut your mouth! Put Hans back on the line.“

 

 

Ellis hält das Funkgerät hoch, und McClane sagt: „Hans, this shit-head does not know what kind of man you are, but I do. Listen to me!“ Während sich die Situation zuspitzt, fährt die Kamera um Ellis herum, bis wir hinter ihm sind und auf Gruber blicken, der eine Pistole in der Hand hält (die Tatsache, daß wir zuerst die Pistole sehen und dann erst Grubers Gesicht, lenkt unsere Aufmerksamkeit natürlich auf das, was passieren wird). Gruber erklärt McClane: „Good. Then, you’ll give us what we want and save your friend’s life. You’re not part of this equation this time, you realize that.“ Zum Schluß steigt die Kamera leicht nach oben und verstärkt damit das Machtgefälle zwischen Gruber und Ellis. Letzterer redet weiter: „Hey, what am I, a method actor? Hans …“

 

„… babe, put away the gun! This is radio, not television“, ist Ellis weiter zu hören. Während McClane probiert, den Mann zu retten, kommt auch in seinen Bildausschnitt Bewegung: Die Kamera fährt nah an ihn heran. Sein Gesicht ist jetzt fast ganz im Schatten. „Hans, this asshole is not my friend! I just met him tonight, I don’t know him! Jesus Christ, Ellis, these people are gonna kill you! Tell them you don’t know me!“ – „John, how can you say that after all these years, huh?“

Auch an Ellis ist die Kamera jetzt genau so nah dran, passend einerseits zu McClanes Framing, andererseits zur Nervosität, die ihn jetzt erfaßt. „John? … John?“

In derselben Einstellung wie vorher sehen wir, wie Gruber – nach wie vor lächelnd – die Pistole wieder anhebt.

Ellis nimmt gespielt lässig einen Schluck Cola, kann aber seine Angst nicht mehr verbergen.

Über das Funkgerät hört McClane den Schuß, der Ellis tötet – was wir nicht sehen. Die letzten drei Bilder waren schneller aneinandergeschnitten als die Konversation zuvor, was zur zugespitzten Situation paßt. Die Kamera ruckt ein Stück nach links, so wie McClane auch leicht vor dem Geräusch des Schusses zurückzuckt.

 

Eine Geisel, die den Schuß gehört hat, schreit. Die Kamera geht mit einem Reißschwenk nach oben rechts auf eine andere Einstellung: McClanes Frau, die sich bemüht, sich nicht von der um sich greifenden Panik anstecken zu lassen.



Die nächste Einstellung verbindet Gruber mit den Geiseln: Gruber geht zur Tür, öffnet sie und hält das Funkgerät in den Raum, damit McClane die Schreie der panischen Geiseln hört. Die Kamera steht quasi mit ihm auf und schwenkt dann schnell nach links, um durch die geöffnete Tür in den anderen Raum zu sehen. Im Gegensatz zu den vorigen Schwenks und Fahrten ist diese Bewegung mit der Hand ausgeführt (bzw. wahrscheinlich mit einer geschulterten Kamera). Die schnelle Bewegung paßt, auch wenn sie nicht dasselbe Tempo hat, zum Reißschwenk der vorigen Einstellung und auch zum beschleunigten Schnitt davor; das nicht mehr sauber-statische Bild deutet ebenso die Eskalation der Lage an.

Bei McClane bleibt die Kamera nah dran, während er den Schreien zuhören muß.

Gruber spricht wieder zu McClane ins Funkgerät und dreht sich dazu nach links: „You hear that? Talk to me, where are my detonators? Where are they, or shall I shoot another one? Sooner or later, I might get to someone you *do* care about!“ Die Kamera bleibt – in Fortführung der vorigen Einstellung – zittrig, was auch dazu paßt, daß Gruber hier die Contenance verliert.

McClane ist jetzt weiter zur Seite gedreht. Er antwortet: „Go fuck yourself, Hans.“ Man beachte, wie nach der obigen Bewegung zum Endpunkt dieser Konversation die Kontrahenten wieder gegenübergestellt sind und sich diesmal fast anzusehen scheinen.

Auch die anderen Funkgespräche im Film werden nach diesem Muster behandelt: als würden sich die Gesprächspartner tatsächlich im selben Raum befinden und sich ansehen, aufeinander reagieren, voneinander abwenden, und so weiter. Gemäß McTiernans oben zitierter Erläuterung befinden sich die Figuren ja auch im selben „dramatischen Raum“. Diese Sorgfalt bei der Inszenierung der Beziehungen zwischen den Figuren ist einer der Gründe, warum STIRB LANGSAM so gut funktioniert: Natürlich wollen wir Schauwerte, aber den Bezug stellen wir zu den Charakteren her.

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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