SPEED ist die Quintessenz des Actionfilms: Der Film trägt seinen gesamten Inhalt und Subtext schon im Titel. In dem Regiedebüt des früheren Kameramanns Jan De Bont geht es um nichts weiter als die Elemente, aus denen sich das Genre zusammensetzt – Geschwindigkeit, Thrill, Adrenalin, Zerstörung, Gefahr. Im Actionfilm ist das physische Spektakel der Leitfaden, das Draufgängertum Handlungsmotor und die Extremsituation notwendige Phase zur Wiederherstellung der Ordnung. SPEED destilliert diese Eckpfeiler auf das Wesentliche herunter: Der Film funktioniert wie eine perfekt geölte Maschine, die unter Hochdruck startet und dann noch mehr Fahrt aufnimmt, ohne sich Ruhepausen zu gönnen. Wie THE FRENCH CONNECTION in anderem Kontext ist SPEED eine spielfilmlange Verfolgungsjagd.
Die Kunst von SPEED besteht schon alleine darin, das Grundkonzept zu immer weiteren Sensationen zu treiben, ohne sich dabei je von der nüchternen Plausibilität ausbremsen zu lassen: Ein verrückter Erpresser präpariert einen Verkehrsbus so, daß eine Bombe aktiviert wird, sobald der Bus schneller als 50 Meilen pro Stunde fährt – und dann hochgeht, sobald er unter diese Geschwindigkeit fällt. Der Cop Jack Traven, der dem Bombenleger schon einmal in die Quere gekommen ist, hat also alle Hände voll zu tun, den Bus durch den Verkehr von Los Angeles in Hochgeschwindigkeit zu halten, während er versucht, entweder die Bombe zu entschärfen oder die Passagiere zu evakuieren. Und da fangen die Probleme erst an: Der Erpresser überwacht das Geschehen per Video, ein Stau blockiert den Freeway, und irgendwo fehlt ein Stück Straße in einer Brücke …
Wenn ich einen Film wie SPEED schreiben müßte, würde der Bus wohl schon nach 15 Minuten explodieren – oder das Problem würde sich woanders hinverlagern. De Bont und sein Autor Graham Yost schaffen es dagegen, die Angelegenheit bis auf den letzten Tropfen auszukosten: Es passiert ständig noch etwas, größere Probleme tun sich auf, wahnwitzige Lösungen werden ausprobiert, und getreu der Prämisse bleibt die Story stets in Bewegung. Das fängt schon mit der Vorgeschichte an, in der der Wahnsinnige in einem Hochhaus einen Fahrstuhl mit einer Bombe ausstattet und droht, Kabel und Bremsen wegzusprengen und damit die Passagiere in den Tod fallen zu lassen, wenn ihm seine Geldforderungen nicht erfüllt werden. Der Thrill setzt sich fast nahtlos mit der Busgeschichte fort – und nachdem die eine Stunde lang erzählt wurde, wird flugs noch das Transportmittel gewechselt, um den Geschwindigkeitsrausch fortsetzen zu können.
Das Effektive an SPEED liegt aber nicht nur an der ständigen Fortbewegung des Handlungsgerüsts, sondern auch darin, wie De Bont seinen Film mit zahlreichen Sequenzen vollpackt, in denen die Katastrophe schon absehbar ist und immer haarscharf abgewendet werden kann. Schon zu Beginn werden Leute aus dem Fahrstuhl evakuiert, während der ruckweise nach unten fällt – weshalb man bei jeder Person das Gefühl hat, es könnte diesmal zu eng werden. Auch die anderen Momente werden zur Genüge gemolken: Ob Jack auf dem Freeway aus einem Auto in den fahrenden Bus herüberspringen muß oder sich später auf einem Rollwagen unter den Bus zur Bombe begibt, wo er fast unter die Räder kommt – glatt geht hier gar nichts, und der Nervenkitzel wird immer weiter intensiviert.
Man merkt, daß De Bont als Kameramann oft in der Action- und Thrillerschule war: Unter anderem fing er die Bilder für Richard Donners LETHAL WEAPON 3, Paul Verhoevens BASIC INSTINCT, John McTiernans STIRB LANGSAM und Ridley Scotts BLACK RAIN ein. In SPEED packt er zusammen mit Kameramann Andrzej Bartkowiak (der selber später zum Actionregisseur aufstieg) diese Fertigkeit in eine Form, die das Adrenalin zur Hauptattraktion des Films macht: Die Kamera steht nie still, das Tempo wird nie gedrosselt. Die Figuren definieren sich nur durch ihre Teilnahme an den Extremsituationen – Zeit für Introspektion gibt es hier ebensowenig wie Momente der Charakterentwicklung. Daß der Film damit nicht wie eine seelenlose Technikübung wirkt, liegt daran, daß die Inszenierung einem jede Sekunde mit Dringlichkeit einbleut, daß die Gefahr auf der Leinwand gerade viel wichtiger ist als alles, was drumherum geschieht. SPEED existiert nur in der Jetztzeit.
Als ich SPEED damals zum ersten Mal gesehen habe, empfand ich den Film als völlig hohl und dumm. Es gibt hier eben nichts herauszulesen, was nicht an der Oberfläche zu sehen wäre: Die Oberfläche ist in SPEED die einzige Fläche. Erst Jahre später, nach nochmaligem Ansehen, habe ich gesehen, daß genau das der Grund ist, warum der Film so funktioniert, wie er es tut – jeder Zusatz wäre hier nur ein Gewicht, das die Geschwindigkeit reduzieren würde. Und so ganz dumm ist der Film in seiner minimalistischen Action-Destillation dann auch wieder nicht: Er weiß nämlich ganz genau, daß wir nicht für die Schauwerte ins Kino gehen, sondern für den Thrill, der durch sie erzeugt wird.
Speed (USA 1994)
Regie: Jan De Bont
Drehbuch: Graham Yost
Kamera: Andrzej Bartkowiak
Musik: Mark Mancina
Darsteller: Keanu Reeves, Dennis Hopper, Sandra Bullock, Jeff Daniels, Joe Morton, Alan Ruck, Glenn Plummer