Ein Erdbeben vor der Küste Griechenlands bringt gleich zu Beginn des Films nicht nur Unruhe in eine kleine Hochzeitsgesellschaft, die sich soundtrackverkaufsfördernd zackige Elektronik anhört – nein, nebenbei wird auch der Zugang zu einer Unterwasserhöhle wieder freigerüttelt, die den Luna-Tempel von Alexander dem Großen beherbergt. Weil es damals noch keine Cloud-Lösungen gab, brachte Alexander dort Schätze unter, die er nicht in die Bibliothek von Alexandria stellen wollte. Zum Beispiel eine golden leuchtende Kugel, die als Karte zu dem Aufbewahrungsort der Büchse der Pandora fungiert – eine alte Schatulle, die der Legende nach Krankheiten und Unheil beinhalten soll. Ganz so wie die Collector’s Box zur TWILIGHT-Saga also, nur ohne das Bonusmaterial.
Da könnte sich nun dezent die Frage aufdrängen, wer eine solch unappetitliche Schachtel überhaupt haben will. Wie wäre es mit dem Waffenhändler Dr. Reiss, der in seinem Programm auch biologische und chemische Keulen führt und die Bazillenbox entsprechend verhökern will? Als zusätzliches Merchandising will der gute Mann dann noch ein Gegenmittel zum Sammlerpreis anbieten. Von diesem schändlichen Plan erfährt allerdings der britische Geheimdienst, der sofort eine Person anheuert, den Burschen zu stoppen: Lara Croft. Weil die von Angelina Jolie gespielt wird und in Digitalform schon mysteriöse Artefakte gesammelt hat wie andere Leute Gartenzwerge, kommt der Geheimdienst auch gar nicht auf den Gedanken, vielleicht noch ein oder zwei zusätzliche Agenten anzuheuern.
Weil es sich bei LARA CROFT: TOMB RAIDER – DIE WIEGE DES LEBENS wie schon beim ersten Croft-Film um die Verfilmung einer populären Reihe von Jump’n’Run-Computerabenteuern handelt, wird hauptsächlich gesprungen und gelaufen, während sich die Story von Level zu Level weiterbewegt. In der Tat funktioniert die Konstruktion des Plots exakt wie ein Computerspiel: An einem exotischen Schauplatz gilt es, Gegenstände zu finden und/oder Gegner zu besiegen, bevor man mit einer haarsträubend absurden Aktion in das nächste Areal kommt – dazwischen gibt es noch eine hübsche Cutscene anzusehen, die ein wenig die Handlung erläutert. Level 1: Der Unterwassertempel! Finden Sie die Leuchtkugel, kämpfen Sie gegen plötzlich auftauchende Chinesen und knobeln Sie aus, wie Sie ohne Atemgerät schnell an die Wasseroberfläche kommen können, wenn der Weg zum Schwimmen zu weit ist.
Gerade die realitätsverbiegenden Schlußaktionen jeder Sequenz geben permanenten Anlaß zum spontanen Beifall. Die Lösung des Unterwasserdilemmas: Croft schneidet sich in den Arm, um mit dem Blut einen Hai anzulocken. Dem klopft sie zur Begrüßung die Faust ins Gesicht, bevor sie sich mit flottem Griff zur Flosse Richtung Oberfläche tragen läßt. Auch später lassen sich die Autoren kaum von der faden Wirklichkeit beeinträchtigen: Da gibt es einen Stabhochsprung zum fliegenden Helikopter, und anderswo gleitet Croft kopfüber in Hochgeschwindigkeit an einem Seil eine Bergwand herunter, damit sie die von oben auftauchenden Schurken besser wegballern kann. Dazwischen wird THE CRADLE OF LIFE (so lautet der Untertitel im Original) wie schon der erste Croft-Film als Mischung aus Indiana Jones und James Bond erzählt: Da werden sagenumwobene Objekte gejagt, deren Hintergründe in Historian’s-Digest-Infosprengseln abgehakt werden, und unter Zuhilfenahme verschiedenster Gadgets wird einem gewissenlosen Globalschurken lässig die Stirn geboten.
Die Wiege des Lebens, also der Aufbewahrungsort der Büchse der Pandora, befindet sich übrigens in Afrika. Croft reist dorthin, beziehungsweise: Sie springt beinahe beiläufig mit dem Fallschirm in den fahrenden Jeep ihres Buschmann-Kumpanen, der sie schnurstracks zu seinem Dorf bringt, wo man über die Büchse längst Bescheid weiß. Nach dem Austausch einiger Nettigkeiten und der Warnung, daß ein böser weißer Mann namens Dr. Reiss kommen wird, winkt der Stammeshäuptling müde und will Croft zur Büchse geleiten. Ich sag’s ja immer: Wenn man nur öfter mal mit den Naturvölkern dieser Welt kommunizieren würde, würde man sicherlich in kürzester auch den Gral, das Bernsteinzimmer und den Gitarristen von den Manic Street Preachers finden können.
Es kommt natürlich, wie es kommen muß: Dr. Reiss ist auch schon da, weshalb ein erbitterter Zweikampf um die todbringende Schatulle entbrennt. Vorher wird seinem Henchman Til Schweiger von einem brutalen Viech der Kopf abgebissen. Nur wenige Jahre später lockte Schweiger mit exakt demselben Gesichtsausdruck Millionen von Menschen in den Film KEINOHRHASEN.
Wo der erste Film sich noch mit einer Vater-Tochter-Geschichte um eine gewisse emotionale Ebene bemühte (die dank des tatsächlichen Vater-Tochter-Gespanns aus Jolie und Jon Voight auch schön anzusehen war), darf hier ein ehemaliger Liebhaber von Croft für die persönliche Note sorgen. Der Ex-Hapschi schmort zu Beginn des Films noch in einem Gefängnis in Kasachstan, wird aber flugs zur Operation Pandora hinzugezogen und darf sich dann von der testosteronstarken Croft permanent schwach anreden lassen.
Meine Theorie ist ja, daß er damals die Beziehung beendet hat, weil ihm Lara Croft zu fad wurde. Im Gegensatz zu Indiana Jones oder James Bond dürfte die gute Lara nämlich privat zum Steinerweichen uninteressant sein. Indiana Jones hat Witz und Wissen, James Bond hat Stil und weiß die angenehmen Seiten des Lebens zu schätzen, aber Lara Croft macht nichts außer Springen und Laufen – wenn sie nicht gerade dafür trainiert, später besser springen und laufen zu können. Die Frau liest nichts, erzählt nichts Spannendes und weiß mit ihrem immensen Reichtum auch nichts Bedeutendes anzufangen. Da dürfte der unfaßbar enge Neoprenanzug mit durchscheinenden Nippeln, den sie zu Beginn des Films spazierenträgt, die meisten potentiellen Liebhaber auch nur begrenzte Zeit bei Laune halten.
Wir müssen aber nur zwei Stunden mit der Frau verbringen, und die sind so wenig mit Privatem gefüllt wie nur irgendmöglich: THE CRADLE OF LIFE kracht und fetzt und kullert kunterbunt über die Leinwand. Der Film ist ein altmodisches Groschenheft, das mit modernen Mitteln erzählt wird – und als Jump’n’Run-Verfilmung hat er auch ein gewisses Recht, sich mit Spieledramaturgie den Schauwerten zu widmen. Es ist nicht so, daß die Abenteuer einer Frau, die alles kann, keine besonderen Interessen verfolgt oder Probleme hat und jeder tödlichen Gefahr nur mit lässigem Spruch begegnet, immens spannend wären – aber vergnüglich sind sie. Ein bißchen so, wie wenn man jemandem dabei zusieht, wie er ein höchst adrenalinreiches Computergame durchspielt.
Lara Croft: Tomb Raider – Die Wiege des Lebens (USA/Deutschland/Japan/England 2003)
Originaltitel: Lara Croft: Tomb Raider – The Cradle of Life
Regie: Jan De Bont
Buch: Dean Georgaris, Steven E. de Souza (Story), James V. Hart (Story)
Musik: Alan Silvestri
Kamera: David Tattersall
Darsteller: Angelina Jolie, Gerard Butler, Ciarán Hinds, Christopher Barrie, Noah Taylor, Djimon Hounsou, Til Schweiger, Simon Yam