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Ein ausgekochter STUNTMAN!: Anekdoten und Angebereien von Hal Needham

„A real man of action“, sagt Arnold Schwarzenegger über Hal Needham – einst Hollywoods bestbezahlter Stuntman, der nach eigenen Angaben in seiner Karriere 56 Knochenbrüche überstanden hat. Meine Kindheit prägte Needham aber mit einem Film, den er selbst inszenierte: Er konnte 1977 vom Stuntkoordinator zum Regisseur aufsteigen und drehte das Burt-Reynolds-Vehikel EIN AUSGEKOCHTES SCHLITZOHR (im Original: SMOKEY AND THE BANDIT), dessen enormer Erfolg ihm eine zweite Karriere hinter der Kamera bescherte. Das SCHLITZOHR war geradezu maßgeschneidert für Achtjährige aller Altersstufen: Flotte Sprüche am laufenden Band, rasante Action mit schnellen Autos, aufregende Stunts, ein lässiger Schelm als Held, eine cholerische Comicfigur als Bösewicht und eine augenzwinkernd anarchische Grundhaltung. Es ist eben nichts schöner, als zusammen mit einem sympathischen Schlitzohr der aufgeblasenen Obrigkeit ein Schnippchen zu schlagen – und dabei unbekümmert ein paar Fahrzeuge und die Landschaft zu demolieren.

Auch Needhams anderer großer Hit paßt mühelos zu diesem Muster: AUF DEM HIGHWAY IST DIE HÖLLE LOS, im Original THE CANNONBALL RUN, schickte einmal mehr Burt Reynolds auf die Straße (Needham und Reynolds verband eine langjährige persönliche Freundschaft) – diesmal für ein illegales Autorennen quer durch die Staaten und mit einer ganzen Armee von anderen Stars im Gepäck: gewissermaßen EINE TOTAL, TOTAL VERRÜCKTE WELT für das Jahr 1980. Needham drehte auch die eher mißglückte Fortsetzung zum SCHLITZOHR, das hemmungslos alberne HIGHWAY-Sequel und die putzige Westernkomödie KAKTUS-JACK, in der ein junger Arnold Schwarzenegger quasi als Roadrunner auf der Flucht vor Kirk Douglas als Coyote ist. Needhams andere Filme – darunter HOOPER, STROKER ACE, MEGAFORCE, RAD und vier BANDIT-Fernsehfilme – habe ich nie gesehen, aber sie klingen, als würden sie zu den anderen Werken passen.

2011 veröffentlichte Needham seine Autobiographie STUNTMAN!, die den Untertitel „My Car-Crashing, Plane-Jumping, Bone-Breaking, Death-Defying Hollywood Life“ trägt. Und ja, entsprechend dieser Betitelung bietet das Buch zahlreiche Anekdoten über Needhams Leben als Stuntman – er fing in den Fünfzigern an, arbeitete bei zahlreichen Fernsehshows, doubelte später John Wayne, dann Burt Reynolds, und koordinierte mit eigenem Team die Stunts bei Dutzenden von Filmen. Auch außerhalb seiner Hollywood-Tätigkeiten liebte Needham das aufregende Abenteuer: Er arbeitete an einem Raketenauto, mit dem er die Schallmauer brechen wollte, stellte ein eigenes NASCAR-Team auf die Beine, war der erste Mensch, der den Airbag testete, und gewann einen Oscar für die Entwicklung eines Kamerafahrzeugs, das bei Autoverfolgungsjagden eingesetzt werden konnte.

Das klingt nach einem spannenden Leben, und gewiß war es das für Needham auch. In Buchform allerdings ermüdet die Aneinanderreihung unzähliger Anekdoten eher: Nach einem kurzen Abriß über seine Kindheit – ein gelungener Einblick in das Leben zur Zeit der amerikanischen Depression – geht es los mit Geschichten über diesen Sturz und jenen Kampf, diesen Flug und jenes Gefährt, gebrochene Knochen, Beinahe-Unfälle, Klettern hier, Abspringen dort, Pferde und Pfeile, Fäuste und Fahrten, Action und Angebereien. Das ist manchmal amüsant und manchmal trivial, aber so oder so auf circa 200 Seiten gestreckt irgendwann nurmehr Variation und Wiederholung.

Es mag auch am Tonfall liegen, daß Needhams Stunt-Erzählungen nicht wahnsinnig involvieren: Einerseits will er gerne demonstrieren, was für ein kühner Haudegen er war – er spricht selten über Vorbereitungen oder Schutzmaßnahmen – und gibt gleichzeitig gerne eine Welle an, wie fantastisch seine Arbeit immer war: Er verbessert Szenen, bringt John Wayne den richtigen Fausthieb bei, beäugt kritisch die Arbeit der Pyrotechniker, und brüstet sich damit, an einem Drehtag an fünf verschiedenen Fernsehserien gearbeitet zu haben. Über Peter Bogdanovich berichtet er, er sei „the most arrogant know-it-all I have ever been with on a set“ (Needham war Stuntkoordinator für Bogdanovichs NICKELODEON); von anderen Hollywood-Legenden wie John Wayne erzählt er vor allem gerne dann, wenn er sie mit seinem (unbestreitbar vorhandenen) Talent beeindrucken konnte.

„The stuntmen I have trained have all moved up the ladder to become great stuntmen, stunt coordinators, second-unit directors, and even directors. I believe I had the ability to get more out of a stuntman than anyone in the business – not because I would challenge them, but because they knew I wouldn’t settle for second best.“

Mitunter kann man auch gar nicht anders, als mit dem Kopf zu schütteln. Nachdem ein Autostunt mit Explosion völlig schiefgelaufen ist und Needham mit gebrochenem Rückgrat, sechs gebrochenen Rippen und verletzter Lunge ins Krankenhaus gebracht wird, kehrt er nach nicht einmal zwei Wochen wieder an ein Set zurück, um dort die Stunts zu überwachen. Die Selbstreflexion darüber fällt recht knapp aus: „On the flight home I thought, am I crazy or dedicated? One thing for sure, I never called in sick because I had a headache.“ Jaja, der Needham war eine harte Sau, und manchmal gibt es gar keine Trennlinie zwischen „harte Sau“ und „dummer Hund“.

Besonders enttäuschend wird das Buch, wenn Needham zu seinen eigenen Filmen kommt: Über die hat er offenbar nicht sehr viel zu erzählen. Er berichtet ein wenig darüber, wie EIN AUSGEKOCHTES SCHLITZOHR zustandegekommen ist, erzählt ein paar Anekdoten vom Dreh, und sinniert ein paar Absätze lang über die schlechten Kritiken, die seine (finanziell immens erfolgreichen) Filme stets bekamen. Gleiches macht er mit AUF DEM HIGHWAY IST DIE HÖLLE LOS, HIGHWAY 2 und HOOPER; zu KAKTUS JACK berichtet er hauptsächlich, daß er einen großen Fehler gemacht hat, als Arnold ihm das Skript zu CONAN zeigte und ihn als Regisseur dafür begeistern wollte – und Needham ihm aber sagte, daß er mit der Story nichts anfangen könne. Die anderen Filme werden nicht einmal namentlich erwähnt. Mag sein, daß es zum Beispiel zu den vier Fernseh-BANDITs nicht ausufernd viel zu plaudern gibt – aber daß ein Großteil der Filmographie einfach unter den Teppich gekehrt wird und auch nicht darüber gesprochen wird, warum er zum Beispiel den dritten SCHLITZOHR-Teil nicht inszeniert hat oder warum er letztlich in Ruhestand ging, hinterläßt doch ein bis drei Fragezeichen.

„I worked in the world of stunts from 1956 until I directed SMOKEY AND THE BANDIT. I’ve been thrown, run over, and busted up more times than I can count. Looking back, movies and I had a pretty volatile relationship, but there’s nothing like working for weeks or months – even years – to get it done and do it right. The payoff is on the screen. Even today, with all the new technology used in movies and stunts, they still need people – real people – crashing cars, doing high falls, and generally getting it done with the same kind of adrenaline rush I’ve felt throughout my career, and my life.“

Dieser Adrenalinstoß ist offenbar der rote Faden in Needhams Leben: Wenn es etwas Aufregendes oder Gefährliches zu tun gab, war er mit vollem Einsatz dabei. Es läßt sich aber auch noch ein anderes Schema erkennen: Wie im Danny-Wallace-Selbstversuch DER JA-SAGER hat er offenbar jeder Gelegenheit und jedem Angebot zugestimmt und dann geschaut, was da passieren würde. So hat sich sein Leben in Richtungen entwickelt und mit Tätigkeiten gefüllt, die er sich selbst wohl nie hätte träumen lassen. Bei aller Trivialität seiner Erzählungen – die Nachdenklichkeit ist eben nicht sein Ding – kann man also aus STUNTMAN! doch im Kern eine gesunde Lebenseinstellung herauslesen: Einfach machen, einfach leben, und einfach mal riskieren. Es muß ja dabei nicht wie bei Needham immer um Kopf und Kragen gehen. Das Leben kann damit enorm bereichert werden – und ob dabei hinterher ein profundes Buch herauskommt, ist gewissermaßen egal.


Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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