Im ersten Close-Up zu Tobe Hoopers TEXAS CHAIN SAW MASSACRE haben wir uns die Sequenz angesehen, in der Leatherface den im Rollstuhl sitzenden Franklin angreift. Heute will ich mir noch eine andere Szene vorknöpfen, die wahrscheinlich zu den intensivsten des Films gehört – und daher auch zu denen, an die man sich lange erinnert. Auch hier zeigt die genaue Betrachtung der einzelnen Einstellungen, daß der Film weitaus mehr suggeriert als zeigt – was letztlich umso effektiver ist.
Die Szene, in der Pam von Leatherface in die „Speisekammer“ des Hauses gezerrt wird, wird lange vorbereitet: Zuvor haben wir schon ihren Freund Kirk in das Haus gehen sehen und haben miterlebt, wie er vom plötzlich auftauchenden Leatherface mit einem Hammer erschlagen und weggezerrt wurde. Pam begibt sich also ebenfalls ins Haus, um ihren Freund zu suchen, und findet dort einen bizarren Raum voller Dreck, Hühnerfedern, Knochen und daraus gebauten Möbeln – eine Sequenz, die ebenfalls eine nähere Betrachtung wert wäre, und sei es nur, um die fantastische Ausstattung von Robert A. Burns zu bewundern. Panisch versucht Pam, aus dem Haus zu fliehen – und wird von Leatherface geschnappt. Diese Sequenz beginnt auf der DVD ca. bei Minute 37:40:
(Ein kommentiertes Bild entspricht einer Einstellung – wenn zwei Bilder direkt untereinander gezeigt werden, zeigen beide verschiedene Momente derselben Einstellung.)
Pam schafft es sogar kurz aus dem Haus heraus, wird aber noch bei der Tür von Leatherface geschnappt und wieder hineingezerrt.
In einer Halbnahen fährt die Kamera vor den beiden zurück, während Leatherface Pam hineinträgt.
Der Vorgang geht in einer statischen Totalen weiter. Hinter den beiden fällt die mit Fliegengitter bespannte äußere Tür zu.
Die Kamera bewegt sich schräg seitlich mit den beiden mit. Pam versucht sich erfolglos zu wehren. Durch die sparsame Beleuchtung fällt sie, wie schon in den vorigen beiden Einstellungen, immer wieder aus dem Licht heraus und ist nur als Schatten zu sehen.
Die Kamera bewegt sich vor Leatherface zurück, der ebenfalls mehr im Schatten zu sehen ist.
In einer Totalen wird Pam durch die Tür getragen, aus der Leatherface gekommen ist (und aus der wir ihn schon zuvor haben kommen sehen, als er Kirk angegriffen hat). Man beachte, wie die an der Wand hängenden Felle die Proportionen im Bild verändern – das Haus wirkt dadurch viel größer (was durch die rechts im Bild nach oben führende Treppe gefühlsmäßig noch verstärkt wird).
Der groß im Vordergrund prangende Fleischerhaken läßt uns Pams Schicksal schon im Vorfeld erahnen. Leatherface zerrt sie aus dem Dunkel heraus in Richtung des Hakens.
Jetzt befinden wir uns hinter Leatherface. Pam ist kurz zu sehen, wie sie nach links auszubrechen versucht. Leatherface trägt sie bis zum Haken und hebt sie dann hoch.
Für einen kurzen Moment wird nochmal zu der vorigen Einstellung zurückgeschnitten. Das Bild des Hakens und der direkt davor befindliche nackte Rücken von Pam schaffen eine sehr schmerzhafte Erwartungshaltung.
Leatherface hängt Pam auf den Haken; sie bewegt sich mit einem Ruck ein kurzes Stück nach unten. Man beachte, daß keinerlei Wunde oder Einstich zu sehen ist – der wird durch die Bewegung und durch das zuvor nochmal hineingeschnittene Bild des Hakens hinreichend suggeriert. Im Vordergrund sehen wir einen liegenden Körper – vermutlich Kirk.
Pam schreit und versucht hilflos, nach oben an den Haken zu greifen, an dem sie hängt. Das hinter ihr an der Wand befindliche Blut dürfte übrigens nicht ihres sein – es ist auch schon in der vorigen Einstellung zu sehen, daß die Wand Blutflecken hat. Dennoch wirkt dieses Detail der grausigen Vorstellung weiter auf die Sprünge.
In der zuvor schon verwendeten Einstellung kümmert sich Leatherface um den im Vordergrund liegenden Körper, bevor er nach links in Richtung des Fensters geht.
Leatherface ist zuerst von hinten mittig im Bild zu sehen, bewegt sich dann nach links und wirft eine Art Gabel in die Spüle. Dann nimmt er die daneben liegende Kettensäge und wirft sie an. Die Kamera zoomt dabei langsam auf die Kettensäge – auch das lenkt unsere Gedanken weiter in die „richtige“ Richtung.
Die einzige Einstellung, in der tatsächlich zu sehen ist, daß Pam in der Luft hängt: Zuerst wird ein Eimer unter ihr gezeigt, über dem ihre Füße baumeln, dann schwenkt die Kamera nach oben und zeigt, wie sie weiter versucht, sich zu befreien. (Der „Schwebeeffekt“ wurde mit einer an den Oberschenkeln und dem Rücken befindlichen Vorrichtung erzielt.)
Leatherface hebt die Kettensäge hoch, hält sie wieder nach unten, dann wieder hoch. Er dreht sich und macht sich mit der Säge an dem (hier nicht sichtbaren) Körper zu schaffen. Die Kamera zoomt auf sein Gesicht – das durch das Gegenlicht fast vollständig im Schatten liegt.
Leatherface sägt an dem Körper – aber davon ist eigentlich nichts zu sehen. Der Kopf, den er hier wohl abtrennt, ist gar nicht zu sehen, und die Kettensäge ist auch größtenteils durch die Kameraperspektive (und den davor stehenden Fleischwolf) verdeckt.
Nochmal die Einstellung auf Leatherface, der kurz innehält, die Säge hochhält, und sich dann wieder herunterbeugt und weitermacht. Wieder wird auf sein Gesicht gezoomt, diesmal noch näher heran, und wieder befindet es sich großteils im Schatten.
Während Leatherface weitersägt, zoomt die Kamera an die schreiende Pam heran. Irgendwann geht Leatherface vor ihr durchs Bild nach rechts, um von dort aus weiterzuarbeiten.
Was weiter passiert, bleibt unserer Phantasie überlassen: Die Szene hört hier auf, es wird auf ein am Dach des Hauses befindliches Windrad geschnitten. (Lucio Fulci würde nach so einem Schnitt, der den Zuseher üblicherweise aufatmen läßt, wieder zurück zur Szene schneiden und dann zu den wirklichen Grausamkeiten kommen.)
Ja, der Inhalt der Szene ist brutal und verstörend – aber die Bild-für-Bild-Analyse zeigt, daß auch hier Hooper keinesfalls diese Gewalttätigkeiten ausweidet, sondern ganz im Gegenteil die Phantasie des Zusehers nutzt. Im Grunde genommen ist fast nichts zu sehen – und doch wohnen wir einem absoluten Albtraum bei. Die Sequenz dauert übrigens ungefähr 65 Sekunden – also knapp über eine Minute. Das ist nicht sehr lang – aber lang genug, um das Gefühl zu kriegen, daß uns der Film die Brutalitäten nicht ersparen wird.
Lernen kann man hier hauptsächlich von dem Moment mit dem Fleischerhaken: die Ankündigung durch das vorne im Bild plazierte Objekt, der extrem einfache Effekt (der eigentlich nur über die Ruckbewegung und das Schreien verkauft wird) – und natürlich die kurz vor dem Einstich noch einmal hineingeschnittene Einstellung mit dem Haken, die im Kopf die Wunde gleich mit produziert.
Der Haupttext zum Film findet sich hier: Blutgericht in Texas.
Eine weitere Szenenanalyse zum Film findet sich hier: Der Mord an Franklin.