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[Film] Angel of Death (1986)

Ich weiß ja nicht, wie es euch geht – aber wenn mir ein Achtziger-Jahre-Actionfilm unterkommt, der den Alternativtitel COMMANDO MENGELE trägt, vom Italiener Andrea Bianchi inszeniert wurde (MALABIMBA, DIE RÜCKKEHR DER ZOMBIES), von Jess Franco mitgeschrieben wurde und von der französischen Z-Movie-Schmiede Eurociné (z.B. Jess Francos OASE DER ZOMBIES) auf die Beine gestellt wurde, dann muß ich diesen Streifen gewissermaßen sofortigstens sehen. Und nachdem ich so ein Entnazifizierungsspektakel mit höchster Aufmerksamkeit begutachtet habe, muß ich freilich auch flugs darüber berichten – immerhin gilt es hier nicht nur, effektiver Faschismusbekämpfung beizuwohnen, sondern auch, glorreichstes Weltspartagskino gleichgesinnten Cinephilen ans Herz zu legen.

Bevor wir uns der komplexen Geschichte von ANGEL OF DEATH widmen, ist es aber wohl Zeit für einen kurzen historischen Einschub: Der KZ-Arzt Dr. Josef Mengele, der während der Kriegszeit zahllose menschenverachtende Experimente an Inhaftierten vornahm, setzte sich nach 1945 Richtung Südamerika ab und galt in den Siebzigern als meistgesuchtester Kriegsverbrecher – auf seine Ergreifung waren Belohnungen von umgerechnet zehn Millionen Mark ausgesetzt. Mengele starb 1979 an einem Schlaganfall und wurde von seiner Familie heimlich beigesetzt; erst 1985 fand man seine Überreste.

Der Doktor (Howard Vernon) schwelgt
mal wieder in der Vergangenheit.

So gesehen könnte der 1986 veröffentlichte Film tatsächlich noch zu einer Zeit entstanden sein, in der Mengele als international gesuchter Flüchtling galt – und wenn nicht, ist das auch egal, da sich die Filmemacher ohnehin recht wenig mit Geschichte und Fakten abplagen. Das merkt man schon in der ersten Einstellung, in der eine touristische Strandlandschaft am Meer gezeigt wird und darüber die Ortsangabe „Villarica – Paraguay“ eingeblendet wird – das produziert natürlich gleich Urlaubsstimmung, abgesehen vielleicht von dem unwesentlichen Detail, daß Paraguay im Landesinneren liegt und sich deshalb schwer tun dürfte, seinen Besuchern ein Meer anzubieten. Immerhin: Mengele weilte eine Zeitlang tatsächlich in Paraguay.

Und so widmet sich ANGEL OF DEATH bzw. das COMMANDO MENGELE der Suche nach dem Herrn Doktor. Wir folgen einem motivierten Freiheitskämpfer namens Marc Logan, dessen Eltern seinerzeit im KZ umgekommen sind und der daher eine persönliche Motivation hat, den Naziarzt zur Strecke zu bringen. Gleich zu Beginn sehen wir Logan mit ein paar Helfern, wie sie sich einen Dr. Hess schnappen wollen – und trotz Anweisung, Hess und seinen Chaffeur lebendig einzukassieren, endet das Ganze nur wenige Sekunden später im Blutbad. Zerknirscht muß Logan mit seinem Hauptquartier telefonieren und berichten, daß Hess doch nicht Mengele war und der Einsatz leider schiefgelaufen ist. Das Hauptquartier – Fernando Rey, eine Sekretärin und ein Wohnzimmer mit Kamin – weist ihn daher zurecht, daß beim nächsten Mal nur mit eindeutigen Beweisen eine Operation autorisiert werden kann.

Freiheitskämpfer Marc Logan (Antonio Mayans) ist
über den Tod seiner Freundin nicht begeistert.

Zum Glück kriegt Logans Freundin (kurz nachdem im Fernsehen ein Bericht über die Greueltaten von Mengele lief) einen Anruf ihrer Bekannten Eva, die als Mätresse eines Dr. Karl Hermann lebt und glaubt, daß der nette alte Herr eventuell nicht der sein könnte, für den er sich ausgibt. Logan fährt zusammen mit seiner Freundin zum Haus dieses Doktors, um sich dort mal umzusehen, und muß feststellen, daß man dort sogleich auf ihn schießt. Und ihn mit dem Helikopter verfolgt. Logans Freundin wird getroffen und segnet das Zeitliche. Das alles macht Logan doch irgendwie stutzig.

Im Folgenden stellt sich Logan – der als Freiheitskämpfer in internationalem Auftrag offenbar weder feste Mitarbeiter noch sonstige Ressourcen zu haben scheint – ein kleines Team zusammen, um Dr. Hermann auszuspionieren und dann auch zur Strecke zu bringen. Teammitglied #1: Ein Martial-Arts-Kämpfer, der als Trainer arbeitet und in jeder Einstellung hochmotiviert in die Luft schlägt oder tritt. Nach seiner Rekrutierung kickt er jubilierend einem seiner Schüler in den Rücken und tritt einem anderen die Beine weg; als er später ein extra eingeflogenes hohes Tier vom Hauptquartier kennenlernt, dreht er ihm jovial den Arm auf den Rücken. Kurzum: Ein gar lustiger Geselle. Teammitglied #2: Ein Zirkusakrobat, den Logan zufällig kennengelernt hat, als er seine niedergeschossene Freundin irgendwo deponieren mußte. Teammitglied #3: Ein Radiotechniker bzw. Abhörspezialist, der in einer mit altem Krempel vollgestellten Garage herumbastelt. Teammitglied #4: Ein dicker Mann mit grauem Bart, der im Kampf gegen mit Maschinenpistolen ausgerüstete Neonazis vorzugsweise auf die gute alte Armbrust zurückgreift und das niedergestreckte Gesindel im Moment ihres Todes noch mit dem ausgespuckten Wort „Nazi!“ beschimpft. Es trifft sie sicher hart.

Soll das Friedrich Nietzsche sein? Der Panzer scheint
übrigens den Film über in der Garage zu bleiben.

Aber kümmern wir uns doch mal lieber um die gute Eva, die unsere Antifaschismuseinheit ja überhaupt erst auf den Herrn Doktor Hermann gebracht hat. Eva arbeitete nämlich in einem Nachtclub, wo sie von einem reichen Jüngling namens Wolfgang becirct wurde. Der hat sie dann mit Dr. Hermann bekanntgemacht, der Eva sogleich als neue Lebensabschnittsgefährtin begrüßt hat. Eines Morgens hörte Eva aber merkwürdige Geräusche in Hermanns Villa und entdeckte das Geheimnis des Doktors: In einem abgelegenen Raum stand der alte Herr in voller SS-Uniform vor einer mit Hakenkreuzen behangenen Wand und lauschte andächtig alten Reden des dahingeschiedenen Führers. Passend dazu war der Raum auch mit einem Photo dekoriert, das Dr. Hermann zusammen mit Adolf zeigt. All dies stimmte Eva doch eher nachdenklich.

Es ist freilich eine gewissermaßen entzückende Vorstellung, daß der Nationalsozialismus so eine Art Geheimreligion darstellt, deren Mitglieder sich ins stille Kämmerlein zurückziehen, um im Ordensgewand vor einem eigens eingerichteten Faschismusaltar Andacht zu halten. Erst bei der Entdeckung dieser privaten Glückseligkeit outet sich Dr. Hermann als Nazi – und nicht etwa durch die donnernden Reden, die er über die herrschende Klasse hält, oder durch die im Garten trainierenden Söldner, oder durch die auf jeder Uniform und an jedem Transportmittel prangenden, im Hakenkreuzstil designten Insignien „4R“ – was übrigens für „4. Reich“ steht: Wie sich herausstellt, plant Dr. Hermann nämlich, diverse Söldnertrupps zu vereinigen und halb Südamerika unter seine Fuchtel zu bringen.

„Wollten wir das Wohnzimmer nicht gemeinsam einrichten, Schatz?“

Aber bedeutet das, daß Mengele bzw. Hermann seine medizinische Tätigkeit an den Nagel gehängt hat? Mitnichten! In einem Kellerraum sehen wir – betreut von Hermanns ergebener Helferin Gertrud – in einigen Krankenbetten Ergebnisse seiner Experimente liegen. Der im Bildvordergrund herumhüpfende Schimpanse ist nicht zur Dekoration da: Hermann hat versucht, Menschen mit Affen zu kreuzen. Weswegen im linken Bett ein Mann mit dicker, pelziger Monobraue und einem haarigen Arm liegt, im rechten Bett dagegen ein Kerl mit halb behaartem Gesicht. Der Doktor spricht begeistert von seinen Fortschritten in der Genetik, aber die Einladung zum nächsten Ärztekongreß muß wohl trotzdem von der paraguayischen Post verschlampt worden sein. Franco-Veteran Howard Vernon spielt den Doktor übrigens meistens so, als würde ihm die eigene Boshaftigkeit wohlige Schauer über den Rücken jagen – an einer Stelle schwingt er sich zu so eifriger Rhetorik auf, daß im Hintergrund Chöre zu hören sind!

Haben wir noch etwas vergessen? Ach ja: Im Zuge seiner Experimente hat Dr. Hermann die liebe Eva künstlich befruchten lassen. Das lief so: Die gute Gertrud hat ihr eine Spritze gegeben, danach wurde Eva ohnmächtig, und als sie wieder zu sich kam, war sie schwanger. Der Doktor ist nämlich zu alt, um selber noch Kinder zu kriegen, erklärt sie unserem Freiheitskämpfer Logan. Um Himmels Willen, Mengele kriegt Nachwuchs? Naja, vielleicht nicht: Der schöne Wolfgang macht nämlich ein einer Stelle so eine Anmerkung, die darauf schließen läßt, daß es sich vielleicht eher um sein Saatgut handeln könnte. Wolfgang, so wird uns übrigens an einer Stelle des Films erklärt, kam in Amerika als Sohn deutscher Einwanderer zur Welt, kämpfte dann im Vietnamkrieg – bis ihn seine Verbitterung zum Faschismus führte. Es wird einem beinahe warm ums Herz.

Eva (Suzanne Andrews) ist betrübt: Sie wurde von Dr. Mengele künstlich
befruchtet. Und die Wellness-Termine wurden abgesagt.

Weil die Filmemacher keine Belohnung von zehn Millionen Mark erhalten haben, geht das Prozedere freilich dezidiert preiswert vonstatten. Ein per Granate beseitigtes Auto funktioniert zum Beispiel so, daß man erst das Auto mit den Schurken drin fahren sieht, dann wirft unser bärtiger Kämpfer eine Granate, dann hört man eine Explosion, und dann wird auf ein brennendes Fahrzeugwrack geschnitten. Später gibt es einen großartigen Raketenwerfer, der beständig mit neuen Raketen gefüttert wird, aber man sieht nie, wie eine abgeschossen wird – es ist immer nur so ein „fump“ zu hören, wie wenn man den Plastikdeckel von einer leeren Plakatrolle abhebt. Der hinreißende Synthscore wiederholt sich ad infinitum, und die Action ist meist mit statischer Kamera abgefilmt – wenn nicht gerade aus keinem ersichtlichem Grund etwas in Zeitlupe passiert. Und man muß es kaum erwähnen, daß selbst das geheime Forschungslabor des Doktors einfach nur ein leerer kleiner Raum ist.

Und natürlich ist das Spektakel höchst unterhaltsam anzusehen und strahlt durchweg im betörendsten Videothekencharme der Achtziger. Man könnte jetzt natürlich noch über die Frage etwaiger Geschmacklosigkeit hinsichtlich des geschichtlichen Hintergrunds sprechen – aber wenn der Film das schon so geflissentlich ignoriert, warum sollten wir das dann anders handhaben?

Angel of Death (Frankreich 1986)
Alternativtitel: Commando Mengele / L’Ange de la Mort
Regie: „A. Frank Drew White“ (= Andrea Bianchi)
Drehbuch: Gregory Freed (= Georges Friedland), A.L. Mariaux (= Marius Lesoeur?), D. Khunn (= Jess Franco)
Kamera: Roy Fellous
Musik: N. Verrone
Produktion: Daniel Lesoeur
Darsteller: Christopher Mitchum, Suzanne Andrews, Fernando Rey, Howard Vernon, Jack Taylor, Dora Doll, J.C. Lerner, Shirley Knight, „Robert Foster“ (= Antonio Mayans)

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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