Kannibalismus lag in den späten Siebzigern voll im Trend – zumindest filmisch gesehen. So ist es auch kein Wunder, daß der geschäftstüchtige Onkel Joe D’Amato – bürgerlich Aristide Massaccesi – gleich mehrfach auf der Menschenfresser-Manie mitschwamm: Schon 1977, also im selben Jahr von Ruggero Deodatos erlesen erfolgreichem Anthropophagie-Epos ULTIMO MONDO CANNIBALE, kreuzte er in NACKT UNTER KANNIBALEN die exotische Erotik der BLACK-EMANUELLE-Reihe mit dem blutigen Hunger nach Innereien, der plötzlich über das italienische Kino hereinbrach. Nur ein Jahr später stand Joe schon mit dem nächsten Reißer parat – auch wenn der Kannibalismus-Gehalt von PAPAYA – DIE LIEBESGÖTTIN DER CANNIBALEN dem Softsex-Element diesmal weit untergeordnet bleibt.
Die titelgebende Papaya ist eine schwarze Schönheit, die irgendwo in der Karibik (genaugenommen in der Dominikanischen Republik, wo D’Amato in dem Zeitraum diverse Filme gedreht hat) weiße Männer verführt und sie dann tötet. Gleich zu Beginn des Films sehen wir sie beim Liebesspiel mit einem nicht näher eingeführten Herrn, dem sie nach ein paar Minuten einen höchst empfindlichen Teil der Anatomie abbeißt – wobei wir das als kritische Zuseher noch eher als Penisneid denn als Kannibalismus werten können, da sie das gute Stück auch sofort wieder ausspuckt.
Papaya (Melissa Chimenti) gibt dem Wort „Fleischeslust“ eine ganz neue Bedeutung. |
Schnell lernen wir die Protagonisten unseres Inseldramas kennen: Den Ingenieur Vincent und die Journalistin Sara, die sich hier zufällig treffen und sogleich ihre langjährige Affäre wieder aufleben lassen. In der Hotelhütte von Vincent findet sich leider eine etwas angefaulte Leiche, die sich als Kollege von Vincent entpuppt – aber zum Glück lassen sich unsere Helden nicht lange den sonnigen Aufenthalt vermiesen. Bei der Lustfahrt über die Insel nehmen sie aber leider die gute Papaya als Anhalterin mit, die beide erst in ein nahegelegenes Dorf lockt, wo sie einem geheimen Ritual beiwohnen dürfen, und dann mithilfe einiger grimmig schauender Inselbewohner Vincent und Sara entführt und gefangenhält.
So offenbart sich dann auch flugs der Grund, warum Papaya die unglückseligen Männer über die Klinge springen läßt: Vincents Firma plant, auf der Insel ein Atomkraftwerk zu bauen, und die Dorfbewohner bringen die dazugehörigen Ingenieure um, um diesen Bau zu sabotieren. Wie klug organisiert die Bande dabei vorgeht, zeigt sich in dieser schönen Rede des Anführers, der darin seine Untergebenen an den Plan und Papaya an ihre Aufgabe erinnert:
Du mußt für uns die Namen aller Ingenieure, die im Atomkraftwerk arbeiten werden, rausbekommen. Wir müssen alle Namen und die Adressen wissen. Vielleicht auch noch ein paar Details aus ihrem Privatleben. Ich nehme nicht an, daß ihr einen besseren Vorschlag habt, oder? Wir sind eine kleine Organisation, und wenn es geht, müssen wir versuchen, uns ohne Gewalt zu wehren. Wenn ich „ohne Gewalt“ sage, meine ich: Ohne Waffen. Notfalls auch mit Waffen.
„Hallo, ich bin Papaya. Wollt ihr mit mir gegen Atomkraft demonstrieren?“ |
Bei solch glasklarer Demonstrationsphilosophie wundert es freilich kaum mehr, warum die Ingenieure erst verführt werden müssen, bevor sie über den Jordan geschickt werden – mir persönlich würden zwar zwei bis siebzehn effektivere Wege einfallen, der Atomfirma das Leben schwer zu machen, aber zugegebenermaßen verstehe ich ja auch nichts vom bürgerlichen Widerstand. Immerhin lassen Papaya und die Dorfbewohner unsere liebe Sara am Leben: Die soll als Journalistin nämlich über den Kampf der Inselbewohner schreiben, um Bewußtsein für die Ausbeutung der dritten Welt durch die Industrienationen zu schaffen. Außerdem laufen Papaya und Sara gerne zusammen nackt am Strand herum.
So, wo bleiben jetzt die Menschenfresser? Nun, wie eingangs schon angedeutet, ist dieses Element hier eher sekundär oder gar tertiär einzustufen. Abgesehen von der kurzen Knabberei zum Einstieg bleibt eigentlich nur eine Szene, wegen der der Film (der im Originaltitel gar keinen Kannibalismus anführt: PAPAYA DEI CARAIBI) zu den Fleischfresser-Epen von Deodato, Lenzi & Co. gerechnet wird: Bei dem Ritual, dem Vincent und Sara beiwohnen, werden zwei (schon tote) Schweine ausgeweidet; danach erdolcht der Ritualführer ein Menschenopfer, schneidet ihm das Herz aus der Brust und beißt einmal kräftig hinein. Mahlzeit! Immerhin hat Onkel Joe auch anderswo zumindest ein paar Fixpunkte des Subgenres unterbringen können: eine exotische Location (wenn auch kein Dschungel), ein paar miteinander kämpfende Tiere im dokumentarischen Mondo-Stil (wenn auch nur ein Hahnenkampf) und ein wenig bizarres Ritual (wenn auch nur größtenteils getanzt wird).
Ein kurzer Moment der Erholung nach tagelanger Aufopferung im Kampf gegen die Atomkraft. |
Abgesehen von dieser kleinen Handvoll an – nunja – Störfaktoren entpuppt sich PAPAYA – DIE LIEBESGÖTTIN DER CANNIBALEN zu 95% als gemütlich inszenierter Softsex-Reigen, wie ihn D’Amato immer wieder in seiner Karriere auf Zelluloid gebannt hat: Schöne Körper, entspanntes Erzähltempo, sanfte Lounge-Funk-Klänge, hübsche Bilder dazu – gerade in letzterem Aspekt zeigt sich einmal mehr, daß D’Amato, der auch hier wieder als sein eigener Kameramann fungiert, mit wenig Aufwand eine stimmungsvolle Groschenheft-Ästhetik kreieren kann. Wie so oft in Onkel Joes Filmen spielt auch der Voyeurismus wieder in das Prozedere hinein: In einer Sequenz kann die in einer Hütte eingesperrte Sara durch das Fenster Papaya im gegenüberliegenden Haus beim Liebesspiel beobachten.
Eine Beobachtung sei noch gestattet: Es ist bestechend, wie oft bei D’Amato die weibliche Sexualität als Kraft gezeichnet wird, der sich andere nur unterordnen können. Das Wort „Liebesgöttin“ im deutschen Verleihtitel zeigt da in die absolut richtige Richtung: Papaya kann durch ihre bloße Präsenz schon Männer wie Frauen betören und ohne viel Zutun bis zur Hörigkeit bringen. „Sie ist das schönste Mädchen, das ich jemals gesehen habe“, sagt anfangs sogar Sara über die verführerische Fremde, der Vincent später so sehr verfällt, daß er wie im Trancezustand bei ihr bleiben will und Saras Warnungen, daß er umgebracht werden soll, in den Wind schlägt. Auch in vielen anderen D’Amato-Filmen spielen solche Frauenfigur eine zentrale Rolle: In der BLACK-EMANUELLE-Reihe (wo die unwiderstehliche Attraktivität – und Aktivität – der Figur freilich ein wenig der EMMANUELLE-Vorlage geschuldet ist), aber beispielsweise auch in den Sarah-Asproon-Filmen (in ELF TAGE, ELF NÄCHTE verfällt ein Mann der Hauptfigur so sehr, daß seine Verlobung auf dem Spiel steht; in TOP MODEL kann Sarah Asproon sogar einen homosexuellen Mann becircen) oder in DANGEROUS OBSESSION (wo ein von einer Frau gefangengehaltener Dieb sich letztlich in sie verliebt). Interessant dabei, daß diese sexuelle Kraft nur manchmal zerstörerisch wirkt (wie in PAPAYA, wo sie zumindest für die Männer im Tod endet), viel öfter aber transformative Auswirkungen hat – in PAPAYA wird Sara zur Verbündeten und Schülerin der Titelfigur, wie auch in den anderen genannten Beispielen die Figuren eine Wandlung durchmachen, nachdem sie mit der jeweiligen „Liebesgöttin“ in Kontakt gekommen sind (in DAS TESTAMENT DER BEGIERDE kann Sarah Asproon sogar einen Mann von seiner Impotenz befreien!).
Kehren wir zur praktischen Ebene zurück: Wer einen Menschenfresser-Reigen erwartet, sollte sich lieber den Filmen der Konkurrenz zuwenden. Wer einen leicht exotisch angehauchten Softsex-Urlaub sehen will, wird schon eher fündig – sollte sich aber vorher fragen, ob ein paar Innereien und ein paar Leichen das Vergnügen nicht vielleicht zu sehr ausbremsen. In Fragen des Atomprotests kann PAPAYA aber natürlich uneingeschränkt gefeiert werden. Auf zum nächsten D’Amato-Film!
Papaya – Die Liebesgöttin der Cannibalen (Italien 1978)
Regie: „Joe D’Amato“ (= Aristide Massaccesi)
Buch: Roberto Gandus
Musik: Stelvio Cipriani
Darsteller: „Melissa“ (= Melissa Chimenti), Sirpa Lane, Maurice Poli, Dakar
Das Bild des Filmplakats wurde mit freundlicher Genehmigung der Samuel Owen Gallery verwendet, wo man das gute Stück auch käuflich erwerben kann.
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