Ach je, was für ein armseliges kleines Filmchen. MASSACRE (der nur bei uns den bestimmten Artikel im Titel hat, also THE MASSACRE) ist ein italienischer Billigslasher aus dem Jahr 1989, dessen Alleinstellungsmerkmal der Name Lucio Fulci ist: Der Horrormeister brauchte nämlich Ende der Achtziger Geld und ließ sich überreden, einige Filme unter seinem Namen zu „präsentieren“ – darunter Gianni Martuccis hier schon besprochene Schlaftablette THE RED MONKS (wo Fulci seinen Namen später vergeblich zurückziehen wollte), Enzo Milionis Horrorfilm FUGA DALLA MORTE, Leandro Lucchettis Splatterwerk SNAKE HOUSE und natürlich dieses mickrige Massaker. Regie führte Andrea Bianchi, zu dessen wohl bekanntesten Filmen seine narrativ schlicht gehaltene, aber höchst unterhaltsame Etrusker-Zombiesause DIE RÜCKKEHR DER ZOMBIES sowie der Giallo DER UNBEKANNTE KILLER (mit dem schönen englischen Titel STRIP NUDE FOR YOUR KILLER) gehören.
Schon zu Beginn sehen wir einen Psychopathen mit Messer, Axt und verspiegelter Sonnenbrille, der einer Prostituierten im roten Kleid erst die Hand und dann den Kopf abhackt. Für die nächste Dreiviertelstunde war’s das aber erst einmal mit Aufregung und Blut und Horror und so: Wir schauen ab sofort nämlich einer Filmcrew zu, die einen angeblichen Horrorfilm namens „Dirty Blood“ dreht. Das Abendessen der (zahlenmäßig sehr überschaubaren) Mannschaft ist angespannt: Der Produzent wettert, daß alles zu teuer ist, der Regisseur schwingt prätentiöse Reden, ein Darsteller befummelt unter dem Tisch die Regieassistentin, und der Drehbuchautor schlägt über den Vorschlägen des Regisseurs die Hände über dem Kopf zusammen („Alles scheiße!“). Sprich: Ein ganz normales Filmset also.
Aber hören wir uns doch mal an, was der werte Regisseur seinem Team da für Ideen auftischt
[M]eine Überzeugung ist, daß sich heutzutage keiner mehr mit Filmen dieser Art, also mit dem Geist der Dreißiger Jahre, auseinandersetzen kann – weil unsere Generation genau weiß, was Horror bedeutet. Außer den Grausamkeiten des Krieges hat uns das Kino auch Zombies und andere monströse Kreaturen geschenkt. Daraus ergibt sich, daß heute auch ein Analphabet alles über Horror und Terror weiß. Wenn wir also unser Publikum richtig in Angst versetzen wollen, müssen wir uns meiner Meinung nach an die Wirklichkeit halten. Wir dürfen uns nicht der Vorstellung hingeben, daß Phantasien Wahrheiten beinhalten. Deshalb glaube ich, daß uns nichts anderes übrigbleibt, als die Wirklichkeit auszuschöpfen. Wir müssen die Urangst der Menschen wiedererwecken.
Ja, das klingt doch soweit gut. Und wie wird also nun der Horror realistisch?
Also, Voodoo, Sabba, Parapsychologie, Spiritismus sind keine Erfindung! Deshalb will ich einige Sequenzen mit Hilfe eines Mediums nochmal neu drehen. Ich will den Neorealismus in diesem Film anwenden. Ich halte diese Entscheidung für äußerst wichtig, denn keiner von euch hat je an einer authentischen spiritistischen Sitzung teilgenommen. Normalerweise setzt sich ein Medium nur mit Experten aus diesem Bereich auseinander. Ich habe für morgen die beste aus dem Bereich Magie hierherbestellt. Diese Person ist nicht nur ein außerordentliches Medium – sie hat auch noch verschiedene Texte über Parapsychologie und Schwarze und Weiße Magie geschrieben. Diese Wissenschaft fängt mit dem griechischen Philosophen Anaximenes an und findet ihren Höhepunkt im kollektiven Unterbewußtsein von Jahn.
Ähm … ja. Gut. Dann ist ja alles klar.
Die Spiritistin kommt also und hält eine kleine Messe ab – angeblich im örtlichen Tennisclub (schauder!), in Wahrheit aber auch nur wieder in so einem öd und leer ausgestatteten Zimmer wie die ganzen anderen Räume, in denen sich der Film zu großen Teilen abspielt. Leider erweckt die übersinnlich begabte Madame versehentlich einen bösen Geist namens „Jack der Schlächter“, den sie als „regelrecht ruchlos“ bezeichnet. Zur Geistererweckung wacht übrigens auch der Kameramann des Films auf und dreht und wackelt an seinem Gerät, als gäbe es kein Morgen – schön ist vor allem der Effekt, wie er ständig schnell an die Leute herangeht und wieder zurückgeht; viel schöner aber ist freilich der Gesichtsausdruck der Spiritistin, die mit aufgepusteten Backen und schielenden Augen packendsten Neorealismus in die Beschwörung bringt.
Fortan schleicht also nun ein Killer durch das Geschehen, dessen Gesicht wir nicht sehen – und der irgendwie auch nichts mit dem sonnenbebrillten Psycho vom Vorspann zu tun hat. Macht fast gar nichts: Der neue Kollege ist auch nicht untätig und entledigt sich nach und nach der Filmcrew, die ja ansonsten eh nur dumm im Bild herumsteht. Wobei – manchmal drehen die Neorealisten ja dann doch weiter an ihrem Film. Wo eine anfängliche Szene noch darauf hindeutete, daß in „Dirty Blood“ Dämonen und andere fiese Monster vorkommen, resultiert der Authentizitätsanspruch später darin, daß beständig Szenen mit einem schwulen Crossdresser gedreht werden, der wahlweise als Marilyn Monroe oder Marlene Dietrich vor dem Spiegel herumhüpft.
Erwähnenswert ist vielleicht noch der Polizeichef, der von Jess-Franco-Veteran Paul Muller gespielt wird und mit den Ermittlungsmethoden seines Oberinspektors nicht ganz einverstanden ist. Der stellt nämlich diverse Polizisten ab, um das Hotel zu bewachen, in dem die Filmcrew untergebracht ist und in dem schon zwei Morde geschehen sind. Das findet der Polizeichef aber völlig übertrieben: „Es gibt auf der Welt nicht nur dieses eine verdammte Hotel in diesem Land! Es ist schon absurd, daß der Verrückte zweimal am selben Ort zugeschlagen hat! Willst du mir jetzt sagen, daß es auch noch ein drittes Mal geben wird?“ Der nette Inspektor klärt dann seinen Chef noch darüber auf, daß die Tatwaffe in beiden Fällen mittlerweile identifiziert wurde: Die Leute wurden mit einem Eispickel umgebracht. Das interessiert den aber auch nicht: „Und das nennst du einen Hinweis??“ Wir sehen: Gegenüber anderen Filmen wurde die Polizeiarbeit hier also in höchstem Realismus eingefangen.
Auch wir sollten beim Betrachten von MASSACRE realistisch bleiben: Der Film ist nämlich nicht so richtig gut. Es ist die Art von Film, wo fade Schauspielnulpen in noch faderen Zimmern herumstehen und kompletten Plunder reden. Es ist die Art von Film, wo über die rosa Blümchentapete flugs mal ein Stadtplan gehängt wird, um den Raum als Polizeihauptquartier zu verkaufen. Und es ist die Art von Film, wo sich die Frauen gerne nackt zeigen und trotzdem jeder Zuseher wegpennt.
Immerhin, für Fulci hatte der Deal – abgesehen vom Geld – doch noch einen Nutzen: Für sein Splatterepos NIGHTMARE CONCERT konnte er diverse Mordszenen aus all den von ihm „präsentierten“ Streifen wiederverwenden. Und das hat wiederum für uns einen gewaltigen Vorteil: Man muß die Filme drumherum nicht extra durchstehen.
The Massacre (Italien 1989)
Originaltitel: Massacro
Alternativtitel: Massacre / La morte della medium
Regie: Andrea Bianchi
Drehbuch: Andrea Bianchi
Kamera: Silvano Tessicini
Musik: Luigi Ceccarelli
Darsteller: Gino Concari, Patrizia Falcone, Silvia Conti, Pier Maria Cecchini, Robert Egon, Paul Muller, Maurice Poli
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Joa hat sich wohl nicht so gelohnt der Film ;D
Und ja, werde auch dabei bleiben, all meine Interessen irgendwo zu zeigen. Hatte nur so ne Phase der Verwirrung und Unzufriedenheit. Vielleicht braucht ich mal die 1-monatige Bloggerpause^^