Es hilft, wenn man sich mit der Materie auskennt, über die man einen Film macht. So auch im Falle des berüchtigten Splatterstreifens MAN-EATER, dessen Regisseur Joe D’Amato nachweislich etwas von Innereien versteht: Immerhin hat der gute Mann nicht nur die Kannibalismus-Sause NACKT UNTER KANNIBALEN inszeniert, sondern auch schon in dem lieblichen Streifen SADO – STOSS DAS TOR ZUR HÖLLE AUF die herzerwärmende Geschichte eines jungen Mannes erzählt, der seine verstorbene Freundin ausweidet und in ausgestopfter Form zu sich ins Bett legt. MAN-EATER (im Original ANTHROPOPHAGUS, manchmal auch ANTROPOPHAGUS oder ANTHROPOPHAGOUS geschrieben) gibt schon gleich mit dem Poster die geschmackliche Marschrichtung vor: Da futtert ein nicht ganz gesund aussehender Herr sich selbst auf. Es überrascht also kaum, daß der Streifen in England auf der Liste der gefürchteten „Video Nasties“ landete und in Deutschland flugs beschlagnahmt wurde. Viel erstaunlicher ist folgende Feststellung: Hinter dem semi-legendären Gedärmehappening verbirgt sich ein durchaus atmosphärischer Horrorstreifen.
„Dieser Film ist so entsetzlich, daß Sie ihn in Ihrem Leben nicht mehr vergessen werden“, trommelte das deutsche Kinoplakat – was natürlich hemmungslos übertrieben ist. Dennoch hat dieses Werbegeklapper bestens funktioniert: ANTHROPOPHAGUS war höchst erfolgreich und darf nach wie vor mit dem Versprechen einer grenzwertigen Terrorerfahrung Zuseher anlocken. D’Amato, ganz Geschäftsmann, legte daher auch prompt nach: Nur ein Jahr später erschien der Slasherstreifen ABSURD – der in manchen Territorien als ANTHROPOPHAGUS 2 verkauft wurde, auch wenn er mit diesem Film hier nur den Darsteller des Killers gemein hat.
Tisa Farrow (links) und Margaret Mazzantini auf der Flucht vor dem Menschenfresser. |
Beginnen tut’s wie jeder brave Slasher mit einer Monsterattacke zur Einstimmung: Ein deutsches Touristenpaar flaniert den Strand entlang, sie geht schwimmen, er legt sich mit Walkman in die Sonne. Nur wenige Momente später wird die Frau im Wasser angeknabbert, während der Mann Bekanntschaft mit einem Hackebeil macht. Beides reißt den Horrorfreund kaum vom Stuhl – aber es zeugt von einem durchaus effektiven Witz, wie die Unterwasserkamera zunächst der Frau nachstellt wie im Haifischfilm, die POV-Kamera aber dann nur ein paar Sekunden später aus dem Wasser steigt und mit tropfendem Blut den Strand entlangstapft.
Nur wenig später lernen wir unsere tatsächlichen Protagonisten kennen, die mit dem Boot einen kleinen Ausflug zu einer abgelegenen kleinen Insel bei Griechenland machen – weil eine aus der Gruppe bei einem dort wohnenden Ehepaar quasi als Au-Pair arbeitet. Wir verbringen ein wenig Zeit damit, mit den Jungs und Mädels über das Meer zu schippern, und dann verbringen wir noch ein bißchen mehr Zeit damit, mit der Gruppe die fast menschenleere Insel zu erkunden. Auch wenn dieser Part des Films zunächst mal ein wenig Geduld erfordert – so spannend sind die Figuren nicht, so flott geht’s nicht zur Sache – nutzt D’Amato die verlassene Stadt für eine befremdliche Grundstimmung, die er durchaus auszukosten versteht.
Nicht nur das Ungeheuer verbreitet hier Schrecken. |
Auch wenn die Stadt – abgesehen von einer unheimlichen Frau in Schwarz, die durch die Straßen huscht – ausgestorben ist und unsere Touristen in einem Haus eine modernde Leiche finden, macht sich die Gruppe doch auf zum Haus des erwähnten Ehepaares. Derweil hat sich das mordende Ungeheuer der beiden auf dem Boot Zurückgebliebenen angenommen und flugs den Anker gelichtet – weshalb unsere Freunde die Insel nun nicht mehr verlassen können. Den Rest des Streifens hat unser titelgebender Man-Eater also alle Hände voll zu tun, die Cast zu dezimieren …
Nein, originell ist das kaum, was D’Amato hier auffährt, und aufwendig gemacht schon gar nicht: MAN-EATER ist ein flott heruntergekurbelter B-Horrorstreifen, dessen garstige Reputation auf ein paar wenigen Gore-Sequenzen ruht. Von denen haben vor allem zwei dafür gesorgt, daß auch über 30 Jahre später noch immer Bluthunde auf der Jagd nach möglichst explizitem Stoff den altgedienten ANTHROPOPHAGUS besichtigen: In einer Szene reißt der Man-Eater einer schwangeren Frau den Fötus aus dem Leib und beißt herzhaft hinein – ersteres in einer einzelnen Totalen abgefilmt und stark verdeckt durch den Killer selbst, weshalb man weitaus weniger sieht, als fürhin behauptet wird. Und in der Schlußsequenz greift der verwundete Man-Eater nach seinen eigenen Innereien und macht dann das, was man auf dem Poster sieht. Jenseits der Tabubrüche werden Splatterfreunde aber wohl nicht ganz warm werden mit MAN-EATER: So kübelweise fließt das Blut dann doch nicht, und so mancher Effekt war schon damals billig gemacht und wirkt mehrere Dekaden später umso klappriger. (Das heißt freilich nicht, daß der Film demnächst die FSK-12-Freigabe erlangen wird.)
Was erwartet uns wohl im Finstern? |
Und doch hat ANTHROPOPHAGUS (der in Amerika eher unter dem Titel THE GRIM REAPER bekannt ist) einen gewissen Reiz: Die Sache kommt zwar nur langsam in Fahrt, kann aber dafür atmosphärisch die einzelnen Sequenzen ausreizen – sei es der erwähnte Gang durch die menschenleere Stadt, das Schleichen durch das finstere Haus oder der Weg durch eine Gruft. Wie gehabt führt D’Amato selber die Kamera (auch wenn im Vorspann Operator Enrico Biribicchi genannt wird, erklärte D’Amato im Splatting-Image-Interview, das sei nur aus vertraglichen Gründen heraus geschehen). Seine Bildarbeit ist schnörkellos und in den Außenszenen auch kaum Applaus wert – in den Innensequenzen aber kann er manche Szene mit stimmungsvollen Schatten und nur spärlich eingesetztem Licht interessant gestalten. Da gibt es zum Beispiel einen gelungenen Moment, in der ein sonst dunkles Zimmer immer nur kurz von aufleuchtenden Blitzen erhellt wird, und die Kamera schwenkt durch den Raum und zeigt uns dann den Killer, der in einer Ecke lauert.
Darüber hinaus entwickelt der krude gestaltete Streifen mit der Zeit eine gewisse Effektivität: Im letzten Drittel zieht das Tempo ordentlich an, und D’Amato treibt die Sache handwerklich durchaus gekonnt auf seinen Höhepunkt hin. Weil man beständig wüste Blutorgien erwartet und der Film mit einigen geschickt gesetzten Schocks punktet, wird man letztlich doch ordentlich in die Sache hineingezogen. Daß sich das Monster im klassischen Horrorstil als eigentlich tragische Figur entpuppt, gibt dem sonst so nihilistischen Flair des MAN-EATERs dann doch eine gewisse traditionelle Note – und der Schluß funktioniert damit gleichermaßen als bizarre Konsequenz dieser Tragik wie auch als schwarzhumoriger Kommentar zum Italo-Horror, der sich zur Entstehungszeit des Films mit immer drastischeren Effekten quasi selber ausweidete. Und da sind wir ja wieder bei einem Thema, mit dem sich Joe D’Amato ausgiebig auskannte …
Man-Eater (Der Menschenfresser) (Italien 1980)
Originaltitel: Anthropophagus
Alternativtitel: Antropophagus / Anthropophagous / The Grim Reaper
Regie: „Joe D’Amato“ (= Aristide Massaccesi)
Buch: Aristide Massaccesi, „Louis Montefiori“ (= Luigi Montefiori)
Kamera: Enrico Biribicchi
Musik: Marcello Giombini
Darsteller: Tisa Farrow, Saverio Vallone, „Vanessa Steiger“ (= Serena Grandi), „Margaret Donnelly“ (= Margaret Mazzantini), Mark Bodin, Bob Larson, Rubina Rey, „George Eastman“ (= Luigi Montefiori), Zora Kerova
Die Screenshots stammen von der englischen Blu-Ray (C) 88 Films.