DER NEW YORK RIPPER gilt als vielleicht härtester Film in der Filmographie eines Regisseurs, der mit Blut und Grausamkeiten selten gespart hat: Nachdem Lucio Fulci mit seinem Zombieterror ZOMBIE Erfolg fand und in der Todes-Trilogie EIN ZOMBIE HING AM GLOCKENSEIL, DIE GEISTERSTADT DER ZOMBIES und DAS HAUS AN DER FRIEDHOFSMAUER seine expliziten Verwesungsphantasien mit beinahe poetisch-surrealen Handlungen verknüpfte, verlagerte der Italiener seinen Fokus für LO SQUARTATORE DI NEW YORK (so der RIPPER-Originaltitel) in die reale Welt. Hier zieht ein Frauenmörder umher, der seine Opfer bestialisch zurichtet – und in altbewährter Fulci-Manier sehen wir dabei stets länger zu, als wir eigentlich wollen. Entsprechend intensiv war auch stets der Kampf mit der Zensur: In Deutschland wurde der Film beschlagnahmt, in England mitsamt Polizeieskorte (!) aus dem Land geschafft, und in vielen anderen Ländern waren nur gekürzte Fassungen zu sehen. Selbst die britische DVD- und BluRay-Auflage aus dem Jahr 2011 – also immerhin 29 Jahre nach Erscheinen des Films! – bleibt zensiert.
Aufgezogen ist DER NEW YORK RIPPER zunächst mal wie ein üblicher Thriller: Der Serienkiller geht seinem brutalen Treiben nach, aber über seine Identität läßt uns der Film bis zum Schluß im Dunkeln. Die Polizei ermittelt und geht diversen Spuren nach, bleibt aber über die meiste Zeit ebenso hilflos wie die diversen Opfer des Killers, der mit bizarrer entenähnlicher Stimme quakt und seine Spielchen mit dem Inspektor treibt – der sich wiederum mit einem Psychologen zusammentut, um vielleicht über ein Täterprofil mehr Informationen über den wahnsinnigen Mörder erhalten zu können. Und wie es in so einem Krimirätsel üblich ist, ist auch für uns Zuseher eine ganze Palette an Figuren verdächtig, und die Geschichte wirft immer wieder Hinweise und fälsche Fährten ein, um uns ebenso wie die Polizei im Dunkeln tappen zu lassen.
Ein wenig begibt sich Fulci mit dem RIPPER also auf Giallo-Pfade: Das mit der Lösung des Rätsels verknüpfte Bild- oder Tonelement (gerne mal ein Gemälde oder eine Tonaufnahme, hier das Entengeschnatter des Täters) ist ebenso ein wiederkehrendes Motiv dieses populären italienischen Genres wie auch die Auflösung, die die Morde psychologisch begründet. Ganz zu schweigen von der Verquickung von Sex und Gewalt – und gerade bei letzterem ist Fulci natürlich mit Eifer dabei. Über weite Strecken fühlen sich die diversen Schnitte und Stiche an den Opfern gar nicht so extrem an, wie es vielleicht noch 1982 der Fall war – vor allem im Vergleich zu anderen Blutbädern des Regisseurs – aber intensiv und lang ausgekostet bleibt der Terror hier nichtsdestotrotz. Und just, wenn man denkt, daß Fulcis grausamste Tage hinter ihm liegen, konfrontiert er einen mit liebevollen Nahaufnahmen, in denen eine Rasierklinge eine Brustwarze durchtrennt und einen Augapfel zerschneidet.
Es sind harte Gewaltspitzen, die auch mehrere Jahrzehnte später noch durchaus an die Nieren gehen können – aber die eigentlich beklemmende Eigenschaft des Films ist primär der Nihilismus, mit dem Fulci diese Welt darstellt und der ihm hier oft schwere Vorwürfe der Frauenfeindlichkeit einbrachte: Die weiblichen Figuren des Films sind allesamt hilflose Opfer, die für ihre Sexualität bestraft werden. Eine Heldin gibt es nicht – nur eine Frau, die sich hauptsächlich dadurch auszeichnet, keine Prostituierte zu sein (wie zwei andere Opfer) und nicht durch sexuelle Ausschweifungen „verbotene“ Reize auszukosten (wie eine weitere Frau, die umgebracht wird). Entkräften kann man den Vorwurf gegenüber Fulci aber relativ einfach: Das Männerbild ist nämlich kaum positiver. Die männlichen Protagonisten des Films sind Jäger, eiskalte Zyniker (wie der Psychologe, der offenkundig Spaß an der Suche nach dem Killer hat und ungerührt vorschlägt, einfach bis zum nächsten Opfer zu warten), brutale Täter (und das schließt nicht nur den Serienmörder mit ein) und aggressive Proleten (wie zwei Kerle in einer Bar, die auf derbe Weise eine Besucherin belästigen).
Passend zur zynischen Figurenzeichnung ist auch die Welt, die diese Menschen bevölkern: Im NEW YORK RIPPER ist New York ein dreckiger Moloch, der nur aus Pornokinos, Obdachlosen, zwielichtigen Ecken und permanent in der Luft hängendem Gewaltpotential zu bestehen scheint. Menschliche Nähe ist hier fast nur käuflich zu erwerben oder aber in düsteren, verbotenen Regionen angesiedelt – wie bei der obengenannten Frau, die Live-Sexshows besucht und Sado-Maso-Spiele mit Fremden sucht, nur um sie auf Band aufzuzeichnen und diese Aufnahmen dann ihrem Ehemann zukommen zu lassen. Selbst der ermittelnde Inspektor vertreibt sich die Zeit mit einer Prostituierten.
So paßt DER NEW YORK RIPPER in eine Reihe von Filmen, in denen New York als hoffnungsloses Loch gezeichnet wird und die übliche Gut-Böse-Verteilung immer arbiträrer wird. Inspiriert von den urbanen Gewaltszenarien eines FRENCH CONNECTION oder EIN MANN SIEHT ROT, womöglich aber auch durch den realen Horror rund um den Serienmörder Son of Sam, der 1976 bis 1977 in New York wütete, tauchten Anfang der Achtziger plötzlich eine Menge Filme auf, die dieser düsteren Seite des Großstadtlebens Ausdruck verliehen – sei es William Friedkins Sündenpfuhl CRUISING, James Glickenhaus‘ Selbstjustiz-Reißer DER EXTERMINATOR, William Lustigs Amoklauf MANIAC oder eben Fulcis Welt aus Jägern, Tätern und Opfern. Hier liegt auch die Stärke eines Films wie DER NEW YORK RIPPER: Er schaut nicht weg. Er zeigt eine – freilich überzeichnete – Welt, die anderswo unter den Teppich gekehrt wird, und reagiert auf die Schrecken der Welt mit ebenso drastischen Bildern.
Natürlich ist DER NEW YORK RIPPER primär ein kleiner Exploitation-Reißer, der mit Sex und Gewalt Adrenalin-Kicks generieren will. Und natürlich ist die psychologische Auflösung des Ganzen ebenso abstrus wie die Geschichte selbst, die sich – ganz Fulci-typisch – weniger um Logik und wasserdichte Stringenz bemüht als um ein alptraumhaftes Gefühl der Bedrohung und der Hilflosigkeit. Aber genau damit kann der Regisseur dem Zuseher wieder immens unter die Haut gehen: In einzelnen Sequenzen kostet Fulci das Gefühl des Terrors einmal mehr mit höchstem Geschick aus – beispielsweise eine Szene, in der eine Frau vor dem Killer in ein leeres Kino flüchtet – und verknüpft diese Einzelmomente zu einem düsteren Bild, in dem nicht mal die Auflösung wirklichen Trost spendet: Da bleiben Klagerufe ohne Antwort, und der Verkehrslärm der Stadt übertönt alles, was es vielleicht noch zu sagen gäbe.
Der New York Ripper (Italien 1982)
Originaltitel: Lo Squartatore di New York
Alternativtitel: The New York Ripper / The Ripper / Manhattan Ripper
Regie: Lucio Fulci
Drehbuch: Gianfranco Clerici, Lucio Fulci, Vincenzo Mannino, Dardano Sacchetti
Musik: Francesco De Masi
Produktion: Fabrizio De Angelis
Darsteller: Jack Hedley, „Almanta Keller“ (= Almanta Suska), Howard Ross, „Andrew Painter“ (= Andrea Occhipinti), Alexandra Delli Colli, Paolo Malco, Cinzia de Ponti, Daniela Doria, Zora Kerova