Musik

[Musik] David Hasselhoff: Looking for Freedom (1989)

Liebe Kinder, ich darf euch nun eine schreckliche Wahrheit über eine längst vergangene Zeit kundtun – und ihr werdet mir sicherlich nicht glauben. Rücken wir einfach raus damit: 1989 war David Hasselhoff richtig cool. Jaja, schon gut, so richtig cool war er natürlich nie – aber weil wir aus Gründen, die heute zu erläutern den Rahmen eines einzelnen Blogeintrags sprengen würden, seine Serie KNIGHT RIDER richtig dufte fanden und David rein prinzipiell ein richtig sympathischer Kerl zu sein schien, hievten wir – sprich: der deutschsprachige Raum – ihn auch gleich mit seinen diversen Singles und Alben in die Charts. Oh ja, 1989 hatte David als Sänger gleich mehrere veritable Hits, denen auf sämtlichen Radiowellen kaum zu entkommen war, und nebenher zierte er zigfach das Cover der Bravo. Mit seinem dritten Album LOOKING FOR FREEDOM gelangte David denn auch flugs in die oberen Ränge der deutschen Charts.

Anfangen tut dieses sozusagen legendäre Album auch gleich mit einem von Davids größten Hits: „Is Everybody Happy“. Yeah, yeah, we’re gonna have some fun. Schon damals beschlich einen dieses zarte Gefühl von hinten, der Song könnte womöglich gar nicht so richtig gut sein – aber hey, angesichts der noch bevorstehenden Titel glänzt diese Single sozusagen lichterloh! Abgesehen von dem nervig-debilen Yeah-yeah-Backgroundgesang ist der Song ein relativ schmerzfreies Plastik-Pop-Entertainment-Unterfangen – ein Song von der Sorte, wie ihn Andrew W.K. (erinnert sich noch jemand?) 12 Jahre später mit viel Gitarrenbrettern und einem auf die Nase gekloppten Ziegelstein zur Partyhymne ummodeln würde.

Mit einem Air-Supply-Cover geht die Reise aber dann dezidiert ins Schlagereck. „Lonely Is the Night“, seufzt David mit halliger Stimme und butterweicher Roland-Kaiser-Produktion. Freilich kein Wunder, daß sich die Platte klanglich so widerstandslos in die klebrige Welt des Schlagers einpaßt: Im Kontrollraum des Studios saß Produzent Jack White – leider nicht der von den White Stripes (der wäre damals 13 gewesen), sondern der Bursche, der bürgerlich Horst Nußbaum heißt und sonst mit (räusper) Künstlern wie Roberto Blanco, Tony Marshall und, jawollja, Roland Kaiser zusammenarbeitet. Man kann sich den guten Horst bildlich vorstellen, wie er hinter den Reglern wippt und Herrn Hasselhoff auf den Rücken klopft: „So’n Sound geht immer, David!“

So richtig schwungvoll wird das Album aber erst ab Track 3, einer stampfenden Völkerverständigungsnummer mit Alleinunterhalter-Beat: „Je T’Aime Means I Love You“ heißt das gute Stück, auf dem sich David als gescheiterter Kosmopolit und internationales Reimemonster gebart. „Stay with me – mon cherie / Maybe then / You’ll say Je t’aime / Stay with me – please say oui / To a rendez-vous / Je t’aime – means I love you“, singt er da ganz ungeniert. Auch hinten auf dem Album wird transkulturell gearbeitet: „After Manana Mi Ciello“, heißt da der vorletzte Track, und das bedeutet auf Deutsch in etwa „Nachdem ich mein Cello gegessen hatte“.

Was gibt’s sonst zu hören? Nun, Songwriterin Diane Warren schaut vorbei und liefert eine ihre standardisierten Balladen ab: „Sheltered Heart“, und es gibt rein gar nichts über den Track zu berichten. Herzergreifend wird es aber sogleich mit der spanisch angehauchten Nummer „Torero – te quiero“, bei der sich David mit der Liebesgeschichte zwischen einem jungen Mädchen und einem Matador, der leider beim Kampf gegen den Stier nur Zweitplazierter wird, selber zu Tränen zu rühren scheint. Ebenso schön: Der Country-Schmachtfetzen „Yesterday’s Love“, bei dem unser ab sofort einsamer Mitarbeiter der Foundation für Recht und Verfassung nachts die Kopfkissen vollheult.

Vergessen wir aber mal nicht den Titelsong – immerhin ein Nummer-Eins-Hit in Deutschland, Österreich und der Schweiz! „Looking for Freedom“ belegte satte acht Wochen lang die Spitzenposition der deutschen Charts und verkaufte sich mitunter pro Tag an die 70.000 Mal. Und auch wenn es im Text eigentlich um einen jungen Mann geht, der sein reiches Elternhaus verläßt und sich als Gelegenheitsarbeiter durchschlagen will, sicherte das Wort „Freedom“ im Titel einen Auftritt an der eben niedergerissenen Berliner Mauer – aber gut, bei dem schlichten Schlagergehämmer brechen eben nicht nur Marmor, Stein und Eisen, sondern auch die demokratiefeindliche Trennvorrichtung zwischen West- und Ostdeutschland.

Weiter hinten geht’s dann erst recht ins entzückende Land des ZDF-Vorabendprogramms: Ob mit dem höflichen Traumschiff-Getänzel „Lady“ oder den immer seichter werdenden Gewässern in „Song of the Night“ oder „Avignon“ – man fühlt sich permanent ins selige Hitparadenfernsehen verdammt, wo ein anspruchsvolles Publikum mit dreistelligem Altersdurchschnitt im Takt mitklatscht, Nebel über die Bühne huscht (früher Trockeneis, heute Carmen), der Mann auf der Bühne mit Gebrauchtwagenverkäufergrinsen die pure Glückseligkeit verbreitet und jeden Moment eine weitere übereifrige Ansage von Dieter Thomas Heck durch die Boxen zu schallen droht.

Ja, liebe Kinder, so cool war Hasselhoff mal. Also, warum zur Hölle ruft Rick Rubin nicht endlich bei ihm an und nimmt ein großes Alterswerk mit ihm auf?



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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

    5 Comments

    1. Der dürfte sogar Rick Rubin eine Nummer zu groß sein. Mit Schaudern packt mich die Erkenntnis, dass nur Dieter Bohlen ihm gewachsen sein dürfte. Hoffentlich sagt das jetzt niemand weiter.

    2. Mein Bruder streitet seit mittlerweile zwanzig Jahren ab, mal alle Hasselhoff-Alben als CD besessen zu haben (aber wir lassen ihn nicht vom Haken!) *g.

      Dieter Bohlen? Da würde zusammenwachsen, was zusammengehört, aber ganz schlimme Folgen hätte, wenn es gekreuzt würde. Etwa so wie bei den Backpacks von den Ghostbusters.

    3. Hahaha….wie wahr, wie wahr. Ich hatte auch mal ne Hasselhoff Platte. Habe sie mir vom Herzen gerissen und ganz großzügig verschenkt. An wen wohl…?! Wie hieß die Platte doch gleich???

    4. @FYRC: Du bist ein mutiger Mann, daß du dir solche Szenarien ausmalst.

      @Michael: Stimmt, derartige Katastropheneffekte habe ich mir hinsichtlich dieser Paarung mittlerweile auch schon ausgemalt – vielleicht passiert ja auch das, was Doc Brown in Aussicht stellt, wenn der junge Marty McFly auf den alten Marty McFly trifft ("Möglichweise beschränkt sich die Zerstörung auf unseren Teil des Universums") …

      @Jockl: Die Platte heißt NIGHT ROCKER und, räusper, steht in meinem Regal direkt neben dem ersten Soloalbum von Debbie Harry. Vielleicht wird auch dieses werte Stück Musik von The Hoff einmal auf dem Dachboden gewürdigt.

    5. „After manana mi cielo“ bedeutet „Nach morgen, mein Schatz“, sicher nicht so ein Quatsch, wie du oben schreibst.

      Ich höre die Alben von Hasselhoff heute noch gern übrigens.

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