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[Film] Die Sünderin (1951)

Es war 1951 der perfekte Skandal, der wochenlang durch die Medien geisterte und große Protestwellen auslöste – und auch wenn man das heute gerne dem blanken Busen von Hildegard Knef in die Schuhe schiebt, der hier für einen ganz kurzen Moment zu sehen ist, so griff die Empörung über DIE SÜNDERIN doch wesentlich tiefer: Es ist weniger diese kleine Szene, die die Kirchenvertreter damals dazu brachte, aus dem Gremium der FSK auszutreten, weil diese den Film mit einer Altersfreigabe versah. Es ist die Geschichte selbst, die von Prostitution über Suizid bis hin zur Sterbehilfe eine ganze Reihe heikler Themen aufgriff – und das in einer Weise, die ganz entgegen des Titels die Geschehnisse nie verdammt.

DIE SÜNDERIN dreht sich um die junge Frau Marina, die sich mehr oder weniger als Edelprostituierte durchs Leben schlägt: Sie läßt sich von reichen Männern für Gesellschaft und anderes Vergnügen bezahlen und genießt dafür das angenehme Leben ohne sonstige Verpflichtungen. Schon mit 14 wurde sie vom zwei Jahre älteren Stiefbruder verführt, zwei Jahre später vom Stiefvater vor die Tür gesetzt – und die Mutter verbrachte die ganzen Jahre ohnehin damit, die Gesellschaft vermögender Herren zu suchen, was ihr Mann stillschweigend billigte. Dann nimmt Marina aber aus Mitleid einen Alkoholiker bei sich auf, den Maler Alexander, und zwischen den beiden keimt eine Liebe auf, die nicht wie ein kaltes Geschäft funktioniert. Eine Zeitlang sind die beiden glücklich, aber dann droht Alexander wegen eines Tumors zu erblinden – und Marina muß sich wieder verkaufen, um eine Operation zahlen zu können …

Es ist eigentlich ein schicksalhaftes Melodram mit ein paar Sturm-und-Drang-Motiven, das hier aufgefahren wird – was vielleicht erklärt, warum der Film auch jenseits des (höchst kassenträchtigen) Skandals nur wenig Wohlwollen bei den Kritikern fand. Die westfälischen Nachrichten beispielsweise stuften den Film damals als „künstlerisch belanglos“ ein; auch das Lexikon des internationalen Films moniert: „Der erste Nachkriegsfilm Willi Forsts, ein Stück zeitbezogener Kintoppkolportage, streift mit seinem ästhetischen Getue unfreiwillig die Grenzen der Parodie“ (wobei man im Hinterkopf behalten darf, daß besagtes Lexikon von der Katholischen Filmkommission herausgegeben wird). Auch heute wird DIE SÜNDERIN gerne noch als Film eingestuft, der eher wegen der damals entstandenen Aufregung als für bemerkenswerte Qualitäten in die deutsche Filmgeschichte eingegangen ist.

Tatsächlich kann der Film aber schon rein technisch und strukturell mit einer ungewöhnlichen und im damaligen Filmschaffen sehr progressiv angelegten Erzählweise verblüffen: Die Geschichte wird nicht chronologisch erzählt, sondern als mehrfach verschachtelte Rückblende. Es beginnt mit Marina und Alexander, die ein Glas Wein trinken, und dann berichtet sie aus dem Off, daß sie ihn jetzt umgebracht hätte. Die Story springt nun mehrfach zurück, es gibt auch in der Rückblende wieder Sprünge nach hinten und vorne, und mitunter wird wieder an eine schon gezeigte Szene angeknüpft, die nun in ein etwas anderes Licht gerückt ist. Hinzu kommt, daß fast 95% des Textes als Voice-Over gesprochen wird: Nur gelegentlich sprechen die Figuren auch tatsächlich in den gezeigten Szenen, meistens funktionieren die Sequenzen eher als Bebilderung der Off-Erzählung von Marina. Regisseur Willi Forst und seine beiden Autoren Georg Marischka und Gerhard Menzel sind dabei geschickt genug, daß das keinen ermüdenden Doppelungseffekt bewirkt, sondern eher eine nüchterne Distanz schafft, die perfekt zur Hauptfigur paßt – und nebenher wirkt der Film durch die ständige Erzählung fast literarisch.

Auch anderswo spielt Forst mit der Technik und der Erzählweise. Manche Einstellungen sind von einer Art Bilderrahmen umgeben; an einer anderen Stelle wird eine Zeichnung, die Alexander von seinem Arzt angefertigt hat, über die betreffende Person gelegt, so daß wir diesen vermeintlichen „Todesengel“ (wie der Maler ihn nennt) lange Zeit nicht mit seinem richtigen Kopf sehen, sondern nur als gezeichnetes Gesicht auf einem tatsächlichen Körper. Auch bei gewöhnlicheren Szenen zeigt Forst ein souveränes Händchen für pointierte Inszenierung: In einem Moment sitzt die Knef an einer Bar und ist von deutschen Soldaten umringt, dann blendet das Bild in eine fast identische Einstellung über, wo sie nun von amerikanischen Soldaten umworben wird, und im Voice-Over sagt sie dazu: „Die Uniformen änderten sich, die Sprache änderte sich, aber sonst blieb alles gleich“.

Was DIE SÜNDERIN aber neben der bemerkenswerten Erzählweise lohnenswert macht – und sicherlich zum Skandal beigetragen hat – ist die Tatsache, daß hier nicht über die Hauptfigur geurteilt wird. Der Film zeigt uns ihr Handeln, von dem vieles verständlich gemacht wird – aber er distanziert sich nicht von Marina und er kommentiert ihr Tun nicht. Letzten Endes darf man sich fragen, inwieweit diese Frau tatsächlich eine Sünderin ist – ist sie es durch die Prostitution, die für sie ja aber zunächst Rettungsanker war, nachdem sie von Zuhause verbannt wurde, und die ihr später die finanziellen Mittel für die Operation von Alexander gibt? Ist sie es dadurch, daß sie mit Alexander in „wilder Ehe“ lebt? Ist sie es dadurch, daß sie ihm letztlich den Wunsch nach dem Tod erfüllt und sich selber ebenfalls vergiftet? Der Film überläßt die Antworten dem Zuseher und konzentriert sich einfach nur darauf, eine durchaus komplexe Frauenfigur zu zeichnen und ihr Handeln nachvollziehbar zu machen – und das auf überraschend bewegende Art und Weise. Wobei es vielleicht genau diese Empathie war, die seinerzeit den Sturm der Entrüstung hervorrief: Verständnis wird eben gerne mit Befürwortung verwechselt.



Die Sünderin (Deutschland 1951)
Regie: Willi Forst
Buch: Willi Forst, Georg Marischka, Gerhard Menzel
Musik: Theo Mackeben
Kamera: Václav Vích
Produktion: Rolf Meyer
Darsteller: Hildegard Knef, Gustav Fröhlich, Änne Bruck, Wera Frydtberg, Robert Meyn, Andreas Wolf

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

    1 Comment

    1. Ui, das klingt ja interessant!

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