Eigentlich haben diese beiden Menschen nichts gemeinsam: Der alternde Schauspieler (Morgan Freeman), der nach vier Jahren Pause über ein neues Projekt nachdenkt und zu Recherchezwecken in einem Supermarkt im Latino-Viertel von Los Angeles die Leute beobachtet, und die junge Kassiererin (Paz Vega), die an der Schnellabfertigungskasse arbeitet und sich fragt, ob das Leben nicht vielleicht mehr zu bieten hat. 10 ITEMS OR LESS führt diese beiden Figuren zusammen und läßt sie einen gemeinsamen Tag verbringen, an dem sie sich unerwarteterweise gegenseitig ein wenig Lebenshilfe geben können.
Es ist ein bewußt kleiner Film, der auch ganz absichtlich keine großkalibrigen Probleme auffährt und kaum Plot entwickelt: Es geht rein um die Begegnung dieser zwei Leute, und wie sie in ihren Gesprächen jeweils etwas beim Anderen auslösen. Von daher ist auch die Prämisse, unter der die Beiden Zeit miteinander verbringen, recht simpel aufgezogen: Er wird vom Produktionsassistenten beim Supermarkt abgesetzt, aber nicht wieder abgeholt, und weil er sich an seine eigene Telefonnummer nicht erinnern kann (die wurde nämlich letzte Woche aus Gründen der Privatsphäre geändert), bittet er sie um eine Fahrgelegenheit – und dabei kommt er drauf, daß sie später am Tag noch ein Vorstellungsgespräch für einen Sekretärinnenposten hat, für den er sie – quasi als Schauspielcoach – vorbereiten will.
Beim ersten Ansehen vor einigen Jahren paßte mir rein gar nichts an 10 ITEMS OR LESS: Ich fand damals, daß die Situation zu konstruiert ist, die Figuren zu gewollt verschroben gezeichnet sind und die Inszenierung einfach zu dünn bleibt. Beim erneuten Ansehen aber bleibt fast gar nichts von diesen Vorwürfen übrig: Natürlich mag die Ausgangssituation eher dem Skript als dem tatsächlichen Leben geschuldet zu sein, aber sie dient ja auch nur als leichtfüßiger Aufhänger für ein charmantes Porträt zweier Menschen, die in einer kurzen Begegnung jeweils Einblick in ein anderes Leben erhalten. Und was ich damals offenbar als „dünn“ empfand, ist in Wahrheit einfach nur eine sehr unaufgeregte Erzählweise, die sehr gezielt großes Drama und lebensverändernde Erkenntnisse vermeidet: 10 ITEMS OR LESS ist ein „slice of life“, eine fein beobachtete Miniatur über die Dinge, die uns wichtig sind und die wir aber manchmal vergessen – oder uns nicht zugestehen.
So eine – das Wort scheint fast zu schwer für diesen Film: – Charakterstudie steht und fällt natürlich mit den Schauspielern, und beide Hauptdarsteller sind hier mit Spielfreude voll bei der Sache: Morgan Freeman hat sichtliches Vergnügen an dem etwas eingebildeten, aber durchaus sympathischen Hollywoodstar, der für das echte Leben ungeeignet zu sein scheint und die Welt beobachtet und analysiert, als wäre sie nur Vorlage für etwas, das er später spielen kann. Paz Vega überzeugt gleichermaßen als temperamentvolle Frau, die nach außen hin mit starkem Selbstbewußtsein auftritt, sich innerlich aber dank aller bisherigen Enttäuschungen kaum zutraut, vom Leben noch etwas Positives zu erwarten.
Und so mag die Geschichte leicht und skizzenhaft erzählt sein, aber dennoch zeichnet Autor und Regisseur Brad Silberling – ausgerechnet jemand, der sonst mit großer Hollywood-Maschine im Rücken Filme wie CASPER oder STADT DER ENGEL dreht! – zusammen mit seinen beiden Darstellern ein sensibles und stimmiges Porträt zweier Menschen, die sich gegenseitig auf ganz kleine Weise den Weg nach vorn zeigen: der Hollywoodstar (der namenlos bleibt und Freeman selbst sein könnte), der auf alle Menschen zugeht und sich offen gibt, aber in Wirklichkeit keine richtigen Freunde hat und durch den Businessteil des Geschäfts seine Hingabe verloren hat, und die 25-jährige Kassiererin, die bei der Frage, welche Dinge ihr im Leben am wichtigsten sind – 10 Items or less! – nur sieben nennen kann.
Daß der Film ein Leichtgewicht ist, zeigt sich schon daran, daß er es mit knapp 10-minütigem Abspann auf gerade mal 77 Minuten Lauflänge bringt – und zwischendurch immer wieder lange Montagen die Zeit überbrücken, zum Beispiel in einer Sequenz an einer Waschstraße, wo Freeman spaßeshalber mit der Belegschaft an verschiedenen Autos arbeitet, während sich Vega im Bad umzieht und für ihr Vorstellungsgespräch herrichtet. Aber eigentlich ist es sympathisch, wie fröhlich lächelnd der Film gegen übliche Skript- und Inszenierungskonventionen gebürstet ist – es muß eben nicht immer etwas Hochdramatisches passieren, und es muß nicht immer um Leben und Tod gehen. Wer vollgepacktere Kost haben will, darf sich eben nicht an der Schlange anstellen, wo man maximal 10 Gegenstände zahlen kann.
10 Items or Less – Du bist wen du triffst (USA 2006)
Originaltitel: 10 Items or Less
Regie: Brad Silberling
Buch: Brad Silberling
Kamera: Phedon Papamichael
Darsteller: Morgan Freeman, Paz Vega, Jonah Hill, Anne Dudek, Kumar Pallana, Danny DeVito, Rhea Perlman
Länge: 77 Minuten
FSK: ohne Altersbeschränkung
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