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[Film] Animal Crackers (1930)

Es gibt wenig Dinge im Leben, die lustiger sind als die Marx Brothers. Es ist sensationell, wie frisch und modern der Humor der Brüder auch heute immer noch anmutet – einerseits kann man sehen, wie und wo die Truppe spätere Komikergenerationen beeinflußt hat, aber andererseits zieht ein anarchischer Witz mit unglaublichem Tempo und fantastischem Einfallsreichtum durch ihre Filme, der mitunter Streifen, die fünfzig Jahre später entstanden sind, alt aussehen läßt. Die Marx Brothers haben ihren Ursprung im Vaudeville-Theater, weshalb auch vor allem ihre frühen Filme teilweise wie abgefilmte Bühnenstücke aussehen, und weshalb sie auch stets in ihrer comic persona auftreten, bei der sich nur der Name der gespielten Figur ändert: Groucho läßt als aufgeblasener Schelm einen Wasserfall aus Wortwitzen und verschrobenen Beleidigungen auf sein Umfeld herabprasseln, Chico treibt als schlicht gestricktes italienisches Schlitzohr Mitmenschen in den Wahnsinn, und Harpo läuft als stummer Clown durch die Sets, der sich nur mit Gestik, Mimik und Geräuschen (wie einem Pfiff oder einer Hupe) verständigt und wie ein überdrehtes Kind alles zerlegt und jeden ärgert, wie es ihm gerade in den Sinn kommt.

Nach einer erfolgreichen Karriere im Theater und am Broadway begannen die Brüder, ihre Show in die Filmwelt zu tragen – zunächst mit der Verfilmung ihres Stücks THE COCOANUTS, dann mit der Filmversion ihres Hits ANIMAL CRACKERS. Mit dabei – wie in allen fünf Filmen, die sie für Paramount gedreht haben – auch ihr jüngster Bruder Zeppo, der stets die undankbare „straighte“ Rolle spielen mußte und deswegen teilweise schon auf der Bühne wenig zur Geltung kam; auch in ANIMAL CRACKERS ist Zeppo nur am Rande zu sehen. (Auf der Bühne sprang Zeppo mitunter für Groucho ein und war Berichten zufolge mindestens so komisch in der Groucho-Rolle wie Groucho selbst.)

Worum geht es in ANIMAL CRACKERS? Ganz einfach: Die Brüder sind zu Gast im Haus der reichen Society-Dame Mrs. Rittenhouse, die zu Ehren des soeben aus Afrika zurückgekehrten Abenteurers Geoffrey T. Spalding (Groucho) einen Empfang gibt. Bei dem Ereignis soll auch ein wertvolles Gemälde enthüllt werden, das aber zweifach entwendet wird – beziehungsweise gegen eine Fälschung ausgetauscht wird: einmal von zwei anwesenden Gästen, und dann noch von der Tochter von Mrs. Rittenhouse, die die Malkünste ihres Freundes John Parker zur Schau stellen will. Dafür heuert die Tochter den geladenen Musiker, Signor Emanuel Ravelli (Chico), und dessen Freund, den Professor (Harpo), an – und natürlich endet alles in einem heillosen Chaos, da irgendwann drei verschiedene Versionen des Gemäldes umherschwirren.

Klingt nicht ganz so aufregend? Macht nichts, stellen wir die Frage einfach nochmal: Worum geht es in ANIMAL CRACKERS? Ganz einfach: Es geht um die Marx Brothers, die in einer Unmenge an größeren und kleineren Sketchen ihren Unfug treiben und nebenher die feine Gesellschaft ein ums andere Mal vor den Kopf stoßen. Die Rahmenhandlung ist nur ein loser Faden, der die Komik zusammenhält – und auch wenn dem Plot hier ein Hauch mehr Zeit gewidmet wird als in den anderen Paramount-Streifen der Truppe, ist keiner der Beteiligten hier je der Überzeugung, daß dieses Gerüst wichtig oder spannend sei: Mit jedem Auftreten der Brüder wird die Story einfach beiseite geschoben. Einzige Ausnahme: Ein romantischer Nebenplot, der sich um die Tochter von Mrs. Rittenhouse (Lillian Roth) und ihren Freund (Hal Thompson) dreht – da muß man durch eine Gesangsnummer durch, die sich in ihrer aufgesetzten Sentimentalität schwer angestaubt anfühlt und hier eigentlich gar nichts verloren hat. Interessanterweise wird an den späteren Filmen der Marx Brothers (nachdem sie zu MGM gewechselt waren) oft kritisiert, daß den Nebenplots zuviel Zeit eingeräumt wird und daß die Filme mit unnötigen Liebesgeschichten verwässert wurden – aber ANIMAL CRACKERS zeigt, daß dieses Element auch schon in der Welt der Marx Brothers vorhanden war, bevor diese von MGM für ein breiteres Publikum zurechtgeschneidert wurde.

Aber nochmal: Völlig egal, worum es geht und was um die Sketche herumgebastelt wurde – was zählt, sind die Auftritte der Brüder, und die sind so komisch wie eh und je. Groucho schießt einen cleveren Spruch nach dem anderen ab und stößt damit immer wieder seine Mitmenschen vor den Kopf, die dem Tempo seiner Wortgeschosse und Non-sequiturs kaum folgen können. Kostproben gefällig? Als Groucho Mrs. Rittenhouse ein Geschenk überreicht, sagt die: „Captain, this leaves me speechless“, woraufhin er sagt: „Well, see that you remain that way“. Anderswo bedenkt er sie mit folgendem Kompliment: „You’re the most beautiful woman I’ve ever seen, which doesn’t say much for you.“ In einer wundervollen Sequenz schlägt er gleich zwei Damen vor, daß sie ihn heiraten sollen: „You know, you two girls have everything. You’re tall and short and slim and stout and blonde and brunette. And that’s just the kind of a girl I crave.“

In einer meiner Lieblingssequenzen diktiert der aufgebrachte Groucho seinem Sekretär (Zeppo) einen Brief an seine Anwälte von der Firma „Hungerdunger, Hungerdunger, Hungerdunger, Hungerdunger & McCormick“. Was da an rapider Absurdität und an cleverem Wortwitz aufgefahren wird, kann fast nur bei mehrmaligem Ansehen ganz verarbeitet werden. Der arme Sekretär schreibt nur dreimal „Hungerdunger“ statt viermal, aber nachdem sich Groucho echauffiert hat („You’ve left out a Hungerdunger. You left out the main one, too!“), argumentiert er mit Vernunft („They won’t all be there when the letter arrives anyhow“). An einer Stelle diktiert Groucho ein Semikolon mit, woraufhin der Sekretär fragt: „How do you spell semicolon?“ – und Groucho lenkt ein: „Alright, make it a comma“. Dann räuspert er sich, und der Sekretär fragt: „Do you want that ‚uh‘ in the letter?“ Groucho erwidert: „No, put that in an envelope“. Es ist fast unmöglich, das Tempo wiederzugeben, in dem Groucho hier agiert, und auch der Witz selbst entfaltet sich in nacherzählter Form natürlich kaum so brillant wie in der gespielten Szene selbst.

Nicht minder wundervoll ist auch der Empfang, bei dem Groucho von seinen Abenteuern in Afrika erzählt („One morning I shot an elephant in my pajamas. How he got in my pajamas, I don’t know“). Dann setzt sich Chico ans Piano, was von Groucho mit folgendem unsterblichen Satz angekündigt wird: „Signor Ravelli’s first selection will be ‚Somewhere My Love Lies Sleeping‘ with a male chorus“. Chico darf daraufhin sein witziges Klavierspiel zelebrieren – und auch wenn seine Fingerakrobatik nicht ganz so wild wird wie in anderen Auftritten, ist es doch immer eine Freude, ihm zuzusehen. Und weil kein Wortwitz ausgelassen werden darf, trägt Harpo auf den Jubelruf „Three cheers for Captain Spaulding“ eiligst drei Stühle herein – cheers, chairs, klar?

Überhaupt kommen auch Harpo und Chico hier nie zu kurz. In einer schönen Sequenz fordert Chico von Harpo eine Taschenlampe („Where’s the flash?“), und der zieht nacheinander einen Fisch, eine Flöte, und andere falsche Gegenstände aus dem Mantel (fish, flute, flask …). Berühmt geworden ist das Kartenspiel, bei dem Chico und Harpo gegen Mrs. Rittenhouse und eine andere Frau spielen – und alleine Harpos Art, die Karten auszuteilen, ist immer wieder aufs Neue köstlich: Mit der einen Hand leckt er sich über den Daumen, mit der anderen wirft er Karten über den Tisch – beides völlig voneinander getrennt, aber mit hochernstem Gesicht. Natürlich darf Harpo auch irgendwann eine musikalische Einlage auf dem Instrument geben, das ihm seinen Namen gegeben hat, und freilich darf Chico einmal in einem absurden Wortgefecht Groucho in den Wahnsinn treiben.

Es ist schon oben angesprochen worden und verdient eine erneute Erwähnung: Die Komik der Brüder – nicht nur in diesem mittlerweile immerhin 82 Jahre alten Film – ist moderner als vieles, was danach kam. In welchem anderen Film von 1930 wendet sich der Protagonist plötzlich zur Kamera, um Nonsens-Monologe abzuliefern („Pardon me while I have a strange interlude“), während die Personen im Hintergrund einfrieren? Wo sonst entschuldigt sich der Komiker Richtung Publikum für einen lahmen Wortwitz („Not all the jokes can be good, you gotta expect that every once in a while!“)? Wo sonst erhebt sich eine Statue in einem Foyer unter Beschuß eines wildgewordenen stummen „Professors“ plötzlich von ihrem Sockel und läuft panisch davon? Und wo sonst trauen sich Autoren und Filmemacher, einen Plot so konsequent zu ignorieren, daß er ständig beiseite geschoben wird für die zelebrierte Anarchie und zum Schluß nicht einmal vollständig aufgelöst wird?

Aber mal völlig abgesehen vom Alter: ANIMAL CRACKERS ist ganz einfach eine unglaublich komische, einfallsreiche und (von einigen musikalischen Einlagen einmal abgesehen) temporeiche Komödie, deren Macher sich in Höchstform zeigen – und doch erst beim Aufwärmen waren, wie spätere Glanztaten wie HORSE FEATHERS und DUCK SOUP zeigen. Wiederholen wir doch einfach nochmal den einleitenden Satz: Es gibt wenig Dinge im Leben, die lustiger sind als die Marx Brothers.



Animal Crackers (USA 1930)
Regie: Victor Heerman
Buch: Morrie Ryskind
Kamera: George Folsey
Darsteller: Groucho Marx, Chico Marx, Harpo Marx, Zeppo Marx, Lillian Roth, Margaret Dumont, Louis Sorin, Hal Thompson, Margaret Irving, Kathryn Reece, Robert Greig, Edward Metcalf

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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