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[Filmnews von vorgestern] #1: Splatting Image Nr. 13 (März 1993)

In der neuen Rubrik „Filmnews von vorgestern“ knöpfen wir uns eine etwas merkwürdige Angelegenheit vor: Wir widmen wir uns den Neuigkeiten aus vergangenen Tagen, die aus heutiger Sicht aus diversen Gründen überholt sind. Warum? Was ist der Reiz an Neuigkeiten, die weder neu noch faktisch korrekt sind? Nun, da gibt es mehrerlei Gründe: Erstens öffnen uns diese Nachrichten den Blick in eine alternative Filmrealität – eine, wo existierende Filme von anderen Regisseuren gemacht wurden, mit anderen Darstellern, oder wo diese Projekt überhaupt im Entstehen waren, bevor sie von der Realität eingeholt wurden und aus den unterschiedlichsten Gründen zerfallen sind. Zweitens ist es aber auch interessant, wie die Neuigkeiten der Vergangenheit zeigen können, wie sich die Welt weitergedreht hat – sei es, weil Personen damals einfach einen ganz anderen Status hatten als heute, oder sei es, weil Wertigkeiten und Wichtigkeiten einfach damals ganz anders eingeschätzt wurden als sonst. Und drittens: Weil es Spaß macht, in alten Heften zu blättern und Schlagzeilen zu lesen, von denen wir jetzt wissen, daß sie teilweise komplett danebenlagen. Also: Gehen wir’s an!

Für den ersten Teil werfen wir einen Blick in die News des Magazins Splatting Image – eines sehr verdienten und hochinteressanten Heftes über den alternativen Film, das sich aber in seiner Rubrik „Splatting News“ rückblickend immer wieder als nicht allzu akkurate Vorschau entpuppt:

Tim Burtons Karriere ist bizarr zu nennen. Nach einem Disney-Kurzfilm (FRANKENWEENIE) und PEE WEE’S BIG ADVENTURE drehte er Megahits wie BATMAN, EDWARD SCISSORHANDS und BATMAN RETURNS. Jetzt arbeitet er an einer Neuverfilmung des Dr. Jekyll und Mr.Hyde-Themas aus der Sicht des Hausmädchens von Dr. Jekyll mit dem Titel MARY REILLY. Winona Ryder, das Schätzchen aus HEATHERS, BRAM STOKER’S DRACULA und EDWARD SCISSORHANDS, soll ebenjene Hausdame spielen, während ihr Mann, Johnny Depp, bekannt aus CRY BABY, in Burtons zweitem aktuellen Projekt, der Lebensgeschichte von Edward D. Wood Jr. (PLAN 9 FROM OUTER SPACE, ORGY OF THE DEAD etc.), die Hauptrolle belegen soll – natürlich, wie der berüchtigte Z-Movieregisseur selbst, in Angorapullover und mit BH. Wow!

Tja, das war wohl leider nichts: Tim Burton sollte tatsächlich die Regie für den Film MARY REILLY übernehmen, obwohl für das Projekt zunächst Roman Polanski vorgesehen war. Diese Story mit Burton und Ryder – das klingt nach einem spannenden Projekt. Leider sprang Burton dann ab, weil Columbia den Film möglichst schnell machen wollte und aber Julia Roberts für die Hauptrolle vorzog. Gedreht wurde der Film dann vom Engländer Stephen Frears, mit Roberts und John Malkovich. Das Resultat kenne ich nicht – aber sowohl Roberts wie auch Frears waren jeweils für die Goldene Himbeere nominiert …

Amüsant natürlich, daß in der Nachricht zu Johnny Depp extra ein Film genannt werden muß, damit man weiß, wer der Knabe ist. Etwas Pech hatten die Redakteure damit, Depp als Ryders Mann zu bezeichnen: Die beiden waren seit 1990 verlobt und trennten sich Mitte 1993, also kurz nach Erscheinen dieses Heftes.

Trans Atlantic Entertainment, die Produzenten des dritten Teils der HELLRAISER-Saga, wollen (natürlich) einen vierten Teil. Wäre ja eigentlich auch nicht soooo schlecht, denn das Niveau der Filme ist relativ hoch, aber wenn man die grundsätzliche Story-Outline hört, kann einem nur schlecht werden. Das Hochhaus, das am Ende des dritten Teils auf der Hellraiser-Box errichtet wurde, soll das Geschäftsgebäude einer Software-Firma für Computerspiele werden. Und Pinhead saust dann a la LAWNMOWER MAN durch die Konsolen und läßt seinen sadistischen Ideen freien Lauf. Sehr originell. Weder Clive Barker, noch Drehbuchautor Peter Atkins sind begeistert und wollen unter keinen Umständen am Projekt teilnehmen. Und entstehen wird es wohl doch…

Oh ja, entstanden ist HELLRAISER: BLOODLINE (wie der Film letztlich hieß) natürlich – wenn auch erst einige Jahre später. Der hatte allerdings nichts mit einer Softwarefirma zu tun, und Computerspiele mit Pinhead gab’s im Film auch nicht – die Story war in drei Zeitebenen angesiedelt und versetzte Pinhead somit einerseits in die Zukunft wie auch in die Vergangenheit. Ach ja: Das Drehbuch stammt von Peter Atkins …

Aus der Gerüchteküche hört man so einiges: Ridley Scott will nach 1492 wieder mit Gerard Depardieu zusammenarbeiten, und der ist ganz scharf darauf, die Rolle von Deckard aus BLADE RUNNER zu übernehmen, im Falle, daß es einen BLADE RUNNER 2 geben wird, und Harrison Ford keinen Bock drauf hat…

„Gerüchteküche“ ist hier wohl das wichtigste Wort: Diese „Nachricht“ scheint eher eine Mischung aus Wunschdenken und einem zu einer Newsmeldung hochgepushten Interviewbemerkung zu sein. Wobei die Vorstellung des dicklichen Depardieus in einem BLADE-RUNNER-Sequel schon immens bizarr anmutet. Nun, Scott hat zwar seit 1492 nicht mehr mit Depardieu gearbeitet, aber da er mittlerweile wohl tatsächlich an einem neuen BLADE-RUNNER-Film werkelt, könnten die beiden sich ja verabreden und der erstaunten Presse dann mitteilen: „Schaut, wir haben es euch ja schon vor fast 20 Jahren gesagt!“

Paul (ROBOCOP, BASIC INSTINCT) Verhoevens neuer Film wird wohl RUNE heißen, das Drehbuch stammt vom britischen Fantasy-Autor Christopher Fowler, basierend auf der gleichen M.R. James Geschichte, wie seinerzeit Jacques Tourneurs 1957er Film NIGHT OF THE DEMON.

Das fällt unter die Rubrik „sehr schade“: Das Projekt ist nämlich schlichtweg verpufft. „Casting the Runes“ heißt übrigens die Geschichte, die aus dem Jahr 1911 stammt. Und der genannte Autor Christopher Fowler veröffentlichte 1990 den Roman RUNE, der auf dieser Story beruht. Verhoevens neuer Film nach BASIC INSTINCT hieß dann übrigens SHOWGIRLS …

Die Disney-Studios haben ein Projekt laufen, das sie als „Indiana Jones der 90er Jahre“ beschreiben, HEART OF STEEL. Mal sehen…

Welches Projekt könnte das letzten Endes geworden sein? Vielleicht NATIONAL TREASURE von 2004?

Wesley Snipes, zuletzt in dem unerträglichen WHITE MEN CAN’T JUMP gesehen, spielt in THE BLACK PANTHER einen afrikanischen König, der sich in eine Art Dschungelraubkatze verwandelt, um heldenhafte Leistungen zu vollbringen.

Und was mag es damit auf sich haben? Nun ja, mit der Kombination „König“ und „Dschungelraubkatze“ gab’s ja dann 1994 von Disney einen schönen Zeichentrickfilm …

Und noch mehr Stephen King-Verfilmungen: TOMMYKNOCKERS ist als Miniserie für ABC TV unter der Regie von Lewis Teague, der schon Kings CAT’S EYE und CUJO versaubeutelt hat, abgedreht worden.

Fast: Regie bei den TOMMYKNOCKERS führte der Australier John Power.

Quentin Tarantino, der talentierte Regisseur von RESERVOIR DOGS, wird John Woos nächsten Film produzieren, yeah! HARD TARGETS mit Jean-Claude Van Damme dürfte jetzt auch mal so langsam fertig sein. Die Bilder des ersten amerikanischen Films von wohl Hongkongs bestem Actionregisseur John Woo sehen vielversprechend aus. Wir berichten dann darüber.

Was für ein feuchter Traum: Actionvirtuose John Woo (damals dank A BETTER TOMORROW, THE KILLER und HARD BOILED auf dem Höhepunkt seiner Karriere und wohl der atemberaubendste Stilist im Actionkino) macht gemeinsame Sache mit Coolness-Papst Quentin Tarantino (der hier sogar noch vor seinem Kultklassiker PULP FICTION stand und von John Woo enorm beeinflußt wurde). Was hätte da für ein Feuerwerk herauskommen können? Nun ja: Die beiden haben bislang nie zusammen gearbeitet; Woos US-Karriere fing mit HARD TARGET (nicht TARGETS) eher strauchelnd an und gelangte nur einmal – mit FACE/OFF – wieder auf das Niveau seiner besten Zeit. Und Tarantino verbeugt sich mit seinen Filmen nach wie vor vor dem Hongkong-Kino. Ein Doppelprojekt der beiden wäre auch heute noch eine aufregende Angelegenheit …

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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