Nachdem er einige Jahre lang als Musikjournalist und Co-Autor verschiedener Autobiographien gearbeitet hatte (darunter die von Mötley Crüe, Marilyn Manson und Jenna Jameson) brachte Neil Strauss 2005 sein erstes komplett eigenes Buch heraus – ein Soloalbum, sozusagen: THE GAME, die Geschichte der Pick-Up-Community, in der sich hoffnungsfrohe Aufreißer darüber austauschen, wie man besser Frauen ansprechen, kennenlernen und verführen kann. Das Buch war ein absoluter Bestseller, wobei das wirklich Spannende an der Erzählung nicht die zahllosen Tips waren, wie und wo man sich dem anderen Geschlecht nähern sollte, sondern der psychologische Hintergrund über menschliche Kommunikation und – zu einem gewissen Grad – Manipulation.
Eigentlich endete THE GAME damit, daß Neil eine Frau fürs Leben fand, die sämtliche seiner Anmachroutinen durchschaute – und daß er die Erkenntnis gewann, daß das „Game“ der stetig wachsenden Community zwar beibringt, wie man schnell Beziehungen aufbaut, aber überhaupt nichts taugt, wenn es darum geht, Beziehungen zu führen. Der Fluch des Erfolges will es aber wohl, daß sich Neil weiterhin auf dem Gebiet betätigt – weshalb zwei Jahre nach THE GAME ein Begleitbuch mit dem Titel RULES OF THE GAME erschien, in dem Strauss dem geneigten Leser Tips gibt, wie man innerhalb von 30 Tagen an ein Date kommt. „Master the art of attraction in 30 days“: Jawohl, hier fungiert Neil als Verführungsguru, der seine Geheimnisse mit den hilfesuchenden Männern der Welt teilt.
Nun hat ja erstmal jedes Selbsthilfebuch in Sachen Verführung einen eher schalen Beigeschmack, und auch hier sieht man zunächst mal vor dem geistigen Auge eine homogenisierte Armee von sprücheklopfenden Küchenpsychologen, die mit den neuesten Taktiken der Welt bewaffnet unter Aufsicht eines Sexgurus auf die Ladies dieser Welt losgelassen werden. Denn wie jedes solche Buch setzt auch RULES OF THE GAME voraus, daß alle Frauen in allen Kulturkreisen gleich ticken – und die „Erkenntnisse“, mit denen die Ansprechmanöver unterstützt werden, mögen hier und da schon eine vernünftige Basis haben, warten aber ebenso gerne mit althergebrachter Pseudowissenschaftlichkeit auf (wenn zum Beispiel einmal wieder die Evolutionstheorie bemüht wird, um zu erläutern, warum Frauen sich angeblich immer Männer mit gewissem Status suchen). Daß das „Game“ weniger Forschungslabor als einfach Kundendienst ist, zeigt sich daran, daß in dem abgeschlossenen System immer das indoktriniert wird, was der Käufer eines solchen Buches wohl hören möchte: Wirklich jeder Mann kann zum Verführer werden, egal, ob gutaussehend oder nicht! Wirklich jede Frau reagiert auf die im Buch dargelegten Prinzipien, egal, woher sie kommt und wie gebildet oder dumm sie ist! Es ist fast witzig, daß im gesamten Buch nur in einem einzigen Nebensatz eingeräumt wird, daß eine Frau, wenn sie nicht auf die Konversationsversuche eingeht, in seltenen Fällen auch einfach schon einen Freund haben kann.
Gar so schlimm, wie es oberflächlich den Anschein hat, ist das „Game“ aber dann doch nicht – die Ideen dahinter drehen sich nämlich eigentlich gar nicht mal so sehr darum, Frauen anzuziehen, sondern ganz generell das eigene Selbstbewußtsein zu stärken, sein Auftreten zu verbessern und geschicktere Konversationsfähigkeiten zu entwickeln. Will heißen: Die im Buch besprochenen Prinzipien können generell im Leben helfen – im Alltag, im Beruf, egal. Dementsprechend ist es schön zu sehen, daß die Übungen, die hier über einen Zeitraum von 30 Tagen empfohlen werden (das müssen übrigens nicht zwingend direkt aufeinanderfolgende Tage sein), eigentlich dem dienen, daß der Ausführende selbstsicherer und sozial umgänglicher wird. Auch wenn das Hauptaugenmerk immer darauf liegt, Frauen anzusprechen und letztendlich eine Verabredung zu erhalten, arbeiten die gestellten Aufgaben tatsächlich darauf hin, daß man ein Abendessen mit einer bunt gemischten Freundesgruppe organisiert – was auch beim Mißerfolg beim anderen Geschlecht zu einem lustigen, gesprächsreichen Abend führen dürfte. Auch das paßt zum „Game“, bei dem es – zumindest im Falle dieses Buches – gar nicht darum geht, die Frauen ins Bett zu kriegen, sondern einfach nur, eine Verbindung mit ihnen aufbauen zu können (und damit auch mit beliebigen anderen Fremden).
RULES OF THE GAME ist in drei Untersektionen eingeteilt: Den Hauptteil bildet „The StyleLife Challenge“ – eben jene auf 30 Tage verteilten Übungen, die verknüpft mit Hintergrunderläuterungen und Grundideen das versprochene Date liefern sollen. Die gestellten Aufgaben sind größtenteils recht unterhaltsam und gar nicht so blöd, wenn es z.B. darum geht, zu üben, wie man mit Fremden ins Gespräch kommen kann. Dennoch sollte man sich darüber im Klaren sein, daß alle Übungen von der amerikanischen Kultur geprägt sind, wo der Smalltalk mit Unbekannten viel üblicher ist – auch wenn das Buch es anders behauptet, läßt sich eben nicht jedes Prinzip universell zu 100% anwenden. Gleich angeschlossen folgt „The Routines Collection“ – eine Sammlung von Möglichkeiten, wie man ein Gespräch eröffnen könnte und die Aufmerksamkeit einer schönen Frau erlangen könnte. Dieser Part (der nur in der Taschenbuchedition enthalten ist) bietet sicherlich ein paar nette Anregungen, aber es ist schon auffällig, wie sehr diese „Routinen“ daraus bestehen, daß der Mann die Frau einfach in Grund und Boden quatscht – es ist nämlich bei fast jedem solchen „Gesprächs-Opener“ völlig egal, was ihre Antworten sind. Und freilich bestehen die Konversationsanleitungen zum großen Teil aus netten Spielchen und oberflächlichem Blabla, mit denen man auf einer Party sicherlich Leute unterhalten kann, aber eigentlich doch nichts von sich verrät oder etwas über die andere Person erfährt.
Der letzte Teil sind die „Style Diaries“ – eine Sammlung von amourösen Abenteuern, die Strauss aus seinem bewegten Liebesleben erzählt. Weil er eine flotte Schreibe hat, lesen sich die Geschichten auch durchaus unterhaltsam und witzig, aber dennoch muten die versammelten pikanten Plaudereien schnell wie die Leserbriefe vom Penthouse an, wo aufgeregte Leser ihre (vermeintlich echten) Sexkapaden zum Besten gaben. Auch wenn Strauss im Epilog zart andeutet, daß die Stories eventuell nicht ganz so stattgefunden haben (zumindest läßt ein recht schwammiger Satz diese Vermutung aufkommen: „I wrote the stories you just read after the failure of two relationships“), und auch wenn er anklingen läßt, daß er sich Gedanken darüber macht, ob das Aufreißen wirklich langfristig befriedigend ist, scheint diese Kurzgeschichtensammlung doch eigentlich hauptsächlich Angeberei und Werbung für die eigene Methode zu sein – da werden mit äußerster Selbstverständlichkeit flotte Dreier abgehalten oder lose Beziehungen mit zwei Schwestern geführt, als wollte Strauss sagen: Seht her, wenn ihr alles so macht wie ich, könnt ihr auch so ein aufregendes Leben führen.
Unabhängig vom potentiellen Wert oder Nutzen der Übungen in RULES OF THE GAME mutet es somit fast ein wenig bizarr an, wie sehr sich Strauss mittlerweile zum Verführungscoach stilisiert. Am Ende von THE GAME hatte man noch das Gefühl, daß er aus der Pick-Up-Obsession etwas Brauchbares mitgenommen hat, aber auch gemerkt hat, was in diesem oberflächlichen „Game“ so alles ignoriert wird – nämlich das Führen einer brauchbaren Beziehung. Mittlerweile hat er sich in der Community aber wohl einen Dauerwohnsitz eingerichtet, führt eine „Stylelife Academy“ (wo Seminare abgehalten werden und Lebenscoaching betrieben wird) und postet im Internet Videos, wo er orientierungslosen Männern Tips für die richtige Kleidung und das richtige Auftreten gibt. Als Rockjournalist kann er da vielleicht mit den Eagles singen: We are all just prisoners here, of our own device.
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Ich muss zugeben, ich fand das Buch nicht so toll..
Das sag ich Neil! 😉