Wenn man nachfragt, gibt ja nie jemand zu, die Namen von Pornostars zu kennen – ebenso wie ja auch kaum jemand zugibt, sich deren Filme anzusehen. Soweit es also möglich ist, kann man Jenna Jameson als allgemein bekannten Star der Branche bezeichnen: Sie gehört zu den beliebtesten Darstellerinnen im Geschäft (auch wenn sie sich mittlerweile sozusagen zur Ruhe gesetzt hat), leitet mit Club Jenna eine eigene millionenschwere Produktionsfirma, hat zahlreiche Preise gewonnen und auch schon mehrere Schritte in den Mainstream unternommen (z.B. mit dem Horrorfilm EVIL BREED). Ihre Laufbahn hat sie 2004 in der Autobiographie HOW TO MAKE LOVE LIKE A PORN STAR – A CAUTIONARY TALE niedergeschrieben, bei der ihr Rolling-Stone-Autor Neil Strauss (der auch die Bücher von Marilyn Manson und Mötley Crüe betreute) unter die Arme und potentiell andere Körperteile gegriffen hat.
Es ist ein bewegtes Leben, das Jenna hier auf knapp 600 (im wahrsten Sinne des Wortes üppig bebilderten) Seiten festhält: Die Mutter früh gestorben, der Vater erzieherisch überfordert, lange Beziehung mit Junkie-Freund, Abrutsch in die Drogenabhängigkeit, zwei Vergewaltigungen, Alkoholexzesse, selbstzerstörerische erste Ehe, und dazwischen nach und nach die Entwicklung von Stripperin zu Nacktphotomodel zu Pornodarstellerin. Und dann natürlich zum begehrtesten Star der Branche – inklusive dem dazugehörigen divenhaften Verhalten. Das ist mitunter starker Tobak, aber so eine Pornobiographie kauft man ja auch nicht, weil man vom wohlbehüteten Leben der Lieselotte Linsenhut lesen möchte – man will schmutzige Wäsche und kriegt genau die.
Dank Jennas Offenheit, was die düsteren Kapitel ihrer Geschichte angeht, und der packenden Schreibe von Neil Strauss liest sich das eine ganze Zeitlang auch spannend und emotional durchaus nachvollziehbar. Angenehmerweise fängt sie nirgendwo an, sich zu rechtfertigen: Sie erzählt, sie führt ihre Gedankengänge aus, aber sie entschuldigt sich nie für das, was sie ist. Das zeigt einerseits ihr gesundes Selbstbewußtsein, andererseits hält es das Werk frei von jeglicher Doppelmoral, die sich so leicht hätte einschleichen können. Ganz im Gegenteil: Immer wieder plaudert Jenna aus dem Pornonähkästchen, wie es ein Mensch in jeder anderen Berufssparte auch machen könnte.
Und doch wird das Lesen von PORN STAR irgendwann zur Fleißarbeit. Schon relativ früh kommt ein ellenlanges Kapitel, in dem Jenna zusammen mit Vater Larry und Bruder Tony quasi im Interviewstil ihre Kindheit und Jugendjahre passieren läßt – und das geht über einhundert Seiten lang im anekdotenhaften Plauderstil so dahin, gelegentlich unterbrochen von ihren Tagebucheinträgen (die mit maschinell erstellter „Handschrift“ auf authentisch getrimmt sind). Da dominiert mitunter schon mal die Banalität: Weißt du noch, wie du dir als Kind den Arm gebrochen hast? Erinnerst du dich an die bösen Jungs, die dich in der Schule gehänselt haben? Alles schön und gut, aber kaum packender Stoff für ein Sechstel des Buches. Und was mag uns der zigfachste Tagebucheintrag eines kleinen Mädchens Aufregendes wohl vermitteln? „Schaut her: Auch Pornostars waren mal unschuldige, naive kleine Mädchen!“
Aber auch danach fangen Jennas Erzählungen immer wieder an, den Leser dezent anzuöden. Das mag an der Oberflächlichkeit der Branche liegen, in die Jenna vollauf hineinpaßt: Es geht um fesche Burschen und lange Schwänze, um dicke Möpse und wilde Parties, um Preisverleihungen und Geschäftsverhandlungen, und zwischendurch permanent um Beziehungsprobleme. Irgendwann wird klar, daß da kein tiefschürfender Inhalt mehr kommt: Jennas Interessen liegen in ihren privaten Problemen (beziehungs- und familientechnisch) und in ihrem beruflichen Aufstieg – dazwischen tut und denkt sie nichts, was wirklich der Rede wert wäre und das Pornoleben mit tatsächlichem Inhalt füllen würde. Meine Güte, liest die gute Frau denn auch mal ein interessantes Buch? Entwickelt sie Ambitionen, die über das Geldverdienen hinausgehen? Fehlanzeige.
Und so spiegelt das Buch irgendwann genau die Wahrheit wider, die auch für die einschlägigen Filme selbst gilt: Pornos sind langweilig. Genauso, wie es jenseits der kurzen Stimulation zum Heulen fad ist, sich anderthalb Stunden einen Hardcore-Film anzusehen, ist auch das Pornoleben auf knapp 600 Seiten ausgewalzt von bemerkenswertem Stumpfsinn geprägt. Das liegt mitunter natürlich auch daran, daß neben den pikanten Drehberichten trübe Tristesse vorherrscht. Für die tragischen Ereignisse in ihrem Leben kann Jenna natürlich nichts – wohl aber dafür, in ihrem Buch so wenig Gegengewicht dafür zu schaffen. Die Exzesse sind hauptsächlich trostlos – und das merkt man dann ausgerechnet an einer Stelle, wo Jenna auf einer Party Marilyn Manson begegnet. Der ist den Abend lang damit beschäftigt, Popcorn auf Corey Feldman zu werfen und ihm Zitate aus DREAM A LITTLE DREAM zuzurufen. Natürlich ist das blöd – aber es ist so viel amüsanter als das beständige Stumpftrinken und Zukoksen, das Jenna hier festhält.
Wer übrigens lieber Porno guckt als liest, darf sich über hunderte von Jenna-Photos quer durchs Buch freuen – die natürlich an keiner Stelle explizit sind und teilweise sogar entsprechend maskiert wurden. Schade eigentlich, daß es so selten Bildunterschriften gibt, die uns verraten, wer denn die mit Jenna posierenden Personen eigentlich sind. Oder warum das eine oder andere Bild relevant ist. Aber irgendwie paßt ja auch das zum dazugehörigen Filmgenre: Es ist letztlich einfach komplett egal.
——————
4 8 15 16 23 42