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AMERICAN PIE – DAS KLASSENTREFFEN: Wiedersehen mit Chaos und Herz

Der erste AMERICAN PIE schlug 1999 ein wie eine Bombe. Zusammen mit dem Erfolg von SHE’S ALL THAT (dt. EINE WIE KEINE) und 10 THINGS I HATE ABOUT YOU pumpte die sensationell kassenträchtige Teeniekomödie neues Blut in ein Genre, das ohnehin ein Dauerbrenner ist und sich eher im Zeitgeist als im tatsächlichen Inhalt ändert. Im Teeniefilm geht es schon seit jeher hauptsächlich um Sex – beziehungsweise um den Wunsch, welchen zu haben – und sekundär um alle Fragen des Heranwachsens: Popularität, Freundschaft, Identität, das ganze Paket. AMERICAN PIE war für die nachfolgende Welle an Teeniekomödien um einiges einflußreicher als die anderen genannten Filme – und zwar im Hinblick auf das Bad-Taste-Element: jene Prise Geschmacklosigkeit, die ebenfalls schon seit langer Zeit im Genre verankert war, durch die Komödien der Farrelly Brothers gerade seinen Weg in den Mainstream fand und im ersten PIE durch kreativen Einsatz von Körperteilen und -flüssigkeiten dafür sorgte, daß in den nächsten Jahren so ziemlich jeder einschlägige Streifen den entsprechenden Tabubruch noch steigern wollte.

Dabei ist es schade, daß die Reihe so gern auf seine derben Momente reduziert wurde: Im Gegensatz zu vielen anderen Filmen fand AMERICAN PIE fast immer einen menschlichen Moment in den Obszönitäten. Darüber hinaus war die Geschichte so viel mehr als nur eine Aneinanderreihung von Zoten: Der Film präsentierte uns glaubwürdige, sympathische Figuren, mit denen man mitfühlen und -leiden konnte und die damit das Teenagerdasein auf (natürlich, wie im Genre üblich) überspitzte Weise richtig einfingen. Und ja, in seinem Kern war der Film die Geschichte einer Freundschaft, die an den richtigen Stellen mit einer Prise Sentimentalität punkten konnte: Man denke da nur an Jims ebenso bemühten wie hochnotpeinlichen Vater, der ihn vor dem Abschlußball so innig umarmt und nicht mehr loslassen mag.

Vater-Sohn-Gespräche wie in alten Zeiten: Mr. Levenstein (Eugene Levy) hat stets Verständnis für Jim (Jason Biggs).

Nach zwei Fortsetzungen – die natürlich an Geschmacklosigkeiten zulegen mußten, aber glücklicherweise nie die Figuren aus den Augen verloren – war 2003 Schluß mit der Kinoreihe. Danach kamen vier Pseudo-Sequels für den Videothekenmarkt, die fast gar nichts mit dem Original zu tun hatten und einfach mit der etablierten Marke den Markt mit weiteren derben Teeniekomödien fütterten. (Ich persönlich finde den Anarcho-Unsinn der NAKED MILE oder des BETA HOUSE ja auch witzig, aber mit dem, was den ursprünglichen Film so gut gemacht hat, haben diese Direct-to-DVD-Streifen rein gar nichts zu tun.) Es hätte also eigentlich niemand kommen sehen, daß im Jahr 2012 die Reihe einen „richtigen“ vierten Teil bekommen würde – geschrieben und inszeniert von Jon Hurwitz und Hayden Schlossberg, die als Autorenduo hinter der Kiffertrilogie HAROLD & KUMAR stecken und sich bei deren zweitem Teil ihre ersten Sporen als Regisseure verdienten.

Der Ansatz von AMERICAN REUNION, wie der Film im Original heißt, ist dabei ganz einfach und offensichtlich: Die Figuren sehen sich beim Klassentreffen wieder. Wen stört es schon, daß es sich dabei ausgerechnet um das 13-jährige handelt? Somit ist die Geschichte auch für uns eine Art Klassentreffen: Wir sehen die Leute von damals wieder und erfahren, was sie jetzt machen und wohin es sie verschlagen hat. Eigentlich witzig, daß ein Film über ein Klassentreffen – das generell ja zum großen Teil eine Nostalgie-Veranstaltung ist – selbst als Nostalgie-Ereignis punkten kann: Es ist schön, die Jungs und Mädels wieder einmal zu sehen, und man ist durchaus neugierig, was aus ihnen geworden ist. Gleichzeitig ist die Sache wohl hauptsächlich für diejenigen interessant, die die Figuren schon kennen – der Film setzt eine gewisse Kenntnis des Originals voraus, ohne die viele Witze verpuffen und das Interesse am jetzigen Status diverser Charaktere eher gering ausfallen dürfte.

Jim (Jason Biggs) und die 18-jährige Nachbarin Kara (Ali Cobrin): Es ist nicht das, wonach es aussieht.

Natürlich muß auch die REUNION wieder mit diversen Derbheiten aufwarten, die aber größtenteils harmlos ausfallen und nicht so sehr an der Grenzüberschreitung interessiert sind wie beispielsweise der dritte und letzte „richtige“ Film der Reihe, AMERICAN WEDDING. Dafür setzt er gekonnt die lange Reihe an Notsituationen fort, in die sich vor allem die Hauptfigur Jim hineinmanövriert und die auch hier wieder herrlich witzig und gleichzeitig zum Im-Boden-Versinken peinlich sind. Alleine die (aus dem Trailer schon bekannte) Eröffnungssequenz, die uns zeigt, wie es um das Liebesleben in der Ehe von Jim und Michelle bestellt ist, ist ein kleines Juwel. Da stört es auch kaum, daß einige spätere Situationen ziemlich auf die Pointen hin konstruiert wirken – wie beispielsweise das Outfit, mit dem Jim auf Stiflers Party herumläuft.

Bei allem Witz und Chaos schafft es AMERICAN REUNION, nebenher einige treffende Geschichten darüber zu erzählen, wie sich das Leben doch anders entwickelt, als man es noch zu Schulzeiten geplant oder sich gewünscht hat: Die Jobs sind nicht so spannend, wie man das gerne hätte, das Leben ist nicht so abenteuerreich, wie man es sich mal vorgestellt hat, und die einst getroffenen Entscheidungen sehen mit etwas Abstand auch nicht mehr so eindeutig schwarz-weiß aus. Der Film erzählt nichts wahnsinnig Profundes über das Älterwerden, aber gerade deswegen ist er glaubwürdig in seinen Betrachtungen und Entwicklungen.

Es ist WIRKLICH nicht das, wonach es aussieht.

Das, was also das Original so besonders machte, ist auch in der REUNION in üppigem Maß vorhanden: Herz. Ob es nun um Jims Vater geht, der sich nach dem Tod der Frau zurückgezogen hat und mühsam seine Enttäuschung darüber verbirgt, daß sein nach Hause gekommener Sohn nicht nur Zeit mit ihm verbringen will, oder ob der in einem miesen Job festsitzende Stifler mit dreckigem Grinsen und lautem Auftreten versucht, seine Highschool-Zeit wieder aufleben zu lassen – der Film liebt seine Figuren so sehr, daß man gar nicht anders kann, als sie auch zu mögen. Neben Eugene Levy, der als Jims Dad schon in vorigen Filmen immer zum Umarmen knuffig war (und hier alleine für seine Zeile „It’s the fuzz!“ wieder gefeiert gehört), punktet vor allem einmal mehr Seann William Scott, der wahrlich dafür geboren wurde, Stifler zu spielen, und das mit so viel Begeisterung und Energie tut, daß die eigentlich immer als Arschloch geschriebene Figur zu einem der beliebtesten Charaktere wurde.

Ein bißchen schade ist es, daß die Frauenfiguren viel kürzer kommen als die Jungs – auf denen aber zugegebenermaßen auch im Erstling schon der Fokus lag. Insbesondere Heather (Mena Suvari) und Vicky (Tara Reid) schauen eher vorbei, als daß sie wirklich präsent wären – wobei Heather etwas besser wegkommt, weil man Vickys Auftritte wirklich an einer Hand abzählen kann. Schön ist es dafür, daß auch Randfiguren wieder auftauchen: Neben den mittlerweile zerstrittenen MILF-Plärrern aus dem ersten Teil taucht beispielsweise auch der Sherminator wieder auf, der mittlerweile alleinerziehender Vater eines Sohnes namens Furlong ist. Jessica, die auf dem Poster als Ensemblemitglied gezeigt wird, hat nur einen Kurzauftritt – ebenso wie Shannon Elizabeth als Nadia, die mittlerweile ziemlich, nunja, hergerichtet aussieht.

Wieder vereint: Kevin (Thomas Ian Nicholas), Jim (Jason Biggs), Stifler (Seann William Scott),
Oz (Chris Klein) und Finch (Eddie Kaye Thomas, v.l.).

Nach so einem gelungenen Wiedersehen fassen die Figuren im Film natürlich den Plan, sich öfter wiederzutreffen. So ist das beim Klassentreffen – und meistens wird doch nichts draus, weil die Zeit eben nicht stehengeblieben ist. Was die REUNION angeht, hätte ich aber nichts dagegen, die Jungs und Mädels wiederzusehen – ob nun nächstes Jahr oder in ein paar Jahren, wenn das, sagen wir mal, siebzehnjährige Klassentreffen ansteht. Das Wiedersehen zeigt einem erst, wie sehr sie einem doch ans Herz gewachsen sind.

American Pie – Das Klassentreffen (USA 2012)
Originaltitel: American Reunion
Regie: Jon Hurwitz & Hayden Schlossberg
Drehbuch: Jon Hurwitz & Hayden Schlossberg
Kamera: Daryn Okada
Musik: Lyle Workman
Darsteller: Jason Biggs, Alyson Hannigan, Chris Klein, Thomas Ian Nicholas, Tara Reid, Seann William Scott, Mena Suvari, Eddie Kaye Thomas, John Cho, Jennifer Coolidge, Eugene Levy, Natasha Lyonne, Dania Ramirez, Katrina Bowden, Shannon Elizabeth, Chris Owen, Ali Cobrin

Die Screenshots stammen von der Blu-Ray (C) 2012 Universal.

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

    2 Comments

    1. Den Film muss ich mir auf jeden Fall mal ansehen 🙂 Der kommt doch bestimmt bald als DVD raus

    2. Stimmt: Laut Amazon wird der Film am 30. August auf DVD & BluRay veröffentlicht.

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