„Mental telepathy, mostly“, schrieb man seinerzeit über Kenneth Angers Skandalsammlung HOLLYWOOD BABYLON – beziehungsweise über die Recherchemethoden des Avantgardefilmers, der in dem zuerst 1965 veröffentlichten Buch heitere Geschichten über Morde, Sexorgien, Vaterschaftsklagen und andere pikante Geschehnisse rund um Hollywood-Stars und -Starlets niederschrieb und dazu noch mit schmackhaften Photos garnierte – wie zum Beispiel einem Bild des Jayne-Mansfield-Unfalls. Wen störte es schon, daß zahlreiche Details und Geschichten nachweislich Phantasiegespinste waren? Die Welt der Stars und Sternchen ist der hohe Adel der heutigen Zeit, und ebenso, wie wir sie bewundern und beneiden, haben wir doch gerne ein diebisches Vergnügen daran, sie mit Schmutz und Skandalen vom Thron zu stoßen – vermutlich nur, um zu zeigen, daß sie ja doch eigentlich Menschen wie du und ich sind. Obwohl es für das menschliche Tratschbedürfnis ja gar nicht so viel Unterschied macht, ob Charlie Chaplin eine Affäre hat oder der Herr Müller von nebenan.
Gar so lippenleckend wirft sich der englische Journalist Robert Sellers nicht an sein Thema heran, aber ein gewisser Regenbogenpresse-Geist ist seinem Buch HOLLYWOOD HELLRAISERS: THE WILD LIVES AND FAST TIMES OF MARLON BRANDO, DENNIS HOPPER, WARREN BEATTY AND JACK NICHOLSON nicht abzusprechen. Das Werk versteht sich sozusagen als Fortführung von Sellers‘ HELLRAISERS, das die Eskapaden der vier britischen Schauspieler Oliver Reed, Peter O’Toole, Richard Harris und Richard Burton nachzeichnete – und es ist ganz klar, daß man als Leser ja eine gewisse Erwartungshaltung hat, wenn man das wilde Leben von solch legendären Wüstlingen versprochen kriegt: Man will Sex, Alkohol, Drogen, filmischen Rock’n’Roll und die nie endende Party. Man könnte nicht behaupten, daß Mötley Crüe ihre Autobiographie mit irgendeinem anderen Versprechen an den Mann gebracht hätten.
Sellers verfolgt also die Biographien von Brando, Hopper, Beatty und Nicholson – und schon die Auswahl scheint weniger einer schaffensinhärenten Zusammengehörigkeit geschuldet zu sein als einfach nur der Tatsache, daß diese vier Burschen beständig auf den Putz gehauen haben. Natürlich waren alle eine Zeitlang durch das New-Hollywood-Kino in derselben Szene aktiv, und freilich gibt es immer wieder Berührungspunkte zwischen den Schauspielern – wie z.B. die Tatsache, daß Nicholson und Brando lange Jahre Nachbarn waren – aber dennoch ist die narrative Klammer hier eher lose durch das Thema zusammengehalten.
Das Buch geht chronologisch vor, über die Kindheit der Stars zu ihren Anfangsjahren und ihren großen Erfolgen, und wechselt dabei stets im Takt von ein paar Seiten zum nächsten Protagonisten. Und auch wenn Sellers immer wieder sehr salopp formuliert und offenkundig viel Vergnügen vor allem an den sexuellen Ausschweifungen seiner Helden hat, zeichnet sich gerade in der ersten Hälfte durchaus ein spannendes Porträt von vier sehr unterschiedlichen Menschen. Den nachhaltigsten Eindruck dabei macht Brando, der seinen kaltherzigen und brutalen Vater so sehr haßte, sich um seine alkoholabhängige Mutter kümmern mußte, und der immer wieder demonstrativ zeigen wollte, wie egal ihm die Schauspielerei war. Absolut unglaublich ist die Geschichte von Jack Nicholson, dessen minderjährige Mutter ihm von der Familie als seine ältere Schwester präsentiert wurde, weil sie die Schande einer unehelichen Schwangerschaft verheimlichen wollten. Nicholson selbst hat erst mit 37 Jahren herausgefunden, daß seine Schwester eigentlich seine Mutter war, als ihn ein Reporter damit konfrontierte.
Es schälen sich schnell Muster heraus bei den Figuren: Brando – Entschuldigung – scheißt auf alles und gibt sich mit derben Streichen bei so ziemlich jeder Produktion unmöglich. Dennis Hopper verliert sich in Alkohol und Drogen, wird paranoid, und nimmt daraufhin noch mehr Drogen. Nicholson hat Vergnügen an seiner Rolle als Bad Boy und Frauenheld, obwohl – auch das ist eine interessante Beobachtung – er sich bei Dreharbeiten stets professionell und bodenständig verhält, was er selbst damit erklärt, daß er so viele lange Jahre erfolglos blieb und sich mit kleinen B-Filmen über Wasser halten mußte, daß ihm der spätere Starrummel gar nicht mehr zu Kopf steigen konnte. Am heitersten sind die Segmente über Warren Beatty, der als einziges Laster die Frauen vorzuweisen hat – aber die dafür in unzählbaren Mengen. Wo die Geschichten von Brando und Hopper immer eine sehr düstere und auch traurige Komponente haben, ist Beattys Story einfach nur vergnüglich, weil sie Anekdote um Anekdote aneinanderreiht, wie unverschämt und doch charmant er sich an die nächsten paar Mädels heranmacht.
Überhaupt, Anekdoten: Nach gar nicht so langer Zeit wird klar, daß das Buch eher eine Ansammlung von Einzelgeschichten ist als eine tiefschürfende Biographie, da natürlich jedes Segment uns ja von den versprochenen „wild lives and fast times“ der Protagonisten erzählen will. Das ist insofern schade, als daß die vier Schauspieler ja genug schwergewichtige Klassiker in ihrer Filmographie haben, die freilich auch angerissen werden, aber dann doch eher als Futter für weitere Geschichten dienen. Die von den größten Filmen kennen wir natürlich alle: Dennis Hopper, Peter Fonda und Jack Nicholson waren bei den Dreharbeiten zu EASY RIDER größtenteils komplett zugedröhnt; Marlon Brando tauchte am Set von APOCALYPSE NOW mit starkem Übergewicht auf und kannte das Skript überhaupt nicht; und für DER PATE ließ sich Brando den Mund ausstopfen und den Text auf großen Tafeln hochhalten, von denen er schlichtweg ablas.
Schade, daß dabei so manches unter den Teppich gekehrt wird. An einer Stelle wird Brandos Freundschaft zu Johnny Depp erwähnt, aber der Film DON JUAN DEMARCO – vielleicht der beste Film aus Brandos Spätwerk – wird nicht genannt. Ebensowenig wird Warren Beattys Rolle in dem Politthriller THE PARALLAX VIEW angesprochen, obwohl durchaus Platz aus Beattys Tätigkeiten in der Politik verwendet wird. Erzählt wird viel über Interviews, die teilweise von Sellers selbst geführt wurden (unter anderem auch mit Richard Stanley über das Debakel DIE INSEL DES DR. MOREAU), teilweise aber auch aus vorhandenen Quellen zusammengetragen wurden, ohne daß diese im Einzelnen notiert wurden. Für einen unschönen Fauxpas kann Sellers aber nichts: Da das Buch noch vor Dennis Hoppers Tod geschrieben wurde, steht unter dem letzten Photo von Hopper der jetzt reichlich morbid anmutende Absatz: „The great survivor. ‚Dennis took a lot of drugs,‘ says screenwriter Tom Makiewicz. ‚He has absolutely no right to be still alive.'“
Wirklich spannend oder erhellend ist Sellers‘ Buch nicht – zu ähnlich werden irgendwann die Anekdoten, zu oberflächlich werden die Karrierehighlights der Schauspieler abgehandelt. Aber das braucht niemanden vom Lesen abzuhalten: Das Buch verschafft einen guten Überblick, ist amüsant und gibt genügend interessante Häppchen, um sich einmal wieder mit dem Schaffen dieser Schauspielikonen auseinandersetzen zu wollen. Und das, was versprochen wird, wird auch definitiv eingehalten: Wilde Zeiten.
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