Das grüne Sofa bleibt seit gestern leer: Loriot, 1923 unter dem Namen Vicco von Bülow geboren, ist gestern im Alter von 87 Jahren an Altersschwäche gestorben. Er hinterläßt uns eine üppige Menge an herzhaften Lachern und wissenden Schmunzlern, an verschmitzten Absurditäten und belustigter Alltagsbeobachtung – all das, was ihm schon lange einen Status als intelligenter, feinsinniger Komiker sicherte und viele seiner Sketche in das kollektive Gedächtnis Deutschlands eingravierte. Das zu harte Frühstücksei, das einen Ehemann in die Raserei treibt, gehört in den Olymp jener Dialogfolgen, die seit Jahrzehnten immer noch mit ihrem unnachgiebig logisch aufgebauten Witz begeistern und als veritable Humorschule dienen – und es ist nur ein Kleinod unter vielen, die von Bülow auf dem Höhepunkt seines Schaffens so mühelos aus dem Ärmel zu schütteln schien. Loriot als den besten, witzigsten oder klügsten Komiker Deutschlands zu bezeichnen, geht völlig an seiner Einzigartigkeit vorbei: Loriot ist Loriot, ein Genre, in dem es außer ihm schlichtweg niemand anderen gab.
Neben dem Ei erinnert man sich auch stets an viele andere seiner Sketche – zum Beispiel an die widerspenstige Nudel, die einer Liebeserklärung die erhoffte Wirkung raubt. Oder an die zwei Herren in der Badewanne, die sich gar nicht kennen, aber sich rein aus Prinzip auch weigern, dem anderen das Feld zu überlassen. Wohlbekannt auch das Jodeldiplom, das Hausfrauen die Möglichkeit zur Eigenständigkeit bot und nicht nur von meinem Englischlehrer gern und oft zitiert wurde („zweites Futur nach Sonnenaufgang!“), das pflichtbewußte Weihnachtsfest der Familie Hoppenstedt, und ebenso der verzweifelte Versuch von Ansagerin Evelyn Hamann, die komplexen Vorgänge der bisherigen Folgen einer Seifenoper zusammenzufassen und dabei nicht über die für uns Deutschen so problematischen „th“-Laute zu stolpern. Überhaupt, die Hamann: Mit ihr hatte Loriot eine kongeniale Partnerin entdeckt, die sich als brillante Komikerin entpuppte und mit Loriot und dessen Stammschauspielern – darunter Heinz Meier, Edgar Hoppe und Bruno W. Pannek – eine ganz eigene Chemie und ein wind- und wetterfestes Timing entwickelte.
Abgesehen von den weithin bekannten Situationen verbergen sich aber in Loriots TV-Programmen aus den 70’ern noch eine Unmenge an nicht minder witzig-absurden Sketchen: Da wären zum Beispiel die Möbelpacker, die ein Klavier aus einer Wohnung mehrfach herein- und heraustragen müssen, weil der Familienvater den Moment mit der Heimkamera festhalten möchte und mit dem Ergebnis nicht zufrieden ist. In einem wunderbaren Sketch spielt Evelyn Hamann eine Verkehrspolizistin, die probeweise eine Münze in den vermeintlich defekten Parkautomaten eines Falschparkenden steckt und sich danach in verzweifelten Erklärungsversuchen verheddert, da sie ja nicht mehr auf die abgelaufene Parkuhr hinweisen kann („Ich habe eine Münze in den für den Münzeinwurf vorgesehenen Münzeinwurf eingeworfen …“). In einer zufälligen Skatrunde bringt Loriot selbst seine Mitspieler mit völliger Unwissenheit zur Weißglut, schon bevor er ihnen die Karten beim Vorführen eines Tricks zu kleinen Kartenhäuschen faltet. Und dann ist da natürlich noch der letzte im Restaurant erhältliche Kosakenzipfel, dessen Aufteilung unter zwei Gästen zur Beendigung einer Freundschaft führt.
Überall hier nimmt Loriot den Alltag so wissend und sanft augenzwinkernd aufs Korn, daß wir kaum merken, wie sehr wir über uns selbst lachen. Der Spießbürgerlichkeit und Bürokratie des deutschen Geistes hält er einen liebevollen Spiegel vor, und stets setzt er mit meisterlicher Logik an kleine Absurditäten an, die sich dann zu Ungetümern entwickeln. Loriots Humor ist teilweise verschroben und um ein paar Ecken gedacht, und wahrscheinlich sind gerade deswegen seine Beobachtungen von Leben und Beziehungen so unaufdringlich komisch – da ist Platz für den Hintergedanken, Raum für ein Wiedererkennen, und sehr viel Liebe zu den ganzen fehler- und problembehafteten Menschen, die er da zeichnet.
Loriot war auch in vielfacher Form als Autor tätig, und später eroberte er noch mit Hilfe von Produzent Horst Wendlandt die Kinoleinwand. Sein ÖDIPUSSI von 1987 ist ein unglaublich herzlicher, zum Tränenlachen komischer Ulk über eine in die Jahre gekommene Mutter-Sohn-Beziehung, die trotz seiner Konstruktion mit vielen kleinen Sketchen (darunter die wunderbare Vereinssitzung, bei der sich die Vereinsmitglieder weder auf Vereinsnamen noch Vereinsziele einigen können und somit im Protokoll nur festgehalten wird, daß alle anwesend waren) als runde Geschichte funktioniert. Vier Jahre später folgte PAPPA ANTE PORTAS – nicht mehr so durchweg brillant wie ÖDIPUSSI, aber immer noch eine schöne Zeichnung einer Ehe, die über den erzwungenen Ruhestand des Ehemannes fast zerbricht – weil er ab sofort stets zuhause ist!
Schon lange war Loriot nur noch sporadisch aufgetreten, und bei 87 Lebensjahren können wir wohl von einem erfüllten Leben sprechen. Und dennoch wird uns Loriot fehlen. Er hinterläßt eine Lücke – und die nicht nur auf dem grünen Sofa, von dem aus er seine Sketche so oft mit leisem Lächeln anmoderierte. Mit ihm fällt einer der ganz wenigen Gegenbeweise weg, die wir auf das Vorurteil anführen konnten, daß die Deutschen keinen Humor haben.
Lieben Dank, Loriot, für all die schönen Stunden vor dem Fernseher, und für all den Witz, den du uns mitgegeben hast. Das ist ein Witz, der mich so begeistert hat, daß ich seinerzeit für ein Schulfilm-Projekt nicht nur einen deiner Sketche hemmungslos geplündert habe – und von dem ich nur hoffen kann, daß er auch in meinen eigenständigen Texten zumindest ein paar Spuren hinterlassen hat, denn alleine das wäre schon eine Ehre. Du hinterläßt uns ein Gesamtwerk, das selbst beim dutzendfachen Ansehen immer noch Überraschungen parat hat und immer witzig bleiben wird.
Zum Abschied noch einen meiner Lieblingssketche von Loriot:
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Es kann nur eine graue Welt zurückbleiben, aus der ein Mensch geschieden ist, der als einer der wenigen die Fähigkeit hatte, diese zu erhellen.
Schön gesagt! Zum Glück bleiben uns seine Werke erhalten, die nach wie vor erhellend sind.