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Der Tanzstunden-Report (1973)

„Hoch das Bein, die Liebe winkt“, frohlockt das Plakat zum TANZSTUNDEN-REPORT, der uns endlich darüber aufklären wird, was hinter den Kulissen einer typischen Tanzschule wirklich passiert. Und so ein Aufklärungsschock ist ja bitter von Nöten, glauben doch viele Unwissende heute noch, daß dort hauptsächlich getanzt wird. Von wegen! Im Zuge des Report-Wahns und des Kolle-Kollers der Siebziger entstanden in Deutschland ja reihenweise enthüllende Beiträge, die – inspiriert von der Herangehensweise und viel mehr noch von der kommerziellen Auswertbarkeit des nimmermüden SCHULMÄDCHEN-REPORTs – der Welt gezeigt haben, was in Deutschland tatsächlich vor sich geht. So auch der TANZSTUNDEN-REPORT, der uns prinzipiell genau dasselbe wissen läßt wie all die anderen Aufklärungsparaden: Menschen haben Sex! Alarmiert die Presse!

Nun unterläßt es der vorliegende Report allerdings völlig, sich jenseits des Titels auch nur in den zarten Hauch eines vagen Ansatzes von dokumentarischer oder journalistischer Präsentation zu hüllen – ganz anders als Hartwigs Schulmädchen also, wo ja beständig mit ernster Miene so getan wird, als würden die über die Leinwand wippenden Brüste etwas zum pädagogischen Wohle des Volkes beisteuern. Der TANZSTUNDEN-REPORT reiht schlichtweg eine Anzahl von Begegnungsepisoden aneinander, die nicht nur dankenswerterweise weitestgehend frei von der sonst so aufklärungsüblichen Doppelmoral sind, sondern auch gleichermaßen von der gerne in verboteneren Ecken angesiedelten Sexualität der SCHULMÄDCHEN komplett Abstand nehmen: Hier haben eben junge Leute dauernd Sex und Spaß dabei, ohne inzestuöse Verhältnisse, Gewalt, psychische Schäden, monetäre Interessen, und was uns Hartwigs Schülerinnen sonst noch so auftischen. Richtig vergnüglich ist der Film allerdings weniger aufgrund seiner ständigen Softsex-Vignetten oder des – natürlich auch fest im deutschen Film verankerten – etwas infantilen Humors, sondern hauptsächlich wegen der Sprüche, die wie im schönsten Terence-Hill-und-Bud-Spencer-Film im Akkord geklopft werden (tatsächlich gehört Hills Synchronsprecher Thomas Danneberg auch zu den Stimmen des TANZSTUNDEN-REPORTs).

Zu Beginn lernen wir die Tanzklasse kennen: Jede Menge junge Paare, die aufgrund des dauernden Körperkontakts gedanklich nicht hundertprozentig beim Tanzen sind, sowie die sächselnde Tanzlehrerin Frau Amsel (Marlies Peterson), die mit dicker Brille und streng zurückgekämmten Haaren die wachsame Authoritätsfigur verkörpert und darauf achtet, daß es in der Tanzschule gesittet zugeht. Und schon schleicht sich ein Paar in die nahegelegene Garderobe, um sich dort zu vergnügen. Der Mann öffnet der Frau die Bluse und spricht: „Die schönen Möpse. Schenk ihnen doch die Freiheit“. Während er sich so vortastet, korrigiert ihn die Frau: „Nicht hinten, Schatz. Vorne.“ – „Ah ja, da wollt‘ ich auch noch hin“, beruhigt er sie und macht sich dann mit folgenden Worten ans Werk: „Na dann mal hoch das Bein. Das Vaterland will leben“.

Gleich darauf erzählen sich zwei Tanzschüler von ihren letzten sexuellen Abenteuern. Der eine berichtet, wie er sein Date mit nach Hause nehmen wollte, aber sowohl bei ihm als auch bei ihr wären die Eltern zuhause gewesen. Bleibt also nur der Keller! Schon beim Hauseingang drückt er sie stürmisch gegen die Wand, wobei sie bei den übrigen Bewohnern Sturm läutet. „Sicher wieder die Rocker“, schimpft ein älterer Herr aus dem Fenster, und das junge Liebespaar verschwindet schnell im Haus und geht in den Keller, wo auch eine gemütliche Couch aufgestellt ist. „Jetzt leg dich mal hin, sonst wird das Sofa traurig“, schlägt er ihr vor, und während sie sich dann einander hingeben, kommt eine ältere Mitbewohnerin in den Keller, die zunächst erschrickt, aber dann sieht, was die beiden machen und aufatmet: „Ich dachte schon, ihr raucht“.

Wir sehen also: Hübsch beknackt und flotte Sprüche, bis sich wahlweise der Balken oder der Linguist biegt. Dann, huch!, kommt sogar ein wenig Handlung ins Spiel: Die Tanzlehrerin hat den Verdacht, daß ihr DJ Horst mit einer der Tanzschülerinnen verkehrt (ein nicht unbegründeter Verdacht). Also beauftragt sie den stotternden Hausmeister Siggi (Siegfried Zügel, den einschlägig gebildete Menschen natürlich sofort aus dem bislang leider am DVD-Release vorbeigeschrammten DIE GOLDENE BANANE VON BAD PORNO erkennen), Horst hinterherzuspionieren. Siggi ist ein durchaus wachsamer Mensch – zuvor haben wir ihn schon dabei gesehen, wie er dem Paar in der Garderobe durchs Schlüsselloch zugeschaut hat – aber er ist auch ein sehr sympathischer Mann, der für die Bedürfnisse der Tanzschüler volles Verständnis hat und ihnen den Schlüssel für sein Hausmeisterkämmerlein für nur 10 Mark zur Verfügung stellt.

Horst hat derweil noch ein anderes Problem: Ihm stellt die frustrierte Lisa (Dorothea Rau) nach, die endlich einen Mann abbekommen will. Lisa haben wir schon bei einer Party kennengelernt, wo im ganzen Haus sich Paare miteinander vergnügen und sie nackt umherläuft und ebenso mitmischen will, aber keiner ist interessiert – weswegen sie traurig an suggestiv geformten Würstchen knabbern muß. (Der Film bzw. die Figuren darin tun übrigens ständig so, als sei Lisa irgendwie mollig.) Lisa klagt Horst also ihr Leid: „Ich habe es satt, immer nur zuzusehen, wenn die anderen sich einen abstoßen! Ich will doch die Pille nicht immer umsonst fressen“. Dann versucht sie, Horst ihre Vorzüge anzupreisen: „An mir ist ’ne Menge dran, da weiß man, wo vorne ist“.

Horst ist leider nicht interessiert, kommt aber auf den brillanten Einfall, Lisa mit Siggi zu verkuppeln. Und so finden sich Lisa und Siggi des Nachts im Tanzsaal, wo Siggi ihr ankündigt: „Hier werd‘ ich dir mal die Kapuze vollhusten“. Dann weist er sie an: „Nu‘ schnall mal ab, die Tapete“, und verspricht dann: „Hier werd‘ ich dir mal einen bügeln, daß dir die Nudeln kraus werden“. Lisa auf vollauf begeistert, und während Siggi sie also von hinten beglückt, erklärt er ihr (oder uns): „Meine Lieblingsstellung: Man kann dabei fernsehen und braucht kein freundliches Gesicht zu machen“.

Einstweilen befinden sich die übrigen Tanzpärchen auf der Poolparty eines Schmuddelphotographen, der empört auf die Frage reagiert, ob er Pornos macht: „Pornos? Wo haben Sie diesen phonetischen Müll her? Ich bete die weibliche Form an!“. Das tut er dann auch prompt, als sich das erste Photomodell auszieht: „Hach, sind das Wonnedrüsen!“ Unterdessen wird im Swimming Pool einer der Jungs gefragt, wie er die von seiner Freundin angepriesenen 15 Nummern pro Tag schafft, und er erläutert hilfreich: „Na, erst schiebe ich eine Nummer, und dann noch 14.“

Am nächsten Tag erklärt Siggi der Frau Tanzlehrerin, daß Horst keinesfalls etwas mit einer Tanzschülerin habe, weil er schwul sei. Sie ist damit hochauf zufrieden, aber Horst selbst kann das nicht auf sich sitzen lassen und stürmt der guten Frau hinterher: „Der Braut werd‘ ich jetzt die Mauer vollkleistern, daß der Samen flockig wird“. Tut er dann auch, und obwohl sich Frau Amsel positiv überrascht zeigt („Den muß ich mal zu mir nach Haus einladen“), verliert Horst leider doch den Job.

Weil aber Siggi als DJ einspringt, steht dem großen Abschlußball nichts mehr im Weg. Da soll sich dann zum Höhepunkt des Abends der Vorhang lüften und das Tanzpaar des Jahres zeigen. Weil die aber gerade miteinander beschäftigt sind, stehen sie beide komplett nackt vor dem Publikum – und tanzen eben trotzdem. Der Vater eines Tanzschülers zeigt sich begeistert und lobt Frau Amsel: „Klassischer Tanz, gepaart mit klassischer Schönheit. Und im historischen Kostüm!“

Oh ja, ein veritabler deutscher Filmklassiker!

Der Tanzstunden-Report (Deutschland 1973)
Regie: „John Weeran“ (= Wolfgang Bellenbaum)
Drehbuch: „John Weeran“ (= Wolfgang Bellenbaum), Henry Vulpin
Kamera: Michael Marszalek
Musik: Rolf Bauer
Darsteller: Natascha Verelle, „S. Frank Zügel“ (= Siegfried Zügel), Dorothea Rau, Marlies Peterson, Wolfgang Draeger
Länge: 74 Minuten
FSK: 16

Hinweis: Der Film ist in der Box aller Schulmädchen-Reports als Bonusfilm enthalten.

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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