„Also, im reiferen Alter besteht an den sexuellen Tätigkeiten von Schulmädchen, nämlich von unreifen, jungen Dingern, das glauben Sie nicht, ein großes Interesse.“ So erklärte Produzent Wolf C. Hartwig im Interview mit Annette Miersch den Erfolg seiner 13-teiligen Reihe SCHULMÄDCHEN-REPORT, die der findige Geschäftsmann 1970 mit dem ersten Teil WAS ELTERN NICHT FÜR MÖGLICH HALTEN initiierte und bis 1980 mit endlosen Fortsetzungen höchst erfolgreich auskostete. Mit seinem Millionenpublikum und dem Vorreiterstatus der deutschen Sexfilmwelle stellen Hartwigs Schulmädchen ein Stück deutscher Kinogeschichte dar – so gern das abgestritten oder unter den Teppich gekehrt wird. Aber noch stärker ist die REPORT-Reihe ein Zeitdokument, das eng mit einem gesellschaftlichen und sexualmoralischen Umbruch verknüpft ist.
Im Entstehungsjahr des ersten Reports war der Boom der Aufklärungsfilme schon längst losgetreten: Wo die ’68er-Generation auf den Straßen die gesellschaftliche Veränderung suchte – falsch: einforderte! – und dabei auch die restriktive Moral der Adenauer-Zeit von sich wies, in der über Sexualität nicht gesprochen wurde (von der Darstellung ganz zu schweigen: Man erinnere sich an den unvorstellbaren Skandal, den Hildegard Knefs eine Sekunde lang sichtbare blanke Brust 1951 in DIE SÜNDERIN auslöste!), bemühten sich zahlreiche Filmemacher und Produzenten, Aufklärung und Sexualdarstellung im Kino anzubieten. Es mag heute lachhaft erscheinen, wie banal und dabei doch stocksteif die menschliche Sexualität in Filmen wie Oswalt Kolles DAS WUNDER DER LIEBE (1967, Regie: F.J. Gottlieb) oder Dietrich Kraussers TECHNIK DER KÖRPERLICHEN LIEBE (1968) erklärt wird – in letzterem Film werden Praktiken und Stellungen mit Hilfe von Holzpuppen veranschaulicht! Aber natürlich zeigt sich an diesen Produktionen auch immer, wie unerhört alleine das Sprechen über Sex seinerzeit war, und wie wenig die meisten Menschen darüber tatsächlich gewusst haben.
Nun ist der Aufklärungsfilm eigentlich gar keine Erfindung der ’68er: Schon in den Zehnerjahren des 20. Jahrhunderts drehte beispielsweise der deutsche Regisseur Richard Oswald Filme, die die Öffentlichkeit über damalige Erkenntnisse der „Sexualhygiene“ unterrichten sollten – darunter z.B. ES WERDE LICHT! (1917) über Geschlechtskrankheiten, ANDERS ALS DIE ANDERN (1919) über Homosexualität, und PROSTITUTION (1919). Der Amerikaner George Loane Tucker präsentierte schon 1913 einen Film namens TRAFFIC IN SOULS, der sich um Mädchenhandel dreht (übrigens einer der allerersten Langfilme der Geschichte, ganze zwei Jahre vor Griffiths BIRTH OF A NATION!). In William Beaudines US-Film FALSCHE SCHAM – GEFAHREN DER LIEBE (Originaltitel: MOM AND DAD) wurde 1945 eine tatsächliche Geburt gezeigt.
Gerade die Kontroversen um den letztgenannten Film legen auch deutlich ein Problem des Aufklärungsfilms dar: Der aufklärerische Aspekt ist gemeinhin eher ein Deckmantel, unter dem anrüchiges Material gezeigt werden kann. Unter dem Schirm der Dokumentation bzw. des wissenschaftlichen Ansatzes lässt sich leichter vorgeben, dass der sensationsheischende und tabubrechende Inhalt keinesfalls dazu dient, das Thema rein finanziell auszuschlachten; stattdessen soll der Zuseher eben etwas über die Gebiete lernen, über die sonst kaum gesprochen wird. Und obwohl einigen Aufklärungsfilmen tatsächlich ein Informationswille zugesprochen werden kann – Oswalds ANDERS ALS DIE ANDERN beispielsweise war tatsächlich darum bemüht, Homosexualität nicht zu verdammen; Kolle hatte vor seinen Filmproduktionen schon Aufklärungsbücher publiziert – braucht man sich nur die Kinocharts dieser Jahre anzusehen, um zu erahnen, dass die Welle der Sex- und Aufklärungsfilme großteils pekuniären Interessen geschuldet war: 1967 fand sich Erich F. Benders HELGA – VOM WERDEN DES MENSCHLICHEN LEBENS (der mit seiner Geburtssequenz, wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung berichtet, die Männer reihenweise ohnmächtig umfallen ließ) mit sechs Millionen Zusehern auf Platz 2, 1968 war Kolles DAS WUNDER LIEBE mit sechs Millionen auf Platz 3 und der ganz und gar nicht aufklärerisch motivierte, aber nicht minder einschlägige Film DIE NICHTEN DER FRAU OBERST des Schweizers Erwin C. Dietrich mit fünf Millionen auf Platz 5. Sex war eben nicht nur natürliches Interesse der neuen Generation, sondern vor allem ganz großes Geschäft.
Und da kommen wir also zum SCHULMÄDCHEN-REPORT. Grundlage des Films war ein gleichnamiges Buch des Autors Günther Hunold, der (quasi in Anlehnung an den Kinsey-Report) 1969 eine ganze Reihe von Mädchen nach ihrem Sexualverhalten befragte und diese – wissenschaftlich nicht ausgewerteten und in ihrer Auswahl nicht erläuterten – Interviews dann in Buchform publizierte. Hartwig erwarb also die Rechte an diesem Buch und heuerte den Wiener Regisseur Ernst Hofbauer und den Drehbuchautoren Günther Heller dafür an, die erzählten Geschichten zu bebildern. (Weil übrigens Hunold nicht an den Erfolg einer Verfilmung glaubte, verkaufte er die Rechte nicht für eine prozentuale Beteiligung, sondern für eine Fixsumme von 30.000 DM, wodurch ihm letztlich ein Millionengewinn entging. Hinterher sind wir immer schlauer.)
Der Film ist zunächst einmal als Reihe von unabhängigen Vignetten strukturiert, die durch eine einfache Rahmenhandlung umklammert und zusammengehalten sowie durch die Zwischenschaltung von Straßeninterviews (mit dem jungen Friedrich von Thun als Reporter!) unterstützt werden. In der Rahmenhandlung wird die 18-jährige Renate während eines Schulausflugs beim Sex mit dem Busfahrer erwischt, woraufhin der Elternbeirat tagt und darüber diskutiert, ob die Schülerin einen Schulverweis erhalten soll. Der Direktor und die anwesenden Eltern sind sich einig, dass ein derart unsittliches Verhalten hart bestraft werden muss, aber ein Psychologe in der Gruppe beginnt, den Beirat über die neue Sexualmoral der heranwachsenden Mädchen zu unterrichten, und gibt Erzählungen über das sexuelle Verhalten der jungen Schülerinnen zum Besten, um letztlich mehr Verständnis und Toleranz für Renates „Fehltritt“ zu erwirken. (Als Randnotiz sei angemerkt, dass der Beirat aus zwölf Personen besteht, wobei es einer Person letztlich gelingt, die anderen von ihrem ursprünglichen Schuldspruch zum Umdenken zu bewegen – fällt jemandem dazu ein anderer Filmklassiker ein?)
Interessant ist zunächst einmal die Struktur des Films bzw. sein dokumentarischer Gestus. Allein durch den Titel SCHULMÄDCHEN-REPORT sowie durch das zugrunde liegende Sachbuch wird dem Gezeigten ja Authentizität unterstellt – was durch den quasi-seriösen Kommentar des Psychologen, der auch aus dem Off die Episoden bespricht, untermauert wird. Dabei unterteilen sich die erzählten Ebenen aber in die Wirklichkeit der Rahmenhandlung – die ja eher dem narrativen Konzept dient als dem dokumentarischen – sowie in Erzählsituationen mit den befragten Mädchen (die dem Psychologen im Café oder auf der Straße von ihren Erlebnissen berichten), und erst danach in die erzählten Geschichten selbst, die also nun teils zweifach verschachtelt wiedergegeben werden (vom Mädchen an den Psychologen erzählt, der es wiederum dem Beirat auftischt). Alleine hier zeigt sich also schon, dass das narrative Element einen viel größeren Raum einnimmt als ein wie auch immer geartetes dokumentarisches Zeigen.
Hinzu kommt natürlich, dass sämtliche Ebenen und Episoden ganz klar inszeniert sind: Die Handkamera mag zwar eine Art Reportage suggerieren (und die Darstellerinnen werden mit kurzen Einblendungen als „echt“ eingeführt: „Renate W., 18“, „Margit S., 14“), aber freilich ist jeder Part in fiktiver Filmsprache aufgelöst und gefilmt. Auch wenn also im Vorspann als Darsteller „viele nicht genannte Jugendliche und Erziehungsberechtigte“ angeführt werden, kann die vermeintliche Reportage bestenfalls nachgestellter Natur sein – schon alleine deswegen, weil der REPORT ja nicht pornographisch tatsächlichen Sex zeigt, sondern ihn in Soft-Erotik simuliert, und natürlich auch deswegen, weil hier ja keine tatsächlichen 12- oder 14-Jährigen in prekären Situationen zu sehen sind, sondern die Schülerinnen von älteren Mädchen gespielt werden. In der Tat haben viele Schauspieler als angeblich echte Protagonisten in der Serie ihre ersten Gehversuche absolviert: Hinter der im ersten Teil auftauchenden „Heike W.“ beispielsweise verbirgt sich Jutta Speidel (ALLE MEINE TÖCHTER), die Schülerin „Susanne U.“ wird von Lisa Fitz (DIE GERICHTSMEDIZINERIN) gespielt, als „Claudia F.“ ist Mascha Rabben (WELT AM DRAHT) zu sehen.
Noch mehr „Echtheit“ wird durch die eingestreuten Straßeninterviews vorgeschützt, die einerseits das in den Episoden gezeigte Verhalten in der Alltagsrealität untermauern sollen und sich andererseits natürlich als spontan auf der Straße geführte Gespräche darbieten – obwohl, wie Hartwig später eingestand, nicht alle Interviews echt waren („Also, zu 90 Prozent waren die spontan echt, und zehn Prozent waren getürkt“, erklärt er im Miersch-Interview). Kurz: Der Film bedient eine interessante Mischung aus filmischen Techniken, um eine aufklärerische Authentizität in einer eigentlich rein narrativ (wenn auch lose) gestrickten Episodenreihung vorzutäuschen.
Noch auffälliger ist die Auswahl der Geschichten, in der der Sexualität auch beinahe immer etwas Verbotenes anhaftet und sie als fragwürdig dargestellt wird: Gleich die erste vom Psychologen erzählte Geschichte (die auch ähnlich in Hunolds Buch zu finden ist) handelt von einem jungen Mädchen, das seit dem 12. Lebensjahr mit dem Stiefvater eine sexuelle Affäre hat (und jetzt, mit 15, trotz Eifersüchteleien seitens der Mutter weitermacht, solange der Stiefvater tut, was sie will!). In einer späteren Episode erzählt ein Mädchen, wie es vom Vater einer Freundin beinahe vergewaltigt wurde – und darf den Vorfall im Off-Text auch noch mit den Worten „Wenn er sich nicht so blöd benommen hätte – ich hätt‘ vielleicht nicht mal was dagegen gehabt, dass wir’s zusammen machen“ kommentieren (sie erläutert dann ebenfalls noch: „Ich glaube übrigens, dass kein Mann eine Frau vergewaltigen kann, wenn die Frau nicht irgendwie doch will“, und resümiert abschließend lakonisch: „Man weiß doch, dass es sowas eben gibt“). Es fragt sich, wofür mit all den fragwürdigen Geschichten und Kommentaren eigentlich Verständnis geschaffen werden soll – der Psychologe im Film subsummiert alle Episoden jedenfalls so, dass wir daran sehen können, wie früh die Mädchen „heutzutage“ schon aktiv sind.
Auch abseits dieser extremen Vignetten bewegt sich der Sex immer in Tabubereichen: Da verführt eine Schülerin ihren Sportlehrer, und ein junges Mädchen versucht, den Pfarrer im Beichtstuhl mit expliziten Geschichten vor den Kopf zu stoßen. In einer Episode verführen zwei junge Damen im Freibad den Bademeister, was der Kommentator zwar als Beispiel für Mädchen anführt, die „physisch reif, aber psychisch ihren sexuellen Begierden und Vorstellungen nicht gewachsen sind“ – aber gleichzeitig wertet er die Tatsache, dass der Bademeister für den Sex mit einer 15-Jährigen nachts im abgesperrten Badegelände mit drei Monaten auf Bewährung bestraft wird, als Zeichen unzeitgemäßer Gesetze! Somit positioniert sich der Film ständig in plumper Anbiederung an den Zeitgeist auf der einen Seite und in spekulativer Ausschlachtung des Verbotenen auf der anderen. Es wird fast zeitgleich für eine „offene“, also offen ausgelebte und diskutierte Sexualität plädiert, die völlig konträr dazu immer wieder als warnende Geschichte gezeigt wird, in der die sexuelle Handlung auch prompt zu Problemen führt. Dass die Kameraführung das Prozedere gerne in voyeuristisch anmutende Bilder packt (wenn z.B. eine eigene Einstellung dafür verwendet wird, die nackten Beine der aus dem Bus aussteigenden Mädchen abzufilmen), macht die wirklichen Intentionen des vermeintlich informativ konzipierten Filmes nur klarer.
Noch etwas fällt auf: wie deutlich der Film einen Generationenkonflikt zeigt. Der klingt auch in Hunolds Interviews an, wo die Eltern oft als spießig und autoritär beschrieben werden. Natürlich ist gleich zu Beginn der komplette Elternbeirat – abgesehen vom verständnisvollen Psychologen – bestürzt und entsetzt über Renates Tat, und natürlich geht es weniger darum, dass es bei einem Schulausflug geschah oder an einem halböffentlichen Platz (in einem offenen Schulbus!), sondern primär um die Tatsache, dass Renate überhaupt sexuell aktiv ist („Lieben Sie denn diesen Mann?“, wird Renate gefragt). In einer späteren Episode wird der Familienvater als strenger Patriarch ohne Verständnis für seine Kinder gezeigt, der seiner Tochter auch schon mal eine scheuert; selbige Tochter wird später in der Geschichte bei der Selbstbefriedigung von der Mutter erwischt, die völlig entsetzt ist und fragt: „Willst du vielleicht dein ganzes Leben lang krank bleiben? Willst du nie einen anständigen, sauberen jungen Mann bekommen?“
Im Einführungsmonolog spricht eine junge Frau im Tonfall eines Manifests: „Das sind wir – wir, die Jugend von heute“, sie fordert „eine neue Moral […], in der es keine Heuchelei gibt“ und kündigt Ehrlichkeit an, „dort, wo ihr, die Erwachsenen, zu viel gelogen habt“. Wobei der Film natürlich den wirklich zu der Zeit aufbrausenden Konflikt zwischen der neuen Generation und der alten (in dem nicht nur gesellschaftliche Fragen und moralische Themen ausgefochten wurden, sondern beispielsweise auch die lang unterdrückte Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit) weniger einfängt als sich schlichtweg an beide Parteien anbiedert: Parolen wie „Wir sind vielen fremd, vielen unbequem“ für die Jugend, warnende Geschichten für die älteren Herren – denen ganz unabhängig davon die vom Film präsentierte Vorstellung gefallen haben dürfte, dass die jungen Mädchen allesamt früh aktiv sind und überall, auch und vor allem bei den späteren Semestern, nach Erfahrungen dürsten.
Somit ist der SCHULMÄDCHEN-REPORT gleichzeitig Produkt wie auch Zerrbild seiner Zeit. Das große Kunststück von Hartwig besteht darin, den Zeitgeist aufgegriffen zu haben und ihn in ein Gewand zu stecken, das die niederen Instinkte nicht nur bedient, sondern sie quasi als provokativen Diskurs anbietet: In den Film konnten moderne Paare ebenso gehen wie Soziologen und verklemmte Herren, die mit dem Gesicht im Kragen versteckt ihren voyeuristischen Neigungen nachgehen wollten. Man nimmt daraus mit, was man mitnehmen möchte. Eigentlich kein Wunder, dass der Film ein Sensationserfolg wurde und über sieben Millionen Zuseher ins Kino lockte. Hartwig begann sofort mit der Produktion einer Fortsetzung, die auch nur zehn Monate später schon startete. Der „Report“-Aufhänger diente vielen Nachzüglern als immer dünner werdende Inspiration: In den folgenden Jahren heischten der HAUSFRAUEN-REPORT, der KRANKENSCHWESTERN-REPORT, der SKIHASERL-REPORT, der TANZSTUNDEN-REPORT, ein OSTFRIESEN-REPORT und sogar ein SEX-TRÄUME-REPORT neben vielen anderen vermeintlichen Aufklärungsfilmen und sonstigen Sexpossen um die Aufmerksamkeit des bereitwillig zahlenden Zusehers. Und so fragwürdig die Frauenbilder und so verzerrt die Sexualität hier auch gezeigt wurden: Letzten Endes haben die Filme ihren Beitrag dazu geleistet, dass heute offen über Sex gesprochen wird und nackte Menschen auf dem Bildschirm kaum jemanden mehr in Aufruhr versetzen.
Schulmädchen-Report – Was Eltern nicht für möglich halten (Deutschland 1970)
Regie: Ernst Hofbauer
Drehbuch: Günther Heller
Kamera: Klaus Werner
Musik: Gert Wilden
Produktion: Wolf C. Hartwig
Darsteller: Friedrich von Thun, Jutta Speidel, Mascha Rabben, Lisa Fitz, Günther Kieslich
Die Screenshots stammen von der Kinowelt-DVD.
Zwischen Schmuddelgeschichten und Zeitgeist-Millionenerfolg: In meinem Buch DER SCHULMÄDCHEN-REPORT: VON AUFKLÄRUNG UND ANDEREN RÄUBERPISTOLEN, erschienen in der Edition Popkultur, berichte ich ausführlich über alle 13 Teile der Aufklärungsreihe. Es ist ein ebenso heiter wie kritischer Streifzug durch alles, was Schulmädchen und Filmproduzenten wirklich treiben.
sehr sehr gut geschrieben!