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Danny Wallace: Join Me (2004)

„Join Me“. Das war die Einladung in einer Anzeige, die Danny Wallace in der Zeitung geschalten hat. Darunter nur seine Adresse und die Bitte, ihm ein Paßphoto zu schicken. Keine Erklärung, wer er überhaupt ist, oder warum ihm die Leute beitreten sollten, oder was es denn eigentlich ist, dem sie beitreten. Nur kurze Zeit später hatte Wallace über 1.000 Anhänger. Und die ganze merkwürdige Geschichte hat er in diesem Buch niedergeschrieben: JOIN ME: THE TRUE STORY OF A MAN WHO STARTED A CULT BY ACCIDENT.

Wallace hat selber keine Ahnung, wem oder was die Bewerber beitreten würden. Und er weiß auch nicht, was er mit den Mitgliedern machen würde, nachdem sie einmal beigetreten sind. Wichtig ist ihm nur, daß sie beitreten, und damit das nicht nur ein leeres Ja wäre, will er, daß die Leute ihm das Paßbild schicken: Nur, wer den Aufwand betreibt, das Photo herauszukramen, in einen Umschlag zu stecken und ihm wirklich mit der Post zu schicken, bekennt sich auch wirklich zum Beitritt.

Die Idee kam Danny bei der Beerdigung seines Großvaters in der Schweiz. Der hatte nämlich in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg mal probiert, einhundert Menschen dazu zu überreden, mit ihm autark auf einem Farmland zu leben – eine Woche und nur drei Zusagen später gab er aber den Traum auf. Danny grübelt darüber nach, was es bedeutet, sich zu einer Sache zu bekennen – vor allem zu einem Sprung ins Ungewisse. Nun will er weder von jemandem verlangen, mit ihm Gemüse anzupflanzen, noch hat er selbst Interesse an einem Leben als Farmer – aber er faßt dennoch den Plan, für seinen Großvater sozusagen die freiwilligen Anhänger nachträglich einzuholen: quasi als Geste, und auch als Versuch.

Am Anfang tritt nur ein einziger Mensch bei. Aber mit dem trifft sich Danny dann auf ein Bier, und weil der Kandidat noch einen Freund dabei hat, hat Danny dank Gesprächen über Sport und Videospiele schnell zwei Mitglieder. Dann stellt er eine kleine Website online, verteilt Flyer, hängt Poster auf, und irgendwann sitzt er in belgischen Talkshows und trifft sich mit neuen Kandidaten am Eiffelturm. Sobald die Sache mal losgetreten ist, gewinnt sein Auftrag natürlich immer mehr und mehr an Geschwindigkeit und Größe.

Eine Zeitlang sind die Mitglieder auch einfach nur glücklich, beigetreten zu sein. Aber dann regen sich erste Zweifel: Was ist überhaupt Sinn und Zweck der Veranstaltung? Und was will der „Anführer“ denn eigentlich? Danny saugt sich mit viel Mühe einen Auftrag aus den Fingern: Tut jeden Freitag etwas Gutes und postet es auf der Website. Es muß nichts Aufwendiges oder Großes sein – wenn ihr einem alten Mann über die Straße helft, ist das prima. Und plötzlich tun Tausende von Menschen jeden Freitag gute Taten und berichten stolz darüber: Offenbar haben sie oft das Bedürfnis gehabt, anderen zu helfen, aber nie einen Ansporn gehabt oder eine gleichgesinnte Gruppe, die das nicht alltägliche Helfen akzeptabel gemacht hätte.

JOIN ME ist eine faszinierende und unterhaltsame Geschichte über etwas, daß aus einer Laune heraus aus dem Nichts entsteht und zu etwas wirklich Bemerkenswertem gedeiht. Das Buch ist dabei zunächst einmal eines: komisch. Wallace schreibt über alle seine Unternehmungen und Pläne in höchst amüsantem und gut beobachtetem Tonfall – wie etwa, wenn er über seine norwegische Freundin schreibt: „I was prepared to forgive her slight Norwegian quirks, she was prepared to forgive my entire personality“. Oder wenn er begeistert die Qualitäten entdeckt, die die ersten Beitretenden auszeichnet: „They enjoy pointlessness“. In jeder Alltagssituation und in jeder ungewöhlichen Lage findet Wallace Humor, ob er nun die Nachbarin im Flugzeug mit Siegeszeichen verunsichert – weil sein Photo so in der Zeitung abgedruckt wurde und er aber später feststellen muß, daß sie keine aktuelle Tageszeitung liest – oder ob er in Frankreich einen herumwandernden Musiker trifft, der sich „Doctor Spacetoad“ nennt und von einem Guru erzählt, dessen Philosophie den schönen Spruch „Love Everybody Except Those You Do Not Like“ beinhaltet.

Aber hinter der schrägen und witzigen Geschichte stecken immer wieder interessante Überlegungen. Wallace trifft zum Beispiel ein neues Mitglied, das als Priester in Schottland arbeitet und ihm erklärt, daß ihn die „Join Me“-Organisation interessiert, weil sie wie die Kirche darauf fundiert, daß man an eine Sache glaubt. Anhand der stets wachsenden Gruppe kann man nicht nur beobachten, wie eine Idee sich festsetzen kann, sondern auch, wie sich darin Strukturen und Erwartungen bilden und ungeplante Aktivitäten entwachsen (wenn beispielsweise eine Reihe mit Mitgliedern unaufgefordert die Brücke ihres Ortes mit den riesigen Buchstaben „JOIN ME“ behängt). Und es zeigt sich, wie man Menschen dazu bringen kann, etwas ohne Erwartung einer Gegenleistung zu tun: beispielsweise durch die bloße Anerkennung der Gruppe. In einer interessanten Episode erzählt Wallace von einer Gruppe von Urlaubern, die sich nicht trauen, eine Clique von bildschönen Frauen anzusprechen – nachdem er sie aber zu Mitgliedern gemacht hat und ihnen „Join Me“-T-Shirts verpaßt, haben sie nicht nur einen Auftrag, mit dem sie die Angebeteten ansprechen können, sondern auch ein viel stärkeres Selbstbewußtsein durch die sichtbare Gruppenidentität.

Es ist nicht immer nachvollziehbar, ob wirklich alles im Buch zu 100% so passiert ist – aber selbst wenn die eine oder andere Situation vielleicht nur in der Geschichte als Vorlage für einen guten Witz dient, dann ist das ja kein Beinbruch. Die „Karma Army“, wie Wallace seine Mitglieder irgendwann nennt, existiert jedenfalls. Und so oder so ist JOIN ME eine originelle und hochspannende Story, die mit wunderbarer Leichtigkeit erzählt ist.

(Übrigens hat Danny Wallace später das Buch YES MAN geschrieben, das als Vorlage zu dem Film DER JA-SAGER mit Jim Carrey diente: Hier hat Wallace tatsächlich ein Jahr lang probiert, zu möglichst allem „ja“ zu sagen. In seinem neuen Buch, FRIENDS LIKE THESE, versucht er, seine ganzen Freunde aus der Kindheit wieder zusammenzutrommeln, und schreibt darüber, wie die Zeit alles verändert. Beide Bücher stehen ab sofort definitiv auf meiner Wunschliste.)

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Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

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