1964 war das Ende der Sandalenfilm-Welle schon nah: Es kamen immer noch unzählige Historienabenteuer in die Kinos, aber das Genre war schon längst ausgereizt. Noch im selben Jahr erschien Sergio Leones FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR, und kurz darauf begann, neben einer recht kurzlebigen Welle von Agententhrillern im Fahrwasser von James Bond, die Ära des Spaghettiwesterns – die nächste italienische Massenproduktion.
Von Genremüdigkeit ist in Alberto De Martinos DER STÄRKSTE MANN DER WELT (bzw. jetzt in der DVD-Fassung: HERKULES, DER STÄRKSTE MANN DER WELT) wenig zu spüren – sieht man einmal davon ab, daß zum Zeitpunkt der Produktion sicherlich schon jeder Pappmachéfels gestemmt, jede exotische Prinzessin gerettet, jeder Gladiator niedergeknüppelt, jedes Pferd geritten und jeder muskelgepackte Körper abgefilmt war. Aber erzählt wird trotzdem, als wäre alles neu: Im Gegensatz zum Spaghettiwestern oder zum Kung-Fu-Film kam der Sandalenfilm nie bis zur Selbstparodie. Hier wird noch alles fast naiv für bare Münze genommen – sieht man einmal von einigen durchaus willkommenen witzigen Sequenzen ab – obwohl die Flut an muskulösen Heldenkörpern im Kino geradezu nach einer Persiflage geschrien hat.
Gleich zu Beginn sehen wir, wie der finstere Tyrann Milo das Volk von Mykene knechtet und dann erbost seinen Onkel, den König selbst, umbringen läßt, weil der mit seinen Methoden nicht einverstanden ist und ihn verbannen will. Milo schiebt den Mord Euristeo in die Schuhe, aber das Volk selbst bleibt skeptisch und schickt Euristeos Freund Reto los, um Herkules zu Hilfe zu holen, um Klarheit in die Angelegenheit zu bringen. Milo ist aber derweil mit der Hexe Pasiphae im Bunde (Kunststück, wie sich herausstellt, weil das seine liebe Mama ist), die zum Aufwärmen gleich dem wackeren Reto einen großen Sumpf unter die Füße zaubert, in dem er flott sinkt.
Glücklicherweise eilt Herkules Reto flugs zu Hilfe, und praktischerweise hat er auch gleich ein Seil dabei. Nun überlegen wir uns mal kurz, wie wir jemandem aus einem Sumpf helfen, wenn wir ein Seil dabei haben. Einfach ein Ende zuwerfen und den Kerl dann rausziehen? Seid ihr wahnsinnig? Wie unsportlich schaut das denn aus? Herkules wirft das Seil über einen Ast, der sich über dem Sumpf befindet, schwingt sich dann über den Sumpf, wickelt sich dann in der Luft das Seil um den Fuß, um sich nach unten baumeln lassen zu können, und versucht Reto dann zu packen und zum Sumpfufer zu werfen. Also, mir persönlich fallen bei dieser Technik diverse Probleme ein, die auftauchen könnten – z.B. daß der Ast bricht, oder daß der Schwung verlorengeht und ich einfach nur blöd über dem Sumpf hänge, oder daß meine Fußschlaufe nicht hält – aber natürlich bin ich ja auch kein Held und Halbgott wie Herkules, und der muß ja wissen, was er tut.
Nun gut. Reto unterrichtet also Herkules über die Geschehnisse, und unterdessen sehen wir, wie Milo in Mykene seine neue Wunderwaffe ausprobiert – auch ein Geschenk von seiner Mutti: Es ist ein goldener Dolch, der, sobald er ihn aus der Scheide zieht, sieben unbesiegbare goldene Kämpfer erscheinen läßt, die sich unverzüglich daran machen, jeden herumstehenden Mann niederzuknüppeln. Sobald man den Dolch wieder in die Scheide steckt, verschwinden die Goldjungs. Wie praktisch! So ein Aufräumkommando wäre ja auch ungemein hilfreich, wenn man noch Weihnachtsgeschenke kaufen muß und im Einkaufszentrum zuviele Leute die Gänge blockieren, oder wenn man sich mal in einer wissenschaftlichen Huhn-und-Ei-Diskussion auf dem Verliererposten sieht.
Nun hat Milo zwar den König beseitigt, aber der Thron fällt nicht an den Schurken Milo, sondern an die Tochter des Königs, Ate, beziehungsweise an den Mann, der einen anstehenden Gladiatorenwettkampf gewinnt und sie heiraten darf. Milo faßt also einen finsteren Plan: Er schafft seiner rechten Hand, Gordio (der schon auf Milos Geheiß den König mit einem Speer bewarf), einfach an, den Wettkampf zu gewinnen und erklärt ihm, daß er dann über ihn Mykene beherrschen wird. In Wahrheit hat Milo aber eine Falle gebaut, die das frischvermählte Paar dann mit einem „Unfall“ beseitigen soll, damit der Thron dann doch an Milo geht. Hier zeigt sich mir einmal mehr, daß ich wohl nicht zum Herrscher geboren bin: Wieso kann Milo eigentlich nicht diese Falle verwenden, wenn irgendwer anderes den Wettkampf gewinnt? Warum muß er seine treue rechte Hand für diesen Plan opfern? Und wie kann man jemandem befehlen, einen Wettkampf zu gewinnen? Es ist wohl gut, daß wichtige Staatsentscheidungen immer noch den Politikern vorbehalten sind und nicht von mir getroffen werden müssen.
Gordio zeigt sich aber als braver Untergebener und gewinnt den Wettkampf: Das macht er, indem er selbst einen Streitwagen mit rotierenden Klingen an den Rädern als Waffe wählt, während der andere Trottel zu Fuß unterwegs ist und einen dreisternigen Morgenzack schwingt. Wenn ich jetzt nun wiederum dieser Kämpfer wäre, würde ich ganz einfach immer hinter dem Streitwagen herlaufen und Gordio von hinten eins auf die Mütze geben – die Arena ist nämlich viel zu klein, als daß Gordio mit seinem Wagen schnell fahren könnte – aber irgendwie läuft der Herausforderer doch immer seitlich ran und wird dann in absehbarer Zeit auch von den Klingen umgebracht. Während Gordio sich aber schon als Sieger wähnt, tritt Herkules als Herausforderer in die Arena und wählt als Waffe einfach mal gar nichts: Ein echt cooler Hund. Und nur wenige Minuten später liegt Gordio besiegt am Boden. Zack.
Milo scheint nun mittlerweile selbst auf den Trichter gekommen zu sein, daß er seine Falle auch an einem anderen Sieger ausprobieren kann. Während Herkules und Ate also in einem kleinen Streitwagen durch das Tor der Arena fahren, saust plötzlich eine mit unzähligen Dolchen präparierte Decke auf die beiden herunter. Herkules kann den großen Klotz aber oben festhalten, damit Ate weglaufen kann, und dann müht er sich selbst auch noch unbeschadet zur Seite weg. Tipp an Milo: Nächstes Mal richtige Dolche nehmen und nicht diese soften Pappexemplare, die so sichtbar hin- und herwackeln. Ich frage mich gerade noch, wie man eine solche Falle der Öffentlichkeit als überraschenden Unfall verkaufen will, aber sicherlich hätte Milo da schon eine sehr einleuchtende Erklärung gehabt.
Es folgt die schönste Sequenz des Films: Ein Kampf Herkules gegen die goldenen Krieger. Die sind diesmal aber gar nicht von Milo heraufbeschworen worden, sondern von einem kleinen Affen, der zu zwei Dieben gehört, die gerade den Palast plündern wollen. Der Affe zieht also den Dolch aus der Scheide, und Herkules muß sich mit den goldenen Sieben prügeln. Der Kampf ist strikt komisch ausgerichtet: Da ertönt das Geräusch einer hohlen Vase, wenn Herkules einem Goldkrieger mit der Faust auf den Kopf hämmert; da packt Herkules zwei der Jungs und läßt ihre Köpfe aneinanderknallen; da verschwindet Herkules hinter einer Säule, und der unterbelichtete Goldmann schaut rätselnd langsam um die Säule herum und kriegt auch schon von Herkules von hinten eins auf die Goldrübe. Irgendwann nimmt sich Herkules eine große Säule, die er einhändig durch den Raum schwingt, und dabei klopft er die Jungs im Akkord nieder, die in einer Einstellung auch brav zu viert aufgereiht sind und boing-boing-boing-boing die Säule seitlich an den Nüschel kriegen.
Die weitere Handlung ist dann leider wieder ernst, beziehungsweise: ernst gemeint. Milo läßt Prinzessin Ate entführen und Reto umbringen und schiebt die Schuld dann Euristeo in die Schuhe, woraufhin Herkules zum Hulk wird und diverse Hütten niederwalzt, bevor er Euristeo dann umbringt (das eher aus Versehen, weil er Euristeo herumschubst und der dann mit dem Kopf auf einen Stein knallt). Plötzlich ist ein aufgemalter Blitz am Himmel zu sehen, und die Stimme von Zeus donnert herab: Herkules hat seine Macht mißbraucht und wird jetzt seine übermenschlichen Kräfte verlieren. Sapperlot, hat Zeus denn nicht aufgepaßt? Hat er denn nicht mitgekriegt, daß Herkules hereingelegt wurde? Nun, wahrscheinlich ist Zeus gleichzeitig auch noch in drei Dutzend anderen Sandalenfilmen tätig und kann die Handlung hier nur ausschnittweise verfolgen.
Herkules erkennt aber durch diese Strafe zumindest, daß er sich auf dem Holzweg befand, und eilt zum Palast, um Ate zu retten. Da er jetzt leider keine Säulen mehr stemmen kann, wird er festgenommen, und nur kurze Zeit später steht er an einer diabolischen Konstruktion, die Milo sicherlich später Arbeit als Jigsaw-Fallenbastler beschert hätte: Es ist eine Art Wippe, an deren einem Ende die Prinzessin festgebunden ist. Über ihr spitze Dolche. Am anderen Ende der Wippe steht Herkules unter einem großen Behälter, in den Steine geworfen werden. Herkules muß also den immer schwerer werdenden Behälter stemmen, damit die Prinzessin am anderen Ende nicht nach oben in die Dolche gekippt wird. Raffiniert! Milos Rechtfertigung dabei ist es, daß Herkules ein Betrüger und Ate eine Verräterin sei und er die beiden damit testet – aber sind wir uns mal ehrlich, wenn er die beiden heimlich in seinem Verlies hätte umbringen lassen, hätte das vielleicht ein noch geschickterer Plan zur Sicherung seines Herrschaftsanspruches sein können.
Nachdem sich Herkules also minutenlang mit den Felsbrocken abgemüht hat und die Prinzessin schon sehr nahe an den Klingen ist, schaltet Zeus wieder auf das laufende Programm um und gibt Herkules seine Kraft zurück. Herkules wirft den Steinbehälter auf die herumstehenden Wachen, kippt die Wippkonstruktion kurzerhand um und macht sich dann daran, alles und jeden zu verkloppen. Der Sieg des Guten ist eben nicht aufzuhalten.
Nun ja, fast. Milo entführt nämlich Ate und flieht mit ihr zur Höhle, in der seine Mama lebt. Herkules folgt ihm und kämpft gegen Milo, den er in den Abgrund wirft. Draussen an der Klippe sieht er Ate, die sich am Fels festhält und abzustürzen droht. An einer anderen Stelle sieht er aber noch eine andere Ate, die ebenso abzustürzen droht: Eine von beiden ist offensichtlich die Hexe Pasiphae, die Herkules täuschen will, damit er die echte Prinzessin nicht mehr retten kann. Herkules aber schaut der einen Prinzessin in die Augen und muß feststellen: „Du bist nicht Ate. Ihre Augen sind rein und unschuldig.“ Zack, die Hexe stürzt nach unten, und Herkules kann die richtige Frau retten. Happy End am Isthmus von Korinth. Warum hat Pasiphae die liebe Ate eigentlich nicht einfach nach unten geschubst? Oder sich von hinten an Herkules angeschlichen und ihn nach unten geschubst? Warum beinhaltet ihre List eine Situation, in der sie selbst ebenso von der Klippe fallen kann – wenn sie sich oben auf den Hügel heraufgestellt hätte und Herkules gerufen hätte, wäre der Plan doch nicht minder super gewesen? Ach, ich glaube, ich habe einfach keine Ahnung von der griechischen Sagenwelt.
Der stärkste Mann der Welt (Frankreich-Italien 1964)
Regie: Alberto de Martino
Darsteller: Dan Vadis, Marilù Tolo, Pierre Cressoy, Piero Lulli, Enzo Fiermonte, Renato Rossini, Moira Orfei
Länge: 75 Minuten
FSK: 16
Die Revolte der 7 (1964)
Blutgericht (1964)
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Im Tempel des weissen Elefanten (1964)
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