Uncategorized

Heaven 17: Let’s All Make a Bomb (1981)

1980 stiegen Martyn Ware und Ian Marsh aus der von ihnen gegründeten Band The Human League aus und überließen sie Sänger Phil Oakey, mit dem sie sich nach nur zwei Alben (REPRODUCTION und TRAVELOGUE) überworfen hatten. Sie starteten zunächst die British Electric Foundation (B.E.F.) und gründeten kurz darauf Heaven 17 mit ihrem Freund Glenn Gregory, der seinerzeit schon ihre erste Wahl als League-Sänger gewesen wäre.

Ihren skurillen Sinn für Humor führten sie in beiden Projekten fort: Schon bei Human League gab es „The Black Hit of Space“, über eine Hitsingle, die so gigantisch ist, daß sie die anderen Singles und die Plattenläden schlichtweg auffrißt („As the song climbed the charts / The others diappeared / ‚Til there was nothing but it left to buy / It got to number one / Then into minus figures / Though nobody could understand why“), und einer frühen EP legten sie eine Flexidisc bei, auf der Studiogeplapper der Band darüber zu hören war, was man denn wohl auf die Flexidisc packen sollte. Ihr Konzept für die British Electric Foundation war, daß das Projekt nicht als Gruppe, sondern als Firma designt war, die als Produkt Musik herstellt – entsprechend trugen Veröffentlichungen Namen wie MUSIC FOR LISTENING TO oder MUSIC OF QUALITY AND DISTINCTION. Das erste Heaven 17-Album, PENTHOUSE AND PAVEMENT, führte das B.E.F.-Logo als Produzent, mit der Werbezeile „The New Partnership – That’s opening doors all over the world“. Unter dem Bandnamen (Heaven 17 hieß eine Band in Burgess‘ A CLOCKWORK ORANGE) waren die Städte Sheffield-Edinburgh-London gelistet, als wären dort die Filialen dieser ominösen Firma.

Schon der erste Song auf PENTHOUSE AND PAVEMENT, „(We Don’t Need This) Fascist Groove Thang“, ein geschmeidig funkiger und distanziert vorgetragener Synthpop-Song, dessen Tempo fast stressig ist, zeigt den wunderbaren Witz der Gruppe in voller Blüte: „Have you heard it on the news / About this fascist groove thang / Evil men with rascist views / Spreading all across the land“, beginnt der Song, und falls 1981 jemand nicht genau wußte, worum es eigentlich geht, wird später noch die Zeile „Reagen’s president elect / Fascist god in motion“ eingestreut. (Heaven 17 sind natürlich Engländer und betrachteten sicherlich Margaret Thatcher mit ähnlichen Gefühlen.) Aber: Was genau ist ein „fascist groove thang“? Und wenn dieses „groove thang“ so schlecht ist, warum groovt der Song dann so ungemein? Und dann kommt noch die Zeile „Hitler proves that funky stuff / Is not for you and me girl“, einerseits – ernst betrachtet – ein Tiefschlag durch den Vergleich, andererseits – im Sinne der Band – ein Zeichen dafür, daß Pop eben gar keine tiefgreifenden Inhalte liefern kann oder überhaupt will.

Unten das Video zu „Let’s All Make a Bomb“, ebenfalls von PENTHOUSE AND PAVEMENT. Wiederum: Eigentlich ist es nicht allzu mißverständlich, worum es geht („Although the war hast just begun / Ignore the sirens, let’s have fun / Put on your best, go out in style / Although our future’s looking black / We’ll go downtown and join the pack / Let’s celebrate and vapourize“) – andererseits wissen die Jungs selber gut genug, daß sie als Popband ganz genau das machen und auch machen dürfen: Die Welt geht unter, wir feiern mit Stil. Weswegen der Refrain auch enthusiastisch zum Mitmachen einlädt: Let’s all make a bomb. Der Song selbst ist ein Kraftwerk-ianisches Stück Elektronik, mit Maschinenbeat und Computerfiepen als Rhythmus, dahinter klare Synthakkorde, und oben drauf Gregorys kühler Gesang. Das Video suggeriert in glorreichem Schwarz-Weiß eine leere Welt, durch die Gregory irrt, und als Kontrapunkt eine Menschenmasse, aus der er nicht ausbrechen kann.

—————–
4 8 15 16 23 42

Christian Genzel
Christian Genzel arbeitet als freier Autor und Filmschaffender. Sein erster Spielfilm DIE MUSE, ein Psychothriller mit Thomas Limpinsel und Henriette Müller, erschien 2011. Außerdem drehte Genzel mehrere Kurzfilme, darunter SCHLAFLOS, eine 40-minütige Liebeserklärung an die Musik mit Maximilian Simonischek und Stefan Murr, und den 2017 für den Shocking Short Award nominierten CINEMA DELL' OSCURITÀ. Derzeit arbeitet er an einer Dokumentation über den Filmemacher Howard Ziehm und produziert Bonusmaterial für Film-Neuveröffentlichungen. Christian Genzel schreibt außerdem in den Bereichen Film, TV und Musik, u.a. für die Salzburger Nachrichten, Film & TV Kamera, Ray, Celluloid, GMX, Neon Zombie und den All-Music Guide. Er leitet die Film-Podcasts Lichtspielplatz, Talking Pictures und Pixelkino und hält Vorträge zu verschiedenen Filmthemen.

    2 Comments

    1. Ich will ja immer noch glauben, dass Popmusik Inhalte liefern kann….So I disagree with Heaven 17 on this.

    2. Inhalte ja, aber keine tiefschürfend ausdiskutierten Inhalte. Für sorgsam aufbereitete, differenzierte Inhalte ist der Popsong in etwa so sehr die richtige Form wie der Kinofilm für historische Fakten. Daß (Pop-)Musik intelligent Inhalte behandeln kann, bestreitet niemand.

    Comments are closed.

    0 %